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Schmidts Markenzeichen sind unspektakuläre Geschichten, die gerade durch die an Lakonie grenzende Nüchternheit ihrer Erzählweise einen Sog entstehen lassen, dem man sich schwer entziehen kann. Das galt für ihre Romane "Ein langes Jahr" (2016) und "Die untalentierte Lügnerin" (2019), mit denen sie für den Deutschen Buchpreis nominiert wurde, das gilt auch jetzt für ihr neues Werk, in dem es am Ende von rund 180 Seiten heißt: "Ich bin nicht unzufrieden, komme halbwegs mit mir zurecht. Mein Leben ist auch ein Leben."
Dieses Leben ist allerdings von Verlusten geprägt. Die Ich-Erzählerin Rosa, eine kürzlich pensionierte Krankenpflegerin, lebt alleine. Ihr Freund Fred ist kürzlich gestorben, seine Familie (Fred war verheiratet, aber nicht mit ihr) verbat sich ihre Teilnahme am Begräbnis. Ihr Sohn Tom hat seit Jahren keinen Kontakt mehr zu ihr. Ihr müder und altersschwacher Hund Don muss eingeschläfert werden. Ihre einzige Freundin geht ihr meist auf die Nerven. Eine von ihrem Partner geschlagene Nachbarin nimmt die von ihr angebotene Hilfe nicht an, während sich umgekehrt Rosa ihrer zunehmend hilfsbedürftigen Mutter gegenüber abweisend verhält. Die Verletzungen von früher sind zu tief. Kein sehr erbauliches Leben also.
Gelegentlich kommen Rosa die Tränen. Und tatsächlich liegt über dem Buch mehr als ein Hauch Melancholie. Unbeschwerte Lebensfreude ist hier nicht zu Hause. Rosa macht weiter, doch sie macht sich keine Illusionen. "Das ist die Geschichte meiner Familie, eine Geschichte wie viele andere. Eine Geschichte von Menschen, die glaubten, einander gefunden zu haben, sich selbst aber nach und nach verloren. In meiner Familie drehte sich alles um Schuld." Und davon ist ja bekanntlich niemand frei.
Frei fühlt sich Rosa zu ihrer eigenen Überraschung im Campingbus, den ihr Fred geschenkt hatte. Er wird Symbol von Aufbruch und Veränderung. Die kommt jedoch anders als gedacht: Gleich bei ihrem ersten mehrtägigen Ausflug bekommt sie von einer Fremden eine Hündin buchstäblich angehängt. Diese weicht ihr fortan nicht mehr von der Seite. Der Bus allerdings wird von der Nachbarin Melody zu Schrott gefahren, als sich diese ihn für ihren eigenen Ausbruch aus dem Alltag ausborgt. Dafür fasst Melodys Tochter zunehmend Vertrauen zu Rosa, und auch Tom meldet sich nach Jahren der Funkstille plötzlich mit einem Brief aus Finnland. Er wird Vater, und seine Partnerin würde Rosa gerne einmal kennenlernen. "Vielleicht kannst du uns irgendwann einmal besuchen."
Es gibt also doch nicht nur Soll, sondern auch manches Haben in der Lebensbilanz dieser Frau, die uns Eva Schmidt in dem empfehlenswerten Buch nahe bringt. Aber nicht zu nahe. Fremden gegenüber hält man lieber Distanz. Man weiß ja nie, was einem sonst widerfahren könnte - am Ende gar eine Begegnung mit sich selbst ...
(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)
(S E R V I C E - Eva Schmidt: "Neben Fremden", Jung und Jung, 182 Seiten, 24 Euro, Buchpräsentation beim Literaturfestival O-Töne heute, 21.8., 20 Uhr, im Wiener Museumsquartier.)
SALZBURG - ÖSTERREICH: FOTO: APA/APA/JungundJung/Klaudia Longo/Klaudia Longo