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Der Titel "6 aus 49" führt ein wenig auf die falsche Fährte. Das Buch, das aus 49 kurzen Kapiteln besteht (und im Untertitel mit "4, 15, 22, 28, 36, 47 - 8" einen Lottotipp bereithält), ist keines über Glücksspiel und auch Linas unheimliches Glück, das sie sogar beim "Mensch ärgere Dich nicht" zur Seriensiegerin machte, ist nicht das Hauptthema. Der Lottogewinn wird gar nur en passant erwähnt. Die Regisseurin, die mit ihrem Mann Peter Wolf u.a. die bekannten "Ganymed"-Abende im Kunsthistorischen Museum kreierte und sich im Vorjahr in ihrem literarischen Debüt "Das Haus" mit einem ländlichen Immobilienkauf beschäftigte, hat in ihrem zweiten Buch anderes im Sinn. In "6 aus 49" porträtiert sie ihre Großmutter und ihre Geburtsstadt gleichermaßen.
Jacqueline Kornmüller wurde 1961 in Garmisch-Partenkirchen geboren, und dass die beiden rivalisierenden bayerischen Orte Garmisch und Partenkirchen erst 1935 von Adolf Hitler in Vorbereitung der Olympischen Winterspiele mit einem Bindestrich zwangsverbunden wurden, erfährt man schon bald. Die unrühmliche NS-Geschichte des Ortes schonungslos darzustellen, ist unverkennbar eines der Anliegen des Buches, und die furchtbare Szene, in der eine jüdische Bürgerin von den örtlichen Nazis abgeholt und im Käfig zur Schau gestellt wird, brennt sich ins Gedächtnis ein. Ihr Mann steht in seiner mit Orden geschmückten Uniform aus dem Ersten Weltkrieg über Nacht vor dem Käfig Wache, um sie zu schützen. Er wird brutal niedergeschlagen.
Dass Lina gemeinsam mit ihrer Wahl-Schwester Maria in einem wunderschönen alten Garmischer Haus namens Amalie ein von allen "Luftdeppen" (wie die Sommerfrischler im Luftkurort despektierlich genannt wurden) hoch geschätztes Hotel betrieb, das sie um eine für ihre Qualität weithin gerühmte Daunendecken-Fabrikation erweiterte, nahm auch in der Judenvertreibung ihren Anfang. Der Besitzer ahnte das Kommende, emigrierte 1937 und verpachtete zuvor Lina sein Haus.
Kornmüller, die sich gelegentlich auch selbst als Icherzählerin in ihr Buch einschreibt, hat "6 aus 49" als Kette von Erinnerungen angelegt - an ihre Kindheit und Jugend und an ihre geliebte Großmutter. Diese war ihr in vielem ein Vorbild und überstrahlte ihre Mutter, die im Buch oft bloß als "Linas Tochter" tituliert wird. Lina ist der Star. Sie sieht eines Nachts ein Ufo. Sie wird selbst im Schlaf zum Objekt des Staunens, wenn Schauspielstudentinnen und -studenten, die ihre Enkelin besuchen, um Erlaubnis bitten, die stets mit der Brille in der Hand Schlafende betrachten zu dürfen, sich um das Bett der Großmutter versammeln und von einer geradezu unheimlichen, schläfrig machenden Ruhe erfüllt werden. Solche effektvolle Szenen beherrscht die Theaterfrau Kornmüller auch als Autorin.
Doch "6 aus 49" ist kein auf Effekt, sondern mit viel Gefühl geschriebenes Buch, ruhig und unprätentiös erzählt. Das Ende ist unspektakulär und traurig. Die Erben des Besitzers drängen Lina heraus, um das Haus zu Geld machen zu können. Amalie wird an einen "Brutalo" verkauft, der ebenso wie der nächste Besitzer scheitert. Das Haus verliert seinen Charakter. Die Großmutter stirbt im Heim. Beim Begräbnis schneit es.
(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)
(S E R V I C E - Jacqueline Kornmüller: "6 aus 49", Galiani Verlag, 224 Seiten, 23,70 Euro)
BERLIN - DEUTSCHLAND: FOTO: APA/Galiani Berlin