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2nd Opinion: Aufruhr im Operettenstaat

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Michael Fleischhacker

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Dass die Affäre um die Gehälter in der Wirtschaftskammer mit einem Rücktritt geendet hat, ist überraschend, wird aber an den Grundproblemen nichts ändern. Der österreichische Operettenstaat hat sich bis zur Reformunfähigkeit verknöchert.

Es irrt der Mensch, solang er strebt, heißt es in Goethes „Faust“, und mir geht es nicht anders. Ich hatte gedacht, dass nach den Zusammenkünften der Wichtigen in der Wirtschaftskammer, die am Wochenende davor stattgefunden hatten, und nach der für seine Verhältnisse fast demütigen Pressekonferenz, die er am Montag darauf gegeben hatte, Harald Mahrer auf jeden Fall Präsident der WKO bleiben und sich auch sonst nicht wirklich etwas ändern würde. Nun ist Harald Mahrer zurückgetreten, und auch sonst wird sich nichts ändern.

Die Damen und Herren Landespräsidentinnen und Landespräsidenten sowie die Frau Landeshauptmann von Niederösterreich (spätestens unter Erwin Pröll wurde Niederösterreich zu einer Art Singapur für Weinbauern, keine wirkliche Demokratie, aber ein funktionierendes Gebilde) gaben den Ausschlag. Gemeinsam sind die föderalistischen Operettenprinzessinnen und Operettenprinzen in der österreichischen Politik ungefähr das, was Gott in Goethes Faust darstellt. Das Eingangszitat stammt ja aus dem Prolog im Himmel, Gott spricht es im Rahmen seiner Wette mit Mephisto um die Seele Faustens. Was mit Harald Mahrers Seele passieren wird, wissen wir nicht, seine politischen Überreste werden wir aber vermutlich noch irgendwann einmal zu Gesicht bekommen.

Demokratische Seele

Um die Seele der österreichischen Demokratie hingegen muss man sich keine Sorgen machen, sie ist längst ausgehaucht und wird gemeinsam mit dem Rest des Universums einst in der finalen Ausdehnung erstarren oder sich zum nächsten Urknall zusammenpressen. Vielleicht wird es eine Weile dauern, aber irgendwann wird vielleicht auch im breiteren politischen Bewusstsein des Landes angekommen sein, was sich während der vergangenen zwei Wochen abgespielt hat: Ein demokratiepolitisch problematisches Gebilde kam durch einen demokratiepolitisch problematisch agierenden Akteur in Schwierigkeiten, worauf ihn die demokratiepolitisch noch problematischeren Sub-Akteure stürzten, um den demokratiepolitisch problematischen Charakter des Gebildes erhalten zu können.

Die aus Funk und Fernsehen bekannte Tirolerin Martha Schulz übernimmt jetzt erst einmal interimistisch die Präsidentschaft in der Bundeswirtschaftskammer. Sie kündigt Reformen an, hat sich aber noch nicht dazu herbeigelassen, dem Volk mitzuteilen, um welche Reformen es sich dabei konkret handeln könnte. Man kann mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass diese Übergangslösung sich bald als mittelfristige Dauerlösung erweisen wird, denn die längste institutionelle und auch intellektuelle Lebensdauer haben in Österreich seit jeher Dinge und Gedanken, die sich als Provisorium in die Welt geschlichen haben.

Seit 2007, es waren die Zeiten, da die Große Koalition unter dem großen Alfred Gusenbauer Erinnerungen an die goldenen 90er-Jahre aufkommen ließ, stehen die Kammern und vor allem ihre auf Unfreiwilligkeit beruhende Finanzierung im Verfassungsrang. Ohnehin erleichtert die österreichische Verfassung das Verständnis des Wortes „Tagesverfassung“, weil die Großen Koalitionen der Vergangenheit dort all das mit Zweidrittelmehrheit dem Zugriff der Verfassungshüter entzogen haben, von dem sie wussten, dass es offensichtlich verfassungswidrig war. Wäre etwas verfassungskonform, müsste man es ja nicht in den Verfassungsrang erheben: Dieses Prinzip österreichischen Rechtsverständnisses hat im Stillen einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass inzwischen kaum noch jemand, der sich selbst ernst nimmt, die österreichische Politik ernst nimmt.

Die ÖVP wird sich vom Erfolg, den sie unter Sebastian Kurz hatte, so schnell nicht erholen

Goethe hatte naturgemäß völlig recht. Es irrt der Mensch, solang er strebt, bloß wollte er damit nicht sagen, dass man durch das Ende jeder Bemühung den Irrtum hintanhalten könnte. Genau das scheint aber das Schicksal der regierenden Dreierkoalition zu sein. Man kann es in Teilen nachvollziehen, denn jede der beteiligten Parteien hat ein substanzielles Problem.

Die ÖVP ist inhaltlich und personell vollkommen ausgelaugt, sie wird sich vom Erfolg, den sie unter Sebastian Kurz hatte, so schnell nicht erholen. Die SPÖ hat einen Parteivorsitzenden, dem weder in der Partei noch in der breiteren Bevölkerung jemand zutraut, dass er seiner Aufgabe gewachsen ist, und dass der Finanzminister, vor dem sich viele gefürchtet hatten, jetzt der Mister Nice Guy der Regierung ist, überrascht viele, hilft aber auch nicht wirklich jemandem. Und die NEOS mussten wohl erkennen, dass die beiden anderen sie doch nicht unbedingt brauchten, um so weitermachen zu können wie immer.

Auch wenn der Ausgang der Causa Mahrer überraschend ist, weil Rücktritte in Österreich eigentlich nicht vorgesehen sind, zeigt die Debatte über die Wirtschaftskammer und ihre Zukunft in erster Linie, wie verknöchert und operettenhaft das österreichische System geworden ist. Für echte Offenheit und wirkliche Veränderung wird nie gesorgt, deshalb haben die kurzfristigen Marketingerfolge von kommunikativ begabten Einzelfiguren wie Christian Kern oder Sebastian Kurz so verheerende Auswirkungen auf die beiden großen Parteien: Sie bleiben runzlig und ausgelaugt liegen, wenn die heiße Luft aus dem Marketingballon wieder draußen ist.

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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 47/2025 erschienen.

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