Robert Francis Prevost war Franziskus’ Wunschkandidat. Autofahren ist seine einzige Leidenschaft, seine Witze über Trump waren beliebt.
Als am 13. Mai 1981 Mehmet Ali Ağca auf dem Petersplatz auf Papst Johannes Paul II. schoss, schockte die Nachricht auch einen seiner Diakone, der ihm gedient hatte und an diesem Abend intensiv für sein Leben betete. Es war der damals 25-jährige Robert Francis Prevost, der sich darauf vorbereitete, keine 500 Meter vom Ort des Attentates entfernt in der Santa-Monica-Kapelle zum Priester geweiht zu werden.
Prevost war in den USA in den Orden der Augustiner eingetreten und angesichts seines Eifers nach Rom geschickt worden, um Kirchenrecht zu studieren. Der stille Amerikaner, der im Süden von Chicago aufgewachsen war, zog in die Räume über der Santa-Monica-Kapelle ein. Dass ausgerechnet diese kleine Kirche eines Tages als Vorzeichen gedeutet werden könnte, dass Prevost zum Papst gewählt werden würde, hätte sich der Student damals nicht träumen lassen.
Papst Franziskus’ Nachfolger
Als Papst Franziskus sich im Jahr 2023 entschloss, Robert Francis Prevost zum Kardinal zu erheben, vertraute er ihm, wie bei allen Kardinälen üblich, eine Titularkirche an, und zwar diese Santa-Monica-Kapelle. Dass der Papst der Bescheidenheit, Franziskus, einem Kardinal diese kleinste aller Kapellen als Titularkirche anvertraute, sehen besonders fromme Kirchenmänner als eines der Zeichen an, dass er diesen Mann als Nachfolger empfehlen wollte.
Das Leben als Student des Kirchenrechts war für Robert Francis Prevost nicht annähernd so streng wie noch ein Jahrzehnt zuvor. Die Studenten mussten nicht mehr zu einer bestimmten Zeit zu Hause sein, sondern besaßen bereits einen Schlüssel für das Mutterhaus. Wer nicht allzu sehr über die Stränge schlug, konnte ein relativ freies Leben in Rom führen.


Der Wunschkandidat: Robert Francis Prevost (links) entsprach den Vorstellungen von Papst Franziskus als Oberhaupt der katholischen Kirche. 2023 wurde der gebürtige Amerikaner zum Kardinalbischof ernannt.
© Bild: Getty Images120 Euro Taschengeld im Monat
Doch von den üblichen Vergnügungen eines modernen Studenten war das Leben von Robert Francis Prevost weit entfernt. Sein Entschluss, bei den Augustinern einzutreten, brachte nicht nur mit sich, dass er sich entschlossen hatte, sein Leben lang in einer Gemeinschaft zu leben. Er war auch einem uralten Bettelorden beigetreten, der als einer der ältesten der Welt gilt. Der heilige Augustinus (354–430) soll die Grundlagen für die Ordensregel festgelegt haben. Im Mittelalter richteten sich vor allem zahlreiche Eremiten nach diesen Regeln, der Orden der Augustiner entstand dann im 13. Jahrhundert. Die Mitglieder sehen sich als Mönche, die in Armut und in Klöstern leben. Für Robert Francis Prevost bedeutete das, dass er sich entschlossen hatte, sein ganzes Leben lang selbst auf die bescheidenste Form von Luxus zu verzichten. Noch Jahrzehnte später als Ordensoberer musste er wie alle Mönche im römischen Haupthaus mit dem Generalat, einem monatlichen Taschengeld von 120 Euro, auskommen. Mehr als zweimal Pizzaessen mit einem Freund pro Monat ist mit der Summe in Rom nicht drin, dann ist das Geld für einen Monat weg.
Seine brillante Karriere an den Hochschulen, die ihn zu einem gefragten Wissenschaftler in den USA und in Italien machte, scheint Papst Leo XIV. nicht wirklich ausgeführt zu haben. Wie viele Augustiner beschloss er, in die Mission zu gehen – nach Lateinamerika.
Damit schien eines vollkommen klar zu sein: Der US-Amerikaner, der in Peru begann, sich um die Ärmsten der Armen zu kümmern, schien auf einem Abstellgleis gelandet zu sein. Papst Johannes Paul II. und dessen Nachfolger Papst Benedikt XVI. sahen die Bemühungen der Missionare in Lateinamerika äußerst kritisch. Die Theorien der Theologie der Befreiung breiteten sich unter den Priestern in Lateinamerika aus. Die zentrale Überzeugung lautete: Die Menschen Lateinamerikas werden nicht arm geboren, sondern durch das System arm gemacht. Einige Gruppierungen der Theologen der Befreiung sahen sogar den bewaffneten Kampf gegen das System für gerechtfertigt. Sie beriefen sich auf den Kirchenlehrer Thomas von Aquin, der argumentiert hatte, dass es aus Sicht der Kirche ganz in Ordnung sei, einen bewaffneten Kampf zu führen, wenn damit ein System abgeschafft würde, das vor allem dazu führe, dass immer wieder Sünden begangen würden. Genau das sahen die Theologen der Befreiung für gegeben. Das System in Lateinamerika stürze die Armen, vor allem die Ureinwohner, in Verzweiflung und Hunger und führe dazu, dass Kranke sich keine Medikamente leisten könnten und keine Altersversorgung. Damit sei gegeben, dass das System die Todsünde der Habgier bedinge. Rein statistisch ließ sich nachweisen, dass nirgendwo auf der Welt der Unterschied zwischen extrem reich und bitterarm so extrem ausgeprägt ist wie in Lateinamerika.
Geprägt vom Bürgerkrieg
Der Vatikan reagierte auf die Theologie der Befreiung mit massiven Gegenmaßnahmen. Einer der führenden Köpfe, der Priester Leonardo Boff, wurde mit einem Predigt- und Lehrverbot bestraft. Dass Robert Francis Prevost, ein Priester aus den reichen USA, sein komfortables Leben in den Hochschulen von Chicago und Rom mit den Lasten eines Missionars in Peru tauschte, schien dem Vatikan mehr als suspekt. Prevost stand eindeutig auf der Abschussliste. Das lag auch daran, dass in Peru, wo Prevost wirkte, der Verdacht entstand, dass Kirchenmänner die ultralinke Guerilla-Bewegung Sendero Luminoso unterstützen könnten, die für die Ermordung von etwa 19.000 Menschen im Bürgerkrieg in Peru verantwortlich gewesen sein soll. Die Folgen dieses entsetzlichen Bürgerkriegs prägten Robert Francis Prevost zutiefst.
Zu Beginn seiner Amtszeit als Papst Leo XIV. waren seine ersten Worte: „Frieden sei mit euch.“ Auch das erste Angelus-Gebet am Sonntag, dem 11. Mai, stand ganz im Zeichen des Friedens. Der Papst fordert mit allem Nachdruck, dass die Waffen in der Ukraine und im Gazastreifen endlich schweigen müssten. Selbst beim Empfang der etwa 4.000 Journalisten, die über die Wahl des Papstes berichtet hatten, mahnte er, dass diese Welt vor allem Frieden brauche.
Während die Spitze der Kirche ihn damals kritisch sah, schaffte es Prevost innerhalb des Ordens allerdings bis ganz nach oben. Im Jahr 2001 wählten ihn die Mönche des mit 2.800 Mitgliedern kleinen Ordens zum Generalprior, zum Chef. In Rom bezog Robert Francis Prevost ein einfaches Zimmer im Hauptquartier des Augustinerordens. Es ist ein großes Gebäude, links neben den Kolonnaden des Petersplatzes. Am Eingang grüßt eine Zementstatue des heiligen Augustinus. Direkt daneben parkte Robert Francis Prevost später seinen Ford Mondeo. Seine Leidenschaft für das Autofahren dürfte der einzige angenehme Zeitvertreib seines bisherigen Lebens gewesen sein.


Ein Steak zum Geburtstag
Vom Vatikan wird das Gebäude wegen seiner modernen Aula geschätzt. Hier fand auch eine berühmte Konferenz statt. Jene, die Papst Franziskus zur Erörterung der katastrophalen Folgen des sexuellen Missbrauchs in der Kirche im Jahr 2019 angesetzt hatte.
Unter den Mönchen in dem Gebäude wurde Robert Francis Prevost schlicht „Bob“ genannt. Bob erwies sich als gewissenhafter Mönch. Er verpasste nie das Morgengebet der Mönche um 7.30 Uhr, schwänzte auch die sogenannte Rekreation, das abendliche Beisammensein, nicht. Das Mittagessen in der Gemeinschaft ließ er nie aus. Sein Platz als Ordensoberer lag in der Mitte eines einfachen Tisches mit dem Rücken zum Fenster in dem schlichten Refektorium des Ordens. Das Abendessen nahm er lieber allein ein, es bestand meist aus einem Butterbrot.
Wenn die Mönche dem Prior des Bettelordens einen Gefallen tun wollten, dann mit einem saftigen Steak zum Geburtstag. Coca Cola mag er nicht. Mit den Mitbrüdern trank er gern einmal ein Weizenbier oder ein Glas Wein. Auf dem Dach des Hautquartiers verbrachte er mit den Mönchen der Gemeinschaft gern die Abende. Beliebt war er im Orden für seine riesige Erfahrung in all den Fällen, wenn es Streit gab.
Bob kann vor allem zuhören, er verurteilt nie gleich, überdenkt gern wichtige Entscheidungen, aber dann kann er auch sehr entschlossen sein. Im Orden macht er Erfahrungen mit Problemen aller Art: gibt es homosexuelle Beziehungen, muss er an das Gebot der Keuschheit gemahnen. Wenn es manche Mönche mit der Armut nicht so genau nehmen, dann muss er einschreiten. Das Problem entsteht immer dann, wenn Ordensbrüder lukrative Jobs annehmen, etwa als Lehrer. Einige von ihnen sehen nicht ein, wieso sie ihr Einkommen an den Orden abgeben sollen, was zu heftigen Streiten führen kann. Bob managt das alles so gut, dass sein Job als Ordensoberer bei den Wahlen des Kapitels bestätigt wird.
Ein Mann nach Franziskus’ Vorstellungen
Alles ändert sich mit der Wahl von Papst Franziskus. Der Jesuit, der selber als Sympathisant der Theologie der Befreiung unter Rom zu leiden gehabt hatte, entdeckte in Robert Francis Prevost einen Mann, der genau seinen Vorstellungen entsprach, und schubste ihn regelrecht die Karriereleiter hinauf. Im September 2015 ernannte er ihn zum Bischof. Bob muss daraufhin die peruanische Staatsbürgerschaft annehmen, weil nur Peruaner laut Staatsvertrag in Peru als Bischöfe fungieren dürfen. Im November 2020 beruft Papst Franziskus ihn als Mitglied in die Kongregation für die Bischöfe. Jetzt ist der Sohn eines Schulleiters und einer Bibliothekarin ganz weit oben in der Hierarchie der katholischen Kirche angekommen.
Papst Franziskus schätzt vor allem die Fähigkeiten der Vermittlung an Bob. Immer wieder hatte Franziskus betont, dass seine Erfahrung als Jesuitenpater in den verschiedenen Gemeinschaften, in denen er lebte, ihn gelehrt habe, vor allem Schwierigkeiten zu beseitigen. Der Papst aus Argentinien traute Ordensleuten eindeutig mehr zu, in Streitigkeiten zu schlichten, weil sie die aus ihren Ordensgemeinschaften nur zu gut kennen. In der Bischofskongregation geht es aber immer nur um Streitigkeiten. Fälle von Bischöfen, die alles richtig machen, kommen nicht auf den Tisch. Bob muss sich um schwierige Fälle aus der ganzen Welt kümmern. Das ist die zweite Eigenschaft, die Papst Franziskus an ihm schätzt. Während die meisten Priester in ihren Diözesen und ihren Ländern bleiben, hat Bob Erfahrungen auf der ganzen Welt gesammelt. Als Amerikaner fühlt er sich schon lange nicht mehr. Seine Witze über Donald Trump, die er im Kloster erzählt, sind legendär.
Nach seiner Rückkehr aus Lateinamerika zog Bob zunächst wieder im Hauptquartier seines Ordens ein, dann wies ihm der Vatikan eine komfortablere Wohnung an, genau über der Post in der Via di Porta Angelica mit Blick auf den Vatikan.
Papst Franziskus war von der Arbeit des Weltenbürgers Bob so angetan, dass er ihn bittet, ihn auf den apostolischen Reisen zu begleiten. Ab dem Zeitpunkt gehörte Bob zu dem engsten Kreis der Macht des Vatikans. Dann schließlich entschließt sich Papst Franziskus zu dem endgültigen und eindeutigen Hinweis, dass er in Bob seinen Nachfolger sieht. Er machte ihn zum Kardinal im Jahr 2023, aber nicht zu irgendeinem Kardial. Alle Kardinäle sind in drei Kategorien eingeteilt, die Anfänger wie Bob gehören zu der untersten Stufe, den Kardinaldiakonen, darüber sind die Kardinalpriester, darüber die Kardinalbischöfe, die in der Regel sehr alt sind, sehr viel älter als Bob. Der Kreis der Kardinalbischöfe ist zudem sehr klein. Dahin beförderte ihn der Papst. Dadurch wussten im Vatikan alle: Sollte Franziskus sterben, haben die Traditionalisten einen starken Gegner, den Wunschkandidaten des Papstes Robert Francis Prevost.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 20/25 erschienen.