In der ÖVP überwiegt die Dankbarkeit dafür, dass der 65-Jährige die Partei führt und das Kanzleramt gerettet hat. Schlechte Umfragewerte ändern nichts daran. Genauer: noch nicht.
Analyse der Woche
Selten hat die ÖVP so geschlossen gewirkt. Aus keinem Bundesland kommt ein kritisches Wort gegen „Wien“, also gegen die Regierung oder die Bundespartei.
Es hat mit Christian Stocker, der da wie dort an der Spitze steht, und den Umständen zu tun: Er war in einer schier aussichtslosen Situation bereit, Verantwortung zu übernehmen; damals, im Jänner, als man in der Partei glaubte, nur noch Juniorpartner unter einem Kanzler Herbert Kickl (FPÖ) werden zu können.
Dankbare ÖVP
Umso größer ist in der ÖVP die Dankbarkeit dafür, dass er sich das angetan hat, sowie die Freude darüber, dass er für sie das Kanzleramt retten konnte und die schwarz-rot-pinke Regierung nun mit so ruhiger Hand führt. Wobei gerne erklärt wird, dass er das tun könne, weil er das Amt nie angestrebt habe und mit seinen 65 Jahren nichts mehr werden müsse. Das hat was: Es erleichtert ihm den Umgang mit Unpopulärem, aber Notwendigem, wie der Budgetsanierung. Er muss nicht nervös werden, weil die ÖVP weit abgeschlagen hinter der FPÖ zurückbleibt.
In der Partei wird das hingenommen. Es ist eine wahlfreie Zeit. Erst im Herbst 2027 kommt es, beginnend mit der oberösterreichischen Landtagswahl, zu einem Urnengang nach dem anderen, bis hin zur Nationalratswahl 2029.
Ruhe vor dem Sturm
Zu glauben, dass für Stocker fix noch zwei Jahre lang alles bleibt, wie es ist, wäre jedoch naiv: 2026 wird ein Schicksalsjahr für ihn. Spätestens dann muss eine Trendwende zugunsten der ÖVP und zulasten der FPÖ einsetzen, die nach und nach bundesweit spürbar wird. Sonst droht Ungemach, ist in seinen Reihen Schluss mit Dankbarkeit, kommt Panik auf, weil zunehmend Wahlniederlagen und Machtverluste befürchtet werden; steigt der Druck auf ihn, aufzuhören, staatstragend zu wirken in der Annahme, dass es von den Wählern längerfristig goutiert wird, und stattdessen einfach nur populistisch zu agieren.
Sprich, er müsste sich als Kanzler neu erfinden, würde damit aber ein Glaubwürdigkeitsproblem riskieren, das er in seinem Alter wirklich nicht mehr notwendig hätte.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 33+34/25 erschienen.