Das Begräbnis des Papstes war ein letzter symbolischer Akt. In den Ritualen findet Wiedererkennung statt, der disruptive Ansatz mutet hingegen diabolisch an: Es wird durcheinandergeworfen, was nicht zusammenpasst, und am Ende weiß oft niemand mehr, wohin er eigentlich gehört.
Als sich am vergangenen Wochenende in Rom, der Urbs aeterna, der ewigen Stadt, mehrere Hunderttausend Pilger und Hunderte Großmächtige von den menschlichen Überresten des argentinischen Kommunisten Jorge Mario Bergoglio verabschiedeten, standen einander auf beiden Seiten des membrandünnen Zauns, der die Lebenden von den Toten trennt, zwei Konzepte gegenüber, die sich miteinander noch nie besonders gut vertragen haben: Kontinuität und Disruption.
An sich denkt die Kirche, so sie denn denkt, bekanntlich in Jahrhunderten, das fördert die Herausbildung von erlern- und verstehbaren Traditionen, von Ritualen. So wird auch das Verstehen von Symbolen erlernt, denn ein Symbol war bei den alten Griechen nichts anderes als ein Erkennungszeichen: ein Ring aus Ton oder Metall, den man beim Abschied zerbrochen und auf zwei oder mehr Personen aufgeteilt hat. Wenn dann irgendwann nach einer Katastrophe einmal die Besitzer der anderen Hälfte oder ihre legitimen Erben gefunden und aus den Stücken wieder ein Ganzes gemacht wurde, wenn man also die Teile wieder zusammengefügt hatte („symbolein“ heißt zusammenwerfen), dann war klar: Man gehörte zusammen. Man könnte auch sagen: Zusammen gehören die, die dieselben Symbole erkennen und verstehen.
Diabolische Symbole
Derjenige, der das verhindern wollte, war der, der die Teile auseinanderwerfen („diabolein“) wollte, es war der Diabolos, der Teufel. Der Teufel bringt die Dinge auseinander, er lässt die passenden Stücke und Menschen nicht zusammenkommen, will nicht, dass Erkennen und Wiedererkennen stattfinden, lebt von der Verwirrung und dem Misstrauen, das entsteht, wenn viele Menschen sich nicht zurechtfinden, weil sie nicht wissen, wohin und zu wem sie gehören, wessen Gemeinsamkeiten und Eigenheiten sie eigentlich teilen, wo sie letztendlich zu Hause sind.
Soweit die Katechese. Ihre Vermittlung ist naturgemäß schwierig geworden in einer Welt, in der sich manchmal alles in Sekundenschnelle ändern kann, weil jemand eine Erfindung zur Markt-reife führt, einen Krieg beginnt, mit dem niemand mehr gerechnet hätte, oder einen Satz sagt, der so unerhört und ungehört ist, dass die Welt in Schockstarre verfällt. Zu wem gehört man noch in der Welt, wenn alle mit Symbolen herumwerfen, die oder deren Teile einem zwar bekannt vorkommen, aus denen aber kaum noch jemand in der Lage ist, ein großes Ganzes herauszulesen, das einem die Beruhigung des Verstandenseins und der Zugehörigkeit vermitteln könnte?
Die katholischen Päpste, ob man ihr politisches Engagement und ihre moraltheologische Rigidität mochte wie bei Johannes Paul II, ob man theologischen Laubsägearbeiten mit Edelholzintarsien etwas abgewinnen konnte wie bei Benedikt XVI., ob man die NGO-Sprache verstanden hat, die sich immer mehr an Greta Thunberg zu richten schien als an meine Tante im oberen Murtal, bei Franziskus: Papst ist Papst, man erkennt ihn am Gewand und am Auto, an der Mütze und am Stab, und ob man progressiv oder konservativ, liturgisch indifferent oder charismatisch war und ist: Jeder Papst ist „unser Papst“. Das ist, konzentriert auf die Person an der Spitze, die Stärke der katholischen Kirche gegenüber vielen anderen Religionen: Wiedererkennung und Präzision, Wiederholbarkeit und Zuverlässigkeit.
Für die Kardinäle, die jetzt im Konklave einen Nachfolger für Franziskus zu wählen haben, stellt sich also die alte Frage von Politik und Kirchenpolitik: Kontinuität oder Disruption? Soll der begonnene Kurs des Argentiniers, der Europa längst aufgegeben hat und sich fast ausschließlich um die wachsenden Christengemeinden an den südlichen und östlichen Rändern der Welt gekümmert hat, fortgesetzt werden? Oder soll wieder mehr Ordnung in die Bude, damit das institutionelle, dogmatische und logistische Chaos, das der Individualist auf dem Papstthron hinterlassen hat, aufgeräumt werden kann?
Der Disrupteur schießt auf alles, was sich bewegt, und verhandelt dann mit denen, die noch ansprechbar sind
Die Kardinäle haben als Beispiel Europa und die Vereinigten Staaten vor sich: Hier die braven Abarbeiter der Kommission mit der höflichen Frau von der Leyen an der Spitze, die zwar selten ein Formular vergessen haben, aber im Wesentlichen nichts mehr zu sagen -haben in der Welt, außer wenn es hinterher ans Zahlen geht. Dort der arg frisierte Cowboy mit seinen wilden Jungs, die zuerst einmal auf alles schießen, was sich bewegt, und dann mit denen verhandeln, die noch ansprechbar sind.
Es gibt sie überall, die Disrupteure, in größerer oder kleinerer Form, unser österreichischer Bonsai-Disrupteur heißt Herbert Kickl. Man hat ihn nach dem gescheiterten Versuch, an die Spitze der Regierung zu kommen, im Wintergarten deponiert. Dort wächst er weiter, während die stolzen Eichen von ÖVP und SPÖ sich im Kompromiss üben, den sie für viel zu österreichisch halten, um die Disruption zu umarmen, was vielleicht aber nur bedeutet, dass man einander höflich, verbindlich und gemächlich die Äste abschneidet, auf denen der Wohlstand sitzt.
Franziskus war noch für jeden erkennbar, gefiel sich aber auch in der Rolle des Disrupteurs. Sein Wirken wird in der Kirche kaum nachhaltig spürbar sein, aber sein Ansatz könnte Schule machen.
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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 18/2025 erschienen.