Dass „Politik und Gesellschaft" das führende Podcast-Thema ist, liegt an den älteren Nutzern des jungen Mediums. Wenn die Vertreter des schriftlichen Journalismus ihre mündlichen Hausaufgaben machen, entsteht hier ein generationsübergreifender Informationsmarkt.
Wer das hier selbst liest, gehört noch nicht zur wachsenden Gruppe tertiärer Analphabeten der jüngsten Herkunft. Denn für die funktionale Unfähigkeit, zusammenhängende Texte zu lesen oder zu schreiben, gibt es eine neue Ursache: Künstliche Intelligenz (KI). Der Schriftsteller Clemens J. Setz hat in einem Gastkommentar für den Standard bereits erläutert, welch zwiespältige gesellschaftlichen Auswirkungen hinter der aktuell extrem gefragten Kompetenz der präzisen Wunschäußerung lauern.
Je besser jemand dieses Prompten gegenüber der KI beherrscht, desto weniger benötigt er eigene Qualifikationen zum aktiven oder passiven Umgang mit Verschriftlichung. Was der brillant vielseitige Wissenschafter Marshall McLuhan schon 1963 in „Die Gutenberg-Galaxis“ analysiert hat, entspräche dann weniger dem rückblickenden englischen Original-Untertitel „The Making of Typographic Man“ sondern überträfe bei Weitem das dystopische deutsche Pendant: „Das Ende des Buchzeitalters“.
Eine Alternative zum Bewegtbild
Indizien für die Verkürzung der Schriftlichkeit liefern seitdem technologisch getriebene Formen der Kommunikation vom Teletext über die SMS bis zu Twitter. Diese Entwicklung parallel zum Bildschirm-Boom bei gleichzeitiger Minimierung der Videoschnipsel führt zum Trugschluss, die kurzen Bewegt-Bilder, allenfalls durch Wort-Einblendungen garniert, seien das Allheilmittel der Massenansprache. Zumal untertitelte Filmchen infolge Überall-Konsumierbarkeit ein Vielfaches an Abrufen erzeugen.
Neben dieser Instagramisierung der Information erhält der Trend zum Sprechen und Hören zu wenig Aufmerksamkeit. Das galt schon für die alten Medien. Die Tagesreichweite von Radio (3/4 der Bevölkerung) ist höher als von Fernsehen (2/3) und Zeitungen (1/2), sein Nachrichtenwert in Summe aber überschaubar. Bei Podcasts, dem Ururenkel des Hörfunks, ist jedoch „Politik und Gesellschaft“ das Top-Thema. Das ergibt der neue Online Audio Monitor im Auftrag der Medienbehörde RTR.
Potenzielle politische Relevanz
Mehr noch: Laut RTR-Chef Wolfgang Struber sagten 45 Prozent der 18- bis 29-Jährigen, dass Podcasts für sie bei den Nationalratswahlen 2024 eine wichtige Rolle spielten. Dieser extrem hohe Wert verführt aber zum Klischee-Irrtum, dieses Online-Hörerlebnis sei nur etwas für Junge. Die prozentuell höchste Nachrichten-Nachfrage erzielt es in der Generation 50+, von der aber erst 29 Prozent Podcasts nutzen. Wenn diese User-Altersgruppe weiter wächst, steigt der Info-Bedarf wohl noch mehr.
Senioren sind eher technologische Nachzügler als prinzipielle Verweigerer des neuen Hörmediums. Langfristig kann es dem TV-Konsum entsprechen, der auch mit dem Alter steigt. Denn Lesen strengt dann – oft augenbedingt – mehr an. Für Medienmacher, die vom Schreiben kommen, bedeutet das, einerseits mündlich so präzis wie schriftlich zu werden, andererseits audio-adäquate Erzähl- und Gesprächstechniken zu lernen. Damit aus technologischem Fortschritt kein gesellschaftlicher Rückschritt entsteht, müssen möglichst viele die neuen Tools beherrschen. Das Wichtigste wird aber Authentizität bleiben. Statt eine KI zu prompten, muss es eine echte Stimme sein. Glaubwürdigkeit entsteht aus Menschlichkeit.
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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 42/2025 erschienen.