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Zenita Luis: „Eigentlich mag ich keine Nadeln“

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Zenita Luis

©Patrick Schuster

Und dennoch begründet die Stickerei das Narrativ der grafisch anmutenden Bildwelten der indischösterreichischen Künstlerin Zenita Luis. Eine Melange aus kultureller Tradition und künstlerischer Selbstfindung, die einem Befreiungsschlag gleicht

Ein Leben als Künstlerin zu führen, scheint mit flüchtigem Blick auf Zenita Luis’ biografische Anfänge zunächst unvorstellbar. Ein geradezu diametraler Gegensatz: In einem indischen Dorf geboren, verliert sie früh ihren Vater. Das elterliche Haus, das einst ihre Heimat war, ist für die Mutter nicht länger leistbar. Aus pekuniärer Not und stets auf das Wohl ihrer Töchter bedacht, übergibt sie diese an ein Heim – für Luis der Beginn einer niemals endenden Reise.

Die diametrale Gegensätzlichkeit soll sich jedoch relativieren, als der österreichische Künstler Mario Dalpra Ende der 90er-Jahre im Rahmen eines Stipendiums in Goa landet – Zufälle, die das Leben parat hält. Und die ein Leben nachhaltig verändern können. Wobei: „Zufälle gibt es keine“, hakt Zenita Luis, die damals gerade als Friseurin arbeitete, ein. „Im Leben ist alles vorbestimmt.“ So scheint es ihre Bestimmung zu sein, dass ihr die großformatige Malerei des Österreichers das Tor in ein neues Universum öffnet. In Luis lösen die abstrakten Bildwelten ein ungeahntes Gefühl aus: „Für mich war diese malerische Weite das Gefühl purer Freiheit.“ Und die Begegnung mit Dalpra ein Wendepunkt ihrer persönlichen Reiseroute.

Vom Streben nach Freiheit

2001 übersiedelt sie der Liebe wegen nach Wien – Luis und Dalpra heiraten. Als Luis ihrem Mann eines Tages wie so oft bei der Arbeit zusieht, meint dieser, sie solle sich selbst im Zeichnen versuchen. „Das hat in mir sofort enormen Druck ausgelöst“, so Luis. Druck, der sie an ihre Zeit im Heim erinnerte. Doch Dalpra lässt nicht locker. Es entstehen erste Zeichnungen auf Papier. „Kleine Kritzeleien“, bezeichnet Luis ihre künstlerischen Anfänge. Und begründet: „Ich habe Papier einfach gehasst – das hat mich total eingeengt.“ Ihr Mann erkennt nicht bloß ihr Talent, sondern auch, dass seine Frau in ihrer Arbeit Raum zur Entfaltung braucht.

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Feiner Zwirn. In Luis' Arbeiten ist die grafische Linie gestickt – mal auf Leinwand mal auf Papier.

 © Zenita Luis

Mit dem Aufspannen einer Leinwand, beginnt Luis’ Linie im Großformat zu fließen. Im Zuge ihrer künstlerischen Genese weicht die Bleistiftlinie bald der Stickerei. Auch hier überwindet sie sich selbst: „Eigentlich mag ich keine Nadeln“, sinniert sie. Im Heim war sie dazu angehalten, zu sticken. „Ich mag es, frei und selbstbestimmt zu agieren – das war damals einfach nicht möglich.“ Doch in ihrer Kunst stellt sie sich ihrer Vergangenheit. Die Arbeit wird zum Streben nach Freiheit, die sie in ihren von gegenständlicher Abstraktion gezeichneten, surrealen Bildwelten sucht. „Je abstrahierter ich arbeite, desto freier und wohler fühle ich mich.“

Eine Freiheit, die sie auch in ihrem Alltag wahrt – heute pendelt die Künstlerin zwischen Wien und Goa. Und obwohl die Sehnsucht nach Indien aktuell stark ist, verspürt sie kein eindeutiges Heimatgefühl. Auch ihre Bilder sind für Luis keiner Heimat, keiner Welt, zuzuordnen: „Klar, wurde ich mit Farben sozialisiert – Buntheit ist Teil meiner Identität“, begründet sie etwa die Farbflächen, die sich immer wieder zur Kontur ihrer oftmals schwarzweißen Arbeiten gesellt. „Und natürlich hat die Stickerei, wie man sie etwa vom traditionellen Sari kennt, eine große Bedeutung. Ebenso mag die Ornamentik für europäische Betrachtende an meine indischen Wurzeln erinnern, aber ich bin überzeugt: In Indien würde man meine Kunst nicht verstehen.“

Vom steten Wandel

Was jedoch biografischer Natur ist, sind die Themen, denen sie sich darin widmet – und diese sind vielfältig: „Meine Bilder entstehen in Phasen – das gesamte Leben ist ein Prozess ohne Stillstand. Und das hat unmittelbare Auswirkungen auf meine Arbeit.“ So entwickelt sich auch ihre Kunst inhaltlich immer weiter. Aber auch der Zugang hat sich verändert: Stickte sie einst per Hand, entstehen ihre Arbeiten heute maschinell. „Aus Zeitgründen“, erklärt sie. Und fügt schmunzelnd hinzu: „Außerdem lässt die Sehleistung im Alter nach.“

Angekommen ist Zenita Luis demnach noch lange nicht. Will sie aber auch gar nicht. Denn nicht anzukommen, sei eben das Schicksal einer Reisenden, die sich nach grenzenloser Freiheit sehnt.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 37/2025 erschienen.

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