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Kaśka Bryla, 1978 in Wien geborene Tochter von aus Polen stammenden Eltern und "zwischen Wien und Warschau aufgewachsen", ist mit einem Auszug aus ihrem Roman im Vorjahr beim Wettlesen um den Bachmann-Preis angetreten. In dem damals sehr kontrovers diskutierten Text "Der Kakerlakenschwarm" waren, so stellt sich nun heraus, bereits alle wesentlichen Elemente des Romans vorhanden: die Corona-Pandemie, die das Leben der Icherzählerin drastisch verändert hat, die Gulag-Erfahrungen des Vaters, der auch in eigener Sache geführte Kampf um die Rechte queerer Gruppen sowie die Aufzucht des Krähenbabys Karl.
Was in seiner Mischung etwas seltsam anmutet, fußt wohl alles auf persönlichen Erfahrungen - inklusive dem Versuch, das dem verstorbenen Vater zu Lebzeiten gegebene Versprechen, seine Geschichte als Mitglied der polnischen Widerstandsbewegung Armia Krajowa einmal literarisch zu verarbeiten, endlich in die Tat umzusetzen. Die Untergrundarmee hat wie das ganze Land eine bedrückende Geschichte und kämpfte im Zweiten Weltkrieg sowohl gegen die Nazis als auch gegen die Sowjets. Die Tochter arbeitet sich gründlich in die Materie ein, und auf Timothy Snyders "Bloodlands" wird ebenso mehrfach Bezug genommen wie auf die Osteuropa-Studien von Karl-Markus Gauß und Martin Pollack.
Tonbandinterviews mit dem Vater, die endlich abgehört werden, bilden den Roten Faden jenes Erzählstrangs, in dem der Roman ganz persönliche politische Aufklärungsarbeit betreibt. Doch Geschichte ist das eine, Gegenwart das andere. Die wird nämlich geprägt von den Versuchen, endlich mit dem Buchprojekt voranzukommen, von einer schweren Corona-Erkrankung, die die Autorin in die Isolation trieb, und einem kleinen, verletzten und von seinen Eltern verlassenen Vogel, den die nicht nur aus seuchenhygienischen Gründen Abgeschiedene liebevoll pflegt.
Und so pendelt "Mein Vater, der Gulag, die Krähe und ich" zwischen sehr unterschiedlichen Polen. Scheinbar ungeschützte Preisgabe privatester Gefühle und Gedanken wechselt mit Versuchen historischer und politischer Standortbestimmungen. Wofür hat der Vater gekämpft? Was ist der Tochter wichtig? Lassen sich beider Erfahrungen und Überzeugungen vergleichen? Am Ende muss man freilich zugeben: Was dabei mit dem meisten Herzblut erzählt wird, ist die immer stärkere Beziehung der Erzählerin zur Krähe Karl. Die hat freilich ein Ablaufdatum. Denn seine Pflegemutter weiß: Karl gehört in den Himmel und unter seinesgleichen. Tränen werden dennoch vergossen.
(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)
(S E R V I C E - Kaśka Bryla: "Mein Vater, der Gulag, die Krähe und ich", Residenz Verlag, 256 Seiten, 26 Euro. Erscheint am 11.8., Veranstaltung am Fr., 8.8., 18.30 Uhr, in Wien 18., Währinger Park: "Widerstand & Queerness - Wofür wir kämpfen", Lesung und Gespräch von und mit Ronya Othmann und Kaśka Bryla.)