Fußballsaison statt Jagdfieber: Josef Pröll hat als neuer ÖFB-Präsident die schwierige Aufgabe, den Sportverband trotz interner Querelen und anderer Hürden zu professionalisieren.
Im österreichischen Fußball gibt es nur zwei Aggregatzustände: Grenzenlose Begeisterung, gemischt mit Euphorie und einer Spur Größenwahn. Oder Resignation in Kombination mit provinzieller Selbstverachtung. Dazwischen bleibt wenig Platz, schon gar nicht für eine nüchterne, professionelle Herangehensweise. Das zeigt sich vor allem beim Herren-Nationalteam: Mal ist die Mannschaft rund um David Alaba auf dem besten Weg, Welt- oder zumindest Europameister zu werden. Im nächsten Moment wendet sich die österreichische Gefolgschaft doch lieber dem Skisport zu – da sind wir garantiert eine Top-Nation, weil es so wenig Konkurrenz gibt.
Dabei ist Fußball die Sportart Nummer eins in Österreich mit 2.000 Vereinen und 270.000 Aktiven; jedes Wochenende begeistern sich dafür eine halbe Million Menschen – Spielerinnen und Spieler, Fans, Schiedsrichter, Funktionäre. Und nun hat der Österreichische Fußballbund (ÖFB) einen neuen Chef: Josef Pröll wurde im April zum Aufsichtsratsvorsitzenden gewählt. Zum Fußball hat der Ex-Politiker eine enge Beziehung: Er war im Aufsichtsrat der Wiener Austria und fungierte für drei Jahre als deren Vizepräsident. Dass in dieser Zeit die Schulden des Vereins in unerfreuliche Höhen gestiegen sind – unter anderem wegen wirtschaftlicher Selbstüberschätzung und eines teuren Stadionbaus – wird ihm in seiner neuen Rolle kaum schlecht angerechnet werden. Da waren noch einige andere Wirtschafts- und Politik-Kapazunder dabei, ohne die Schuldenbremse zu betätigen.
Gekommen, um aufzuräumen
Was kommt auf den ehemaligen Finanzminister zu? Der Sportverband gab die vergangenen Jahre ein bisweilen peinliches Bild ab: Nach dem Abgang von Leo Windtner im Jahr 2021 waren nicht weniger als vier Präsidenten – so die inoffizielle Titelbezeichnung der Funktion – in Amt und Würden. Wobei Würde nicht das Wort ist, das einem einfallen würde, denn interne Querelen, der Zwang zu halb peinlichen Auftritten und eine gewisse Nonchalance gegenüber langfristigen Aufgaben prägten diese Amtszeiten mal mehr, mal weniger. Immerhin kann man sich bei Pröll sicher sein, dass er sich den Job nicht antut, um in der Öffentlichkeit sichtbar zu werden – diese Phase hat der Stockerauer hinter sich gelassen. Er hat sogar das Amt als Landesjägermeister zurückgelegt, um nun die ehrenamtliche Funktion im ÖFB auszuüben. Und das will was heißen, schließlich war Pröll da Nachfolger von Christian Konrad. Apropos: Pröll ist ebenfalls eine fixe Größe im Team Raiffeisen. Er ist Generaldirektor der Leipnik-Lundenburger Invest Beteiligungs AG, die Holding ist unter anderem an Mühlen beteiligt und gehört zur Raiffeisengruppe. Raiffeisen ist übrigens einer der wichtigsten Sponsoren des ÖFB – und hat daher ein Interesse, dass dort ordentlich gearbeitet wird.
Pröll hatte vor der Abstimmung klargestellt, dass er den Posten nur annehmen werde, wenn die Wahl einstimmig erfolge – also alle mächtigen Landeschefs ihn akzeptieren würden. Nachdem das der Fall war, kann er gleich mal daran gehen, die Forderungen der einzelnen Länder abzufedern. Mit Föderalismus kennt er sich aus; im Fußball ist die Diskrepanz zwischen Profi- und Amateurbetrieb allerdings ungleich größer als in der Wirtschaft oder in der Politik. So fühlen sich manche Landeskaiser dazu berufen, zu jedem möglichen und unmöglichen Thema ihren Senf dazuzugeben, von der Trainerbestellung abwärts. Aber auch in der ÖFB-Zentrale gärt es: Durch die höchste operative Ebene verläuft ein Riss, denn Geschäftsführer Bernhard Neuhold (CEO der ÖFB-Wirtschaftsbetriebe GmbH) und Generalsekretär Thomas Hollerer können einander nicht leiden, um es höflich auszudrücken. Die Streitigkeiten der beiden Führungskräfte lähmten zeitweise den gesamten Verband. Die Kündigungen von beiden wurden beschlossen, dann wieder zurückgenommen. Noch gibt sich Pröll diplomatisch, er will sich zunächst selbst ein Bild machen.
„Diese Zeit werde ich mir nehmen“, sagt der neue ÖFB-Chef zu seinen ersten Amtstätigkeiten – gemeint sind nicht medienwirksame Auftritt mit überschaubarem Inhalt, wie das einige seiner Vorgänger zuweilen praktizierten. Viel lieber will Pröll die „Menschen kennenlernen und die Herausforderungen ausloten“. Von denen gibt es wahrlich einige.
Was Pröll erwartet
Neben den internen Querelen krankt der ÖFB an ständigen Diskussionen um Teamchef Ralf Rangnick (der selbst sein Schäuferl dazu beiträgt) und einem Mangel an einer langfristigen Strategie, die alle Bereiche umfasst, von den Nationalteams über die Zusammenarbeit mit den Profiklubs bis zum Amateursport. Und da ohne Geld nichts geht, braucht es für die Finanzierung moderne Konzepte, falls möglich ohne politische Hintergedanken. Parteipolitik soll für ihn in dieser Funktion keine Rolle spielen, hat Pröll bereits klargestellt.
Ein weiteres zentrales Thema wird ein neues Nationalstadion sein, denn die heimische Fußballgemeinschaft fordert seit Längerem eine adäquate Spielstätte für Alaba & Co. Das altehrwürdige Happelstadion ist nicht einmal mehr das – nämlich ausschließlich alt, von ehrwürdig kann keine Rede mehr sein. Die veraltete Infrastruktur verhindert auch die Austragung internationaler Endspiele in Wien. Allzu viel Zeit wird sich Josef Pröll also nicht nehmen können.


Jsoef Pröll, 56
in Stockerau (Niederösterreich) geboren, war nach dem Studium der Agrarökonomie im Bauernbund tätig. Von 2003 bis 2008 war er Landwirtschaftsminister; 2008 wurde er ÖVP-Bundesparteiobmann und agierte in der Regierung Faymann als Finanzminister und Vizekanzler. Aus gesundheitlichen Gründen zog er sich 2011 aus der Politik zurück, im selben Jahr wurde er Vorstandssprecher der Holdinggesellschaft Leipnik-Lundenburger (u. a. Mühlen und Café+Co, Teil der Raiffeisen-Holding NÖ-Wien). Von 2012 bis 2025 war er als Nachfolger von Christian Konrad Landesjägermeister. Im Fußballgeschäft kennt sich der Vater von Staatssekretär Alexander Pröll ebenfalls aus: Von 2012 bis 2021 war er Aufsichtsrat der Wiener Austria, für drei Jahre auch Vizepräsident. Seit April ist Pröll ÖFB-Aufsichtsratsvorsitzender.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 25/25 erschienen.