News Logo
ABO

Spitzentöne: Das Altern am Beispiel der Familie Hörbiger-Wessely

Subressort
Aktualisiert
Lesezeit
7 min

©Imago / Pop Eye

Ein dezent besinnliches Gespräch im Freundeskreis über das Altwerden führt erst zu Luc Bondy, dann zur großen Elisabeth Orth und ihren plötzlich wieder aktuellen Eltern, die dank Elfriede Jelinek aus dem halben Vergessen geholt werden.

Eine überschaubar ermutigende Frage haben wir einander kürzlich im Freundeskreis gestellt: Wann bist du draufgekommen, dass du älter wirst? (Damit Sie jetzt weder zurückprallen noch falschen Erwartungen erliegen: physiologische Aspekte wurden schon vor Gesprächsbeginn disqualifiziert). Die Antwort aller Antworten hat mir einst der Weltregisseur Luc Bondy geschenkt: Er habe, sagte mir dieser so fragile wie ruhelose Bewunderer der Frauen, in der Pariser Metro eine schöne junge Dame begehrlich angeblickt. Da habe sie ihm den Platz angeboten. Dieser Augenblick habe für ihn die Zeitenwende Richtung Vergänglichkeit markiert.

Ohne mich mit Bondy vergleichen zu wollen, muss ich Ihnen jetzt anvertrauen, dass mir das Nämliche vor einiger Zeit in der U4 zugestoßen ist. Nur, dass die Dame zwar jung und schön war, ich aber gar nicht geblickt hatte! Trotzdem hat es mich ereilt. Um dem aufschießenden Schrecken mit dem kläglichen Versuch einer Weltmannsgeste zu begegnen, lehnte ich unter Verweis auf Luc Bondy ab. Aber die Dame wusste nicht, wer das war. Da war ich alt.

Warum ich Sie mit derlei Privatheiten behellige? Weil mir die Eingangsfrage von Tag zu Tag schwerer im Nacken sitzt. Unversehens wird man vom Zeitgenossen zum Zeitzeugen. Wann immer ein hochbetagter Unsterblicher von uns geht, bin ich der Erste, der vom ORF zum Gedenken angefordert wird. Waltraut Haas ist mit fast 100 gestorben? Kein Problem, ich kenne sie noch von der Bühne und hatte sie sogar in meiner Literatursendung zu Gast.

Elisabeth Orth

Montag saß ich wieder im Studio von ORF III, und da wurde es noch um ein Jahrhundert ärger. Es ging zunächst um den Tod der sehr großen Schauspielerin Elisabeth Orth. Sie war fast 90 und hat im Film kaum Spuren hinterlassen. Auch in dieser Hinsicht glich sie dem augenhohen Gert Voss: Beide waren geborene Bühnenmenschen, die über drei Stunden Aufführungslänge, auf Anforderung auch über zehn Minuten Schweigen, Spannung und Präsenz halten konnten. Für ein paar Filmsekunden zwölf Mal Aura zu mobilisieren und dann auf die nächste Aura umzuschalten, war den beiden Giganten fremd.

Aber auf der Bühne, da waren sie Jahrhunderterscheinungen. Elisabeth Orth hatte ihre größte Zeit Anfang der Zweitausenderjahre in der idealen Konstellation mit Andrea Breth, die ich nach kurzem Zögern die letzte aktive Epochemacherin ihres Berufs nenne. Die Ver­eisungskunst ihrer Elisabeth in „Maria Stuart“ war das eine. Aber wie irrsinnig komisch Elisabeth Orth und Andrea Breth sein konnten, als sie mit Schwänken von Charms und Courteline Spießer­gewissheiten zur Detonation brachten, bis wir Zuschauer niederbrachen! Oder gar „Don Carlos“: In das Chaos ungelebter und todgeweihter Leben am spanischen Hof trippelte, erst auf den dritten Blick wahrnehmbar, ein winziger, vertrockneter Pfaffe, in dessen brauner Aktentasche das Böse auf Erden verwahrt war. Solch einen Großinquisitor hatte die Welt diesseits und jenseits des Theaters noch nicht gesehen.

Elisabeth Orth war die Größte der Töchtergeneration, weil sie dem Größten der Elterngeneration am ähnlichsten war

Die verblassten Ikonen

Elisabeth Orth war für mich die Größte der ikonischen Töchtergeneration. Weil sie dem für mich Größten der ikonischen Elterngeneration schon habituell am ähnlichsten war. Die Töchter Christiane und Maresa waren respektive sind der Mutter wie aus dem Gesicht gerissen. Aber Paula Wessely mochte ich nie besonders, ihr Demutsgesang schien mir elaboriert. Orths Ebenbild Attila Hörbiger hingegen war einer der Größten, denen ich je begegnen durfte: ein Kraftschauspieler, sonst eine oft beschwerliche Spezies der Brüller und Brusttrommler – aber einer, bei dem man die Nervenenden durchschimmern sah, und ein klarer, gewaltiger, stets heutiger Rhetoriker, der alle Tricks kannte und keinen gebrauchte.

Die Familie, fast schon vergessen, ist jetzt wieder im Gespräch. Und dass Elisabeth Orth am Vortag der Premiere von Elfriede Jelineks Fulminanzposse „Burgtheater“ starb, ist eine Pointe der Kulturgeschichte. Sie tritt da nämlich als Kinderdarstellerin auf: erst 1941, als das Elternpaar auf der Höhe seiner Gottbegnadeten-Glorie mit dem Propagan­dafilm „Heimkehr“ beschäftigt ist. Und dann vier Jahre später, als die Russen vor der Tür stehen und die nie beim Namen genannte Wessely in kurzfristiger Umnachtung die Kinder verbrennen will (der Regisseur Otto Preminger hat das in seinen Memoiren behauptet).

Der Tumult

Die Uraufführung anno 1985 im fernen Bonn wurde bei uns zum Tumult, den (wieder die Sache mit dem Voranpreschen der Jahre) ich im Gefolge eines Interviews mit der späteren Nobelpreisträgerin befeuert habe. Elisabeth Orth hat an dem Stück gelitten und mehrfach Klage erwogen. Aber sie hatte auch frühzeitig den dynastischen Namen gewechselt und sah Jelineks Werk am Ende als Gelegenheit, Begangenes unter dem Teppich der Verdrängung hervorzuholen.

Den Tumult wollte jetzt der Festwochen-Intendant Milo Rau am Titeltatort repetieren, aber die einst titanischen Originale sind nur noch reiferen Mitbürgern wie mir (schon wieder!) geläufig. Also hat Rau den irren, perfekten Text zusammengestrichen und das Ganze dafür mit FPÖ und Netanjahu gestreckt. Birgit Minichmayr, Caroline Peters und Mavie Hörbiger (als ihr Großvater Paul) sind grandios, die Hütte ist voll. Das ist schon etwas, aber ich wette, das Stück hätte als zeitloses Modell des Anpasslertums auch ohne biografische Detailkenntnisse gehalten.

Oder haben Sie Geschichte des englischen Spätmittelalters studiert? Eben. „Richard III.“ verstehen Sie aber trotzdem, stimmt’s?

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte: sichrovsky.heinz@news.at

Neuer Newsletter! Heinz Sichrovsky informiert Sie direkt: Melden Sie sich hier zu seinem Newsletter an!

Ihre Leserbriefe zu Kulturthemen finden Sie hierzu den Leserbriefen!

Über die Autoren

Logo
Monatsabo ab 20,63€
Ähnliche Artikel
2048ALMAITVEUNZZNSWI314112341311241241412414124141241TIER