News Logo
ABO

Budgetdefizit: Warum eigentlich nur drei Prozent?

Subressort
Aktualisiert
Lesezeit
9 min

Finanzminister Markus Marterbauer

©Matt Observe

Wenn Finanzminister Markus Marterbauer morgen seine erste Budgetrede hält, wird es auch um die Maastricht-Regeln für unsere Staatsschulden gehen. Und darum, warum Österreich diese Budgetgrenzen so deutlich verfehlt. Doch wie kommt es überhaupt zu diesen Zahlen: drei Prozent Neuverschuldung und 60 Prozent des BIP als Schuldenquote?

Maastricht ist eine mittelgroße Stadt, eine der ältesten der Niederlande, zwischen zwei Flüssen gelegen. Die Maas prägt das Zentrum, der Jeker schlängelt sich zwischen Stadt und Weinbergen. Seine Wassermühlen und Blumenfelder ringsum locken zahlreiche Touristen an. Rund 126.000 Menschen leben hier. Doch richtig bekannt ist die Stadt wegen der EU und ihrem Regelwerk. (Ein Schicksal, das man mit dem luxemburgischen Städtchen Schengen teilt, aber das ist eine andere Geschichte.)

In Maastricht nämlich wurde vom Europäischen Rat 1992 einer der wichtigsten Verträge der Union unterzeichnet. Er enthält u. a. jene ­wirtschaftlichen Kriterien, sprich: die Maastricht-Kriterien, durch die die Stabilität der gemeinsamen Währung, des Euro, gesichert werden soll. Jene Regeln also, derentwegen Österreichs Finanzminister Markus Marterbauer bei seiner ersten Budgetrede am 13. Mai vor allem über ein riesengroßes Sparpaket sprechen muss. Denn die hier festgeschriebenen Vorgaben – das jährliche Defizit darf nicht mehr als drei Prozent und der öffentliche Gesamtschuldenstand nicht mehr als 60 Prozent des BIP betragen – hat Österreich glatt verfehlt. Ein Defizitverfahren unter Aufsicht der EU-Kommission steht bevor. Ein Schicksal, das acht weitere EU-Länder bereits teilen.

Die harten Zahlen

Wie deutlich Österreich das Maastricht-Ziel von maximal drei Prozent Neuverschuldung letztes Jahr verfehlt hat, hat Statistik Austria ausgerechnet, die Ende März und Ende Juni den Staatsschuldenstand veröffentlicht. Die aktuellen Zahlen: 22,5 Milliarden Euro bzw. 4,7 Prozent beträgt das Defizit für das Jahr 2024. Die Schuldenquote liegt damit bei 81,8 Prozent des BIP anstatt der angestrebten 60. Wie diese Zahlen zustande kommen, erklärt der Chef von Statistik Austria Tobias Thomas so: „Um die Defizitquote zu berechnen, brauchen wir drei Größen: die Einnahmen des Staates – also von Bund, Ländern, Gemeinden, Sozialversicherungen –, die Ausgaben und das aktuelle Bruttoinlandsprodukt des betreffenden Jahres.“

Die Wirtschaftsleistung wirkt sich unmittelbar auf die Defizitquote aus, so Thomas: „Schrumpft die Wirtschaft, sinken auch die Einnahmen des Staates, wie z. B. aus der Körperschaftsteuer. Der Staat hat also weniger Geld, das er ausgeben kann. Wenn aber gleichzeitig die Ausgaben hochgehen, so wie 2024 durch die Pensionserhöhungen und Gehaltsabschlüsse der öffentlich Bediensteten, gerät der Staatshaushalt immer stärker ins Ungleichgewicht.“

Der Staat sollte wissen, was er ausgibt. Das passiert nicht einfach so, sondern fußt auf politischen Entscheidungen und gesetzlichen Grundlagen

Auch wenn Österreichs Politik vom hohen Defizit überrascht schien, überraschend kommt es nicht. Erstens publiziert Statistik Austria laufend Zahlen über die budgetäre Entwicklung. Und zweitens: „Der Staat sollte wissen, was er ausgibt. Das passiert nicht einfach so, sondern fußt auf politischen Entscheidungen und gesetzlichen Grundlagen. Allerdings ist es bei der Wirtschaftsleistung nicht so gut gelaufen, wie von manchen erhofft“, so Thomas.

Die Schuldenquote wird auf Basis der absoluten Schulden in Relation zum BIP berechnet. Kerstin Gruber von der Direktion Volkswirtschaft erklärt, wie das geht: Die Einnahmen und Ausgaben des Staates werden laufend von Statistik Austria gesammelt. Schon Wochen vor dem gesamtstaatlichen Defizit wird das vorläufige Bruttoinlandsprodukt des Jahres errechnet. Für die Berechnung des öffentlichen Defizits zieht man nicht nur die Budgetzahlen von Bund, Ländern und Gemeinden heran, man benötigt auch Daten von „außerbudgetären Einheiten“, wie Teilen der ÖBB oder der Bundesimmobiliengesellschaft. Für Bereiche, deren Zahlen erst später kommen, werden Schätzmodelle erstellt. Dazu braucht es viel fachliche Expertise, „wie man Strukturen oder Wendepunkte einschätzt, wie man Informationen aus der Vergangenheit in die Gegenwart spiegeln kann, oder wie man erkennt, dass eine Branche im Umbruch ist oder sich die Konjunktur eintrübt“, erklärt Gruber. „Was wir in der Direktion Volkswirtschaft machen, ist also die Abbildung des realen Wirtschaftskreislaufs in einem Rechensystem.“

Blurred image background

Ausgaben lassen Schuldenquote auf 81,8 Prozent steigen. Auch nach der Banken- und Finanzkrise 2008 lag Österreichs Schuldenstand deutlich über dem von der Europäischen Union eigentlich erlaubten. Auch damals gab es ein Defizitverfahren unter Aufsicht der EU-Kommission. Corona- und Inflationskrise ließen das Budgetdefizit neuerlich aus dem Ruder laufen.

Mitterrand und die drei Prozent

Acht Milliarden Euro weniger hätte Österreich im Vorjahr ausgeben müssen, um die Drei-Prozent-Grenze zu schaffen. Doch wie kommt es überhaupt zu dieser Zahl: drei? Sie wurde von französischen Finanzbeamten in den 1980er-Jahren während der Präsidentschaft von François Mitterrand (1981 bis 1995) relativ willkürlich festgelegt. Der brauchte Argumente, um die Neuverschuldung im Rahmen zu halten. Mehr als drei Prozent seien schädlich, hieß es also.

Ebenso willkürlich wurde diese Zahl von der Europäischen Union übernommen und die 60 Prozent Gesamtschuldenquote festgelegt, als man sich Regeln zum Schutz des Euro gab. Tobias Thomas erklärt die Notwendigkeit der Maastricht-Kriterien so: „Man sieht in vielen Volkswirtschaften, dass oft in Rezessionsphasen die Staatsschuld kräftig angestiegen ist, in Boomphasen aber nicht mehr abgebaut wurde. Solange Staaten mit eigenen Währungen agieren, regelt sich das mehr oder weniger automatisch auf den Finanzmärkten: Ist die finanzielle Lage eines Staates schlecht, muss er höhere Zinsen für seine Kredite bezahlen und der Konsolidierungsdruck steigt.“ Mit Einführung der Währungsunion falle dieser Automatismus aber weitgehend weg, weil die Märkte von einer gegenseitigen Haftung für Staatsanleihen ausgehen und Kredite daher günstig bleiben. „Das führt in der Tendenz zu einer ausgedehnten Staatsverschuldung. Das wussten die Gründerväter und -mütter der Währungsunion sehr genau und haben daher die Defizit- und Schuldengrenzen im Maastricht-Vertrag festgelegt.“

Milliarden, die anderswo fehlen

Man hätte die Grenzen auch anders ziehen können. „Die Drei-Prozent-Grenze und die 60 Prozent Staatsverschuldung sind relativ beliebige Werte. Die Tragfähigkeit der Staatsverschuldung hängt aber nicht von irgendwelchen Zahlen ab, sondern von Wachstumsentwicklung oder Verzinsung. Daraus kann man berechnen, wie viel Neuverschuldung möglich ist, ohne dass die Schuldenquote immer weiter steigt und die Zinslast und der Schuldendienst zu hoch werden“, erklärt Thomas, der auch Professor für Volkswirtschaftslehre an der Uni Graz ist.

Die Milliarden, die Finanzminister Markus Marterbauer für Schuldentilgung und Zinslast bereitstellen muss, fehlen an anderen Stellen: etwa für die Budgetkonsolidierung, Investitionen ins Bildungs- oder ins Gesundheitssystem. Und unabhängig von den Maastricht-Gren­zen gilt: „Ein hoher Schuldenstand nimmt der Politik den Spielraum, wenn eine zusätzliche Krise kommt. Auch das ist ein Grund, die Staatsverschuldung nicht aus dem Ruder laufen zu lassen“, so Thomas.

Dass es möglich ist, die Schuldenlast zu drücken, haben andere EU-Länder gezeigt. Schweden war in den 1980er- und 90er-Jahren hoch verschuldet und ist jetzt unter den Musterschülern. Griechenland hat sich nach rund 210 Prozent Schuldenquote (2020) auf 153,6 des BIP gekämpft. Mit 0,6 Prozent Neuverschuldung 2024 untertrifft es die Drei-Prozent-Marke deutlich.

Österreich steht nicht nur wegen der Maastricht-Kriterien vor Herausforderungen. Statistik-Chef und Volkswirt Thomas sagt: „Es gibt noch breitere Betrachtungsmöglichkeiten für die Staatsfinanzen. Etwa indem man die Zahlungsverpflichtungen eines Staates für die Zukunft in den Blick nimmt. Zu dieser impliziten Staatsverschuldung gehören etwa die Pensionsverpflichtungen in der Zukunft.“

Und was diese betrifft, läutet der Fiskalrat schon die Alarmglocken.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 19/25 erschienen.

Über die Autoren

Logo
Monatsabo ab 20,63€
Ähnliche Artikel
2048ALMAITVEUNZZNSWI314112341311241241412414124141241TIER