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2nd Opinion: Mimosenkrieg

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Michael Fleischhacker

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Viele fürchten um die Demokratie und sind politikmüde. Ursache sind überzogene Erwartungen und ideologische Empfindlichkeiten. Um die Wirtschaft zu stabilisieren, braucht es weniger Politik, meint News-Kolumnist Michael Fleischhacker.

Wenn man den einschlägigen Umfragen trauen darf, setzt sich der allgemeine Vertrauensverlust in die Politik und ihre Gestaltungsmacht fort. Viel ist nicht mehr übrig. Die Menschen, heißt es, seien enttäuscht, dass es der Regierung nicht gelinge, drängende Probleme in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Integration und Wirtschaft in den Griff zu bekommen, und wer wollte ihnen diese Enttäuschung übelnehmen.

Zunächst kann man darauf eigentlich nur philosophisch antworten: Enttäuschung ist eine Funktion der Erwartung. Wer die Lösung großer Probleme von der Politik im Allgemeinen und von der Regierung im Speziellen erst gar nicht erwartet, ist vor Enttäuschungen gefeit.

Allerdings: Wenn wir dahin kommen, dass sich niemand mehr irgendetwas von der Politik erwartet, haben wir gesellschaftlich auch nichts gewonnen. Beide Vorgänge haben das gleiche Ergebnis, nämlich die weitgehende Delegitimierung politischen Handelns an sich. Für Diktaturen ist das kein Problem, weil sie ihre Legitimation nicht aus der Zustimmung der Menschen, sondern aus der Macht über sie beziehen. Mao Zedong sprach von der „Macht aus den Gewehrläufen“. Demokratische Staatsformen hingegen sind auf Zustimmung und Vertrauen angewiesen. Wer mehr davon auf sich vereinen kann, erwirbt dadurch das temporäre Recht zur Ausübung politischer Macht.

Kippt das System?

Immer mehr Menschen treibt die Sorge um, dass am Ende der Abwärtsspirale, in der wir uns befinden, Demokratien in autokratische Systeme kippen. In dem Vakuum, das der Vertrauensverlust in die überkommenen Institutionen, allen voran die Parteien, hinterlässt, könnten sich politische Glücksritter und Abenteurer breitmachen und nach der Macht greifen. Allerdings sind viele der Besorgten wenig glaubwürdig, weil sie mit ihrem ideologischen „Kampf gegen rechts“ die Delegitimierung demokratischer Institutionen, zu denen nun einmal auch rechte Parteien gehören, befeuern, statt ihm entgegenzuwirken.

Wer jede Meinungsäußerung, die sich außerhalb der eigenen moralisch-ideologischen Komfortzone bewegt, als „Hassrede“ denunziert, trägt zur Erhaltung des freien Diskurses, der zum Wesenskern einer demokratischen Ordnung gehört, wenig bei. Es handelt sich um einen Versuch der Selbstimmunisierung: Gegenüber der Hassrede muss man kein Argument haben, denn sie ist ein Verbrechen, zumindest im Sinne eines Straftatbestands.

Diese Selbstimmunisierung von links unterscheidet sich im Wesen nicht von der Selbstimmunisierung der Rechten, die sich als Opfer undemokratischer Prozesse inszenieren, wenn andere Parteien nicht mit ihnen koalieren wollen – obwohl das natürlich ihr gutes Recht ist. Selbstimmunisierung auf allen Seiten bedeutet naturgemäß das Ende aller Diskurse, und am Ende aller Diskurse steht in der Regel die gewaltsame Auseinandersetzung. Um es mit Hans Magnus Enzensberger zu sagen: Aussichten auf den Mimosenkrieg.

Selbstimmunisierung im großen Stil

Wie soll, wie kann man ihn vermeiden? In dem knappen halben Jahrhundert zwischen 1945 und 1990 war schon einmal Selbstimmunisierung im großen, globalen Stil angesagt gewesen: Die Vereinigten Staaten als Führungsmacht des kapitalistisch-freien Westens und die Sowjetunion als kolonial-postkolonialistische Erbin der Enterbten, standen einander unversöhnlich und sprachlos gegenüber. Die verbliebenen Gesprächskanäle dienten vor allem einem Ziel: Abrüstung.

Vielleicht gar keine schlechte Idee. Und mir scheint, man müsste heute wie damals auf zwei Ebenen mit der Abrüstung beginnen: abstrakt-ideologisch und pragmatisch. Tatsächlich würde Abrüstung heute vor allem ein verbessertes Erwartungsmanagement bedeuten. Weniger Erwartung, wir sprachen bereits darüber, bedeutet weniger Enttäuschung, und weniger Enttäuschung bedeutet eine geringere Anfälligkeit für radikale Lösungen.

Auf der abstrakt ideologischen Ebene müsste man begreifen, dass die Durchsetzung der eigenen reinen Lehre nur um den Preis der Freiheitsbeschränkung für die anderen zu haben ist. Wer den politischen Gegner eliminieren, also zum Beispiel verbieten will, muss zwangsläufig zu Mitteln wie Denunziation („Meldestellen“ sagt eigentlich eh alles) und Polizeigewalt greifen. Und auf der pragmatischen Ebene könnte es helfen zu begreifen, dass wir nicht mehr politischen Zugriff brauchen, sondern weniger.

Wer dauernd vom Krieg redet, der wird ihn irgendwann auch führen müssen

Auch die Politik müsste eigentlich abstatt aufrüsten. Wir brauchen nicht mehr politische Eingriffe, sondern eben weniger. Die wirtschaftliche Talfahrt, auf der wir uns befinden, ist nicht durch mehr Politik aufzuhalten, sondern nur durch weniger Politik, denn sie wurde nicht durch den Rückzug der Politik ausgelöst, sondern durch ihre Übergriffigkeit in Form von Überregulierung, Übersubventionierung und Besteuerungsexzessen.

Ich glaube, dass es Javier Milei in Argentinien inhaltlich überwiegend richtig macht: Er rüstet den Staat und seine Apparaturen radikal ab, um die Wirtschaft wieder in Fahrt zu bringen. Schwierig finde ich an diesem Kurs nur die Tatsache, dass er diesen Rückzug als Angriff inszeniert.

Abrüstung bedeutet immer auch rhetorische Abrüstung. Wer dauernd vom Krieg redet, der wird ihn irgendwann auch führen müssen.

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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 45/2025 erschienen.

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