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2nd Opinion: Der Hass der Privilegierten

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Michael Fleischhacker

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Die gängige These, dass Polarisierung und Radikalisierung auf das Konto der „Abgehängten“ gingen, sollte vielleicht revidiert werden: Der Hass der Privilegierten auf die da unten, der sich in Verbotsgelüsten Ausdruck verschafft, wird immer unübersehbarer.

Auf die Frage, was unsere politischen Systeme und damit auch unsere Gesellschaften so kaputt gemacht hat – die Frage, ob sie überhaupt kaputt sind oder nicht, gilt als letztgültig mit „Ja“ beantwortet –, gibt es sehr viele mögliche Antworten: Zu wenig Kapitalismus, zu viel Kapitalismus, der falsche Sozialismus, zu viel Social Media, zu wenig Christentum, zu viel Islam, nicht genügend Werte, die falschen Werte, der Feminismus, die toxische Männlichkeit, Herbert Kickl, Mutter Theresa, der Veganismus: Je nachdem, wo man ideologisch steht, wo man geboren wurde oder wie oft man in der Schule schlecht behandelt wurde, wird man unterschiedliche Antworten geben.

Man kann sich nicht darauf verlassen, dass diese Antworten wohlüberlegt, reflektiert oder auch nur minimal anschlussfähig sind, aber man kann sich darauf verlassen, dass sie mit der Überzeugung vorgetragen werden, dass jeder, der das anders sieht, im günstigsten Fall ein gravierendes Problem mit der Selbstund Weltwahrnehmung hat, aber eigentlich verboten werden sollte. Das ist vielleicht die letzte Gemeinsamkeit, die letzte große gemeinsame Erzählung, die in der Generation der heute unter 30-Jährigen verbreitet ist: Verboten sollte ungefähr alles werden, was man nicht gut findet.

Pessimismus

Sollten Sie den Eindruck haben, dass mich, was die Möglichkeit, ein einigermaßen kompaktes Verständnis unseres demokratisch-rechtsstaatlich-liberalen Lebensmodells, das früher unter dem Label „westliche Werte“ weltweit eine gewisse Attraktivität genoss, an die nächsten Generationen weiterzugeben, ein gerüttelt Maß an Pessimismus erfasst hat, so kann ich Ihnen bestätigen, dass dieser Eindruck nicht täuscht. Ich hatte immer gehofft, dass ich nie so werde wie meine älteren Freunde aus dem liberalkatholischen Bildungsbürgertum, die ihre späten Jahre fast ausschließlich mit der elaborierten Klage über die intellektuelle Wohlstandsverwahrlosung ihrer Enkelgeneration verbringen, aber ich fürchte, es ist jetzt bei mir auch so weit: Immer öfter nehme ich an Gesprächen teil, die in mir den Eindruck erwecken, dass entweder die nachfolgenden Generationen zum Untergang verurteilt sind oder ich. Genaugenommen sind wir alle zum Untergang verurteilt, aber Sie wissen, was ich meine.

Was daran jenseits meiner idiosynkratischen Altersbeschwerden interessant sein könnte, ist das Folgende: Es scheint immer klarer zu werden, dass die Polarisierung und Radikalisierung, die in allen ehemals „westlichen“ Gesellschaften zu beobachten ist und sich in der Wanderung der Wählerstimmen von der christ- und sozialdemokratischen Mitte an die identitären Ränder links und rechts äußert, kein Protest der „Abgehängten“ ist. Die Idee, dass die Wahlsiege der Linken, der AfD und der FPÖ als Protestaktion der gesellschaftlichen Verlierer zu verstehen sei, greift viel zu kurz. Das Phänomen, dass Menschen, die sich von den Maßnahmen der Regierenden nicht gemeint und nicht positiv betroffen fühlen, die Opposition wählen, ist weder neu noch ein großes soziologisches Mysterium.

Die Qualifizierung der abweichenden Meinungsäußerung als „Hass“ legitimiert deren Eliminierung

Abgesehen davon, dass man die Möglichkeit zur Polarisierung und Radikalisierung auch als wichtiges Element der offenen und demokratischen Verfasstheit eines Gemeinwesens sehen kann (dass die gesellschaftliche Polarisierung in Russland oder China kein öffentliches Thema ist wie in Europa und in den USA, wird vielleicht schon manchem aufgefallen sein): Es scheint mir immer deutlicher zu werden, dass die bisher mehrheitliche vertretene „Reaktanz“-These – die Unterprivilegierten mucken auf, weil sie die Belehrungen der Herrschenden satt haben – die akut steigenden Temperaturen im Gesellschaftspool nicht ausreichend erklären. Stattdessen wird klar, dass wir es mit einer Akkumulation von Hass auf der Seite der Privilegierten zu tun haben, die nicht mehr von den unqualifizierten Lebensäußerungen der Unterprivilegierten belästigt werden wollen. Man begegnet – und hier schließt sich der Kreis zu meinem höchstpersönlichen Generationenpessimismus – kaum noch einem jungen Menschen aus dem Kulturmilieu, der nicht alles verbieten will, was er für „rechts“ hält, von der FPÖ bis zu jeder einzelnen Burschenschaft.

Der Begriff „Hass“ ist für diese Haltung sehr bewusst gewählt, denn der Hass beinhaltet im Gegensatz zur einfachen Ablehnung oder sogar zur Verachtung eine eliminatorische Komponente als konstitutives Element: Wer etwas oder jemanden hasst, denkt: Er oder es soll nicht da sein. Wenn man sich diesen Sachverhalt bewusst macht, denkt man vielleicht noch einmal anders über das Phänomen „Hass im Netz“ nach, das seit geraumer Zeit in aller Progressiven Munde ist: Die Qualifizierung der abweichenden Meinungsäußerung als „Hass“ legitimiert deren Eliminierung.

Man kann der Strategie, die eigenen eliminatorischen Hassgefühle auszuleben, indem man den Andersdenkenden als Hasser entlarvt, eine gewisse Raffinesse nicht absprechen. Sie wird nur die allseits beklagte Polarisierung und Radikalisierung nicht verringern, im Gegenteil. Vielleicht müssten wir als Gesellschaft einfach stärker auf die Altersmilde setzen.

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir: redaktion@news.at

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 43/2025 erschienen.

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