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Christine Mayrhuber: „Eigentlich sind unsere Pensionen sicher, aber …“

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Christine Mayrhuber

©Bild: Matt Observe

Unsere Pensionen sind sicher, solange es Wirtschaftswachstum und gute Einkommen gibt, sagt Pensionsexpertin Christine Mayrhuber (WIFO). Allerdings: Das Pensionssystem ist überfrachtet mit Aufgaben und Ausgaben, die nichts mit der Alterssicherung zu tun haben. Sie sind es, die die hohen Zuschüsse des Staates erforderlich machen.

Sind unsere Pensionen sicher? Sind sie es auch für die Generationen unserer Kinder und Enkel?

Das hängt jetzt und auch in Zukunft von der wirtschaftlichen Situation ab. Davon, wie viele Güter und Dienstleistungen produziert werden. Ein Alterssicherungssystem ist dann sicher, wenn so viel produziert wird, dass ein Teil des Ertrags an Generationen weitergegeben werden kann, die nicht mehr erwerbstätig sind. Umgelegt in Geld bedeutet das: Wir brauchen eine hohe Erwerbsbeteiligung und Erwerbseinkommen, eine hohe Lohn- und Gehaltssumme, damit die Pensionen auch in Zukunft finanziert sind.

Wie kann das funktionieren, wenn es aus demografischen Gründen immer weniger Beitragszahler gibt?

Dieses Thema haben wir schon seit Jahrzehnten: In den 1960er-Jahren kamen auf 1.000 erwerbstätige Personen etwa 200 Pensionisten. Heute sind es 550. Das Verhältnis hat sich also deutlich verschlechtert und trotzdem geht es den Erwerbstätigen und den Pensionisten heute viel besser. Der Grund dafür ist die Wirtschaftsentwicklung, durch die der Wohlstand insgesamt zugenommen hat. Insofern ist die Kopfrelation zwar wichtig, aber noch wichtiger ist die Wertschöpfung, die dahinter liegt.

Das heißt, solange die Wirtschaft wächst, funktioniert das Pensionssystem – unabhängig von der konkreten Zahl der Erwerbstätigen?

Es funktioniert, solange wir wachsende Produktivität haben. Man kann es gut am Beispiel der Landwirtschaft erklären: Auf einem Hektar Fläche wird heute viel mehr produziert als noch vor einem halben Jahrhundert. Es zählt also weniger die demografische Entwicklung, sondern das, was aus dem Hektar herausgeholt und verteilt wird.

Experten sagen, in Zukunft werden sehr viele bezahlte Jobs durch KI-Systeme ersetzt werden. Was heißt das für die Finanzierung des Pensionssystems? Es wächst zwar die Produktivität, aber es gibt weniger Beitragszahler.

Das ist eine zentrale Frage. Wo entsteht Produktivität in Zeiten der KI? Aber auch das ist kein neues Phänomen. Schon in den 1930er-Jahren hat der Ökonom John Maynard Keynes errechnet, dass wir – wenn die Produktivitätsfortschritte so weiterlaufen – zur Jahrtausendwende das Produktionsproblem gelöst haben und nur noch das Verteilungsproblem gelöst werden muss. Tatsächlich ist es so, dass Wertschöpfung heute auf drei Faktoren beruht: menschliche Arbeit, Kapitaleinsatz und KI-Technologie. Die Finanzierung unseres Sozialsystems beruht aber allein auf dem Faktor Arbeit. Sie beruht nicht auf dem Faktor Kapital. Es wäre vorstellbar, dass beispielsweise Kapitaleinkommen aus Aktien und Anleihen der Sozialversicherungspflicht unterworfen werden. Es müsste auch möglich sein, Wertschöpfung, die aus datenbasierten Systemen kommt, stärker zu besteuern oder zur Finanzierung der Sozialsysteme heranzuziehen. Da ist das Sozialversicherungssystem mit seiner Finanzierungsstruktur noch nicht in der Gegenwart angekommen.

Der Ethiker Peter G. Kirchschläger schlägt in seinem neuen Buch ein bedingtes Grundeinkommen vor, mit Finanzierung u. a. durch Besteuerung der Techkonzerne. Damit wäre das Pensionssystem quasi hinfällig. Wäre das wünschenswert? Geht so ein Systemumbau überhaupt?

Der prinzipielle Umstieg auf ein neues System hat immer das Problem, dass dann eine Generation doppelt bezahlt oder besonders stark verliert. Das ist aus gesellschaftspolitischer Sicht nicht wünschenswert und schwer machbar.

Die Vorstellung, dass die Versicherten das herausbekommen, was sie einbezahlt haben, entspricht nicht unserem System

Christine MayrhuberSenior Economist WIFO

Womit wir beim „Versicherungsprinzip“ des Pensionssystems wären. Bei der heurigen Pensionsanpassung, die für höhere Bezüge geringer ausfällt, kam besonders laut die Kritik, dass das diesem Prinzip widerspreche: Wer mehr einbezahlt hat, bekommt nicht mehr heraus. Ist diese Kritik berechtigt?

Ich verstehe diese Kritik, halte sie aber für nur teilweise berechtigt. Die Vorstellung, dass die Versicherten das herausbekommen, was sie einbezahlt haben, entspricht nicht unserem System. Wir haben ein Umlagesystem. Was einbezahlt wird, wird unmittelbar für aktuelle Pensionen ausbezahlt. Dazu kommt: Es zahlen nicht alle gleich viel ein. Angenommen, es verdient jemand 3.000 Euro: Unselbstständig Beschäftigte zahlen davon 22,8 Prozent Pensionsversicherungsbeitrag (687 €), Bauern 17 Prozent (510 €), Gewerbetreibende 18,5 Prozent (555 €). Es werden aber allen 53,4 Euro, also 1,78 Prozent von 3.000 Euro, auf ihr Pensionskonto gutgeschrieben. Also auch hier stimmt das Bild, dass man bekommt, was man einbezahlt hat, nicht.

Wieso ist das so? Haben diese Gruppen besser verhandelt?

Die unterschiedlichen Beitragssätze konnten tatsächlich noch nicht angeglichen werden. Darüber hinaus gibt es gesellschaftspolitische Themen, die im Pensionsversicherungssystem ihre Anerkennung finden: So sind zum Beispiel Arbeitslosengeldbezug Versicherungszeiten für die Pension oder auch Kinderbetreuungszeiten, weil das eine gesellschaftlich notwendige Arbeit ist. Ähnliches gilt für den Zivildienst oder die Pflegekarenz. Auch das durchbricht das Versicherungsprinzip. Das Alterssicherungssystem ist eben keine private Versicherung – da wäre die Kritik berechtigt –, sondern ein Sozialversicherungssystem mit bestimmten Zielsetzungen.

Das Bild von der Versicherung stimmt also nicht.

Es stimmt – und stimmt auch nicht. Es ist eine Kombination aus sozialen Zielen und Versicherungsziel. Auf jeden Fall ist es aber so, dass ein gutverdienender Mensch mit durchschnittlicher Lebenserwartung mehr Pension bezieht, als er an konkreten Pensionsversicherungsbeiträgen geleistet hat.

Das heißt, das Geld aus den Pensionsbeiträgen ist für den Einzelnen „gut angelegt“?

Das Geld war durch die Produktionsfortschritte und das Wirtschaftswachstum der Vergangenheit gut angelegt. Wenn wir von 40 Jahren Einzahlung und 20 Jahren Pensionsbezug ausgehen, bedeutet das eine hohe Ertragsrate.

Es gibt Alarmrufe, dass das Pensionssystem aufgrund der nötigen staatlichen Zuschüsse – 30 Milliarden Euro für 2024 – irgendwann nicht mehr finanzierbar sein wird. Ist das so?

Die Mittel im Beamtensystem würde ich nicht als Zuschuss bezeichnen, hier sind Beschäftigte und Pensionen durch Steuern finanziert. Und für die vielen sozialpolitischen Zielstellungen wie zum Beispiel die genannten Kindererziehungszeiten* ist eine breite Finanzierung über Steuermittel zielführend.

Wir haben in der Tat ein sehr gut ausgebautes, aber durchaus teures System. Wenn die Wirtschaftsleistung zurückgeht – wir sind im dritten Jahr einer Stagnation oder Rezession –, dann wird das zu einer großen Belastung, weil die Beitragseinnahmen langsamer wachsen und daher ein größerer Anteil des Budgets für die Pensionen aufgewendet werden muss. Auf der anderen Seite sehen wir, dass die Pensionen sehr wichtig für die Nachfragestützung sind. Vor allem bei niedrigeren Pensionen gehen von jedem zusätzlichen Euro 90 Prozent direkt in Konsum­ausgaben. Bei erwerbstätigen Haushalten sind es nur 80 Prozent Und: Ein Fünftel der Lohnsteuereinnahmen kommt von den Pensionen.

Wie könnte man das kostspielige Pensionssystem günstiger machen?

Kurzfristige Veränderungen sind schwierig. Die vergangenen Reformen haben schon dazu geführt, die Ausgabendynamik zu bremsen. Früher wurden die Pensionen anhand der 15 besten Einkommensjahre berechnet, heute werden alle Erwerbsjahre berücksichtigt, wodurch schlecht bezahlte Anfangsjobs oder Teilzeitjahre die Pensionshöhe und dadurch die Ausgaben insgesamt drücken. Gleichzeitig ist es aber so, dass das Alterssicherungssystem mit Ausgaben und Aufgaben überfrachtet ist, die sozialpolitischen Zielsetzungen entspringen, aber eigentlich nichts mit den Pensionen zu tun haben.

Zum Beispiel?

Ein Beispiel ist die Ausgleichszulage. Menschen, deren Pensionsanspruch unter dem Ausgleichszulagenrichtsatz liegt, bekommen ihre Pension aufgestockt. In anderen Ländern kommt das aus dem Sozialsystem, nicht aus dem Pensionstopf. Oder: Rehabilitationsmaßnahmen für aktiv Beschäftigte werden von der Pensionsversicherung bezahlt. Dass dafür nicht die Krankenkassen zuständig sind, ist erstaunlich. Ein weiteres Beispiel ist die Berufsunfähigkeitspension. In anderen Ländern zahlt auch hier die Krankenkasse. Wäre das in Österreich auch so, hätten wir drei Prozent weniger Aufwand. Fast zehn Prozent der Ausgaben der Pensionsversicherung fließen zudem in Hinterbliebenenpensionen, für die auch nie Beiträge geleistet wurden. Denn das würde ja bedeuten, dass Verheiratete oder Eltern höhere Beiträge bezahlen müssten, weil es Hinterbliebene geben könnte.

Die Beiträge der aktiv Beschäftigten decken in etwa die Aufwendungen für die reinen Alterspensionen

Christine MayrhuberSenior Economist WIFO

Das Pensionssystem wäre also gar nicht so krank, wenn es nur für die Pensionen zuständig wäre?

Man kann es so formulieren: Die Beiträge der aktiv Beschäftigten decken in etwa die Aufwendungen für die reinen Alterspensionen. Alles andere muss aus staatlichen Mitteln kommen. Steuermittel für das Pensionssystem sind legitim, weil gesellschaftspolitische Ziele verfolgt werden. Bei den Bauern ist es derzeit so, dass auf einen Aktiven 1,4 Pensionsberechtigte kommen. Man kann den verbliebenen Landwirten ja nicht den strukturellen Rückgang in der Landwirtschaft aufbürden.

Was wäre das Wichtigste, um das System langfristig zu erhalten?

Eine hohe und steigende Erwerbsbeteiligung, auch ein steigendes Antrittsalter in den kommenden Jahrzehnten in Verbindung mit ausreichend Arbeitsplätzen und guten Einkommen. Und wenn ich mir die aktuellen Zahlen ansehe: Wenn wir es schaffen könnten, die Altersarbeitslosigkeit abzuschaffen, sodass alle Menschen über 50 tatsächlich in den Erwerbsarbeitsprozess integriert werden, dann hätten wir einen Entlastungseffekt im Pensionssystem in einer Größe, als würde man das Pensionsantrittsalter um ein Jahr erhöhen.

2024 waren rund 41 Prozent der 55- bis 65-Jährigen aus unterschiedlichen Gründen nicht erwerbstätig: von Arbeitslosigkeit bis Krankheit.

Wir haben eine sehr hohe Altersarbeitslosigkeit. Da gibt es wirklich ein strukturelles Problem. Einerseits tun sich Unternehmen schwer, Arbeitskräfte zu finden, andererseits ist eine große Gruppe der über 50-Jährigen am Arbeitsmarkt nicht entsprechend integriert. Hier braucht es ein generelles Umdenken. 50-Jährige haben noch ein Drittel ihres Erwerbslebens vor sich. Ich habe nicht den Eindruck, dass Betriebe für diese 15 Jahre überlegen, wie sie Mitarbeiter nachschulen oder welche gesundheitlichen Maßnahmen man trifft, damit diese Leute gut arbeiten können.

Was würden Sie einem Berufsanfänger sagen, der meint: Für mich gibt’s eh keine Pension mehr?

Worum geht es bei der Alterssicherung? Es geht um die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen. Früher mussten das die Familien selbst organisieren. Ältere Menschen mussten oft mit sehr wenig auskommen und waren sehr von der Familie abhängig. Jetzt sind alle von der wirtschaftlichen Entwicklung abhängig. Wenn junge Leute sagen, ich krieg eh nix, würde ich sagen: Was brauchst du zum Leben? Güter und Dienstleistungen. Du musst dich einbringen, um diese zu produzieren. Für dich und für andere in der Gesellschaft, die das nicht mehr selbst können. Und solange Güter und Dienstleistungen produziert werden, kann man eher positiv in die Zukunft schauen.

Dann geht es sich auch für diese Generationen mit ihren Pensionen aus?

Genau.

© Bild: Matt Observe

Steckbrief

Christine Mayrhuber

Beruf
Senior Economist WIFO

Die Ökonomin widmet sich seit 1999 am Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO den Themen Arbeitsmarktökonomie, Einkommen und soziale Sicherheit. Sie forscht unter anderem zur Struktur und Finanzierung der Pensionsversicherung. Seit 2023 ist sie stellvertretende Direktorin des WIFO. Seit April 2024 ist Mayrhuber zudem Vorsitzende der Österreichischen Alterssicherungskommission, ein Expertengremium, das sich mit der langfristigen Entwicklung des Pensionssystems befasst

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 40/2025 erschienen.

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