Es sind elementare Einflüsse, die sich für die Bildwelten der brasilianischen Künstlerin Tatiane Silva Hofstadler verantwortlich zeichnen. Mit expressiver Palette formt sie ein eigenständiges Narrativ, das tief empfundene Emotionen spür- und erlebbar macht.
Atelierbesuch bei Tatiane Silva Hofstadler
© VGN | Osama Rasheed
Bereits beim Betreten des Altbaus liegt ein unbekannter, angenehm warmer Duft in der Luft. „Frisch gebackene Pão de Queijo“, setzt Tatiane Silva Hofstadler dem olfaktorischen Rätselraten ein Ende, als sie die mit kleinen Teigkugeln gefüllte Schale auf den Couchtisch stellt. Und ergänzt: „Unbedingt zugreifen, solange sie warm sind.“ Um auszukühlen, fehlt es ihnen ohnedies an Zeit – zu gut schmeckt das brasilianische Käsegebäck. Dazu gibt es, wie soll es anders sein, Caipirinha. „Mit echtem Cachaça und ganzen Eiswürfeln – keinesfalls Crushed Ice“, erklärt sie mit mahnendem Lächeln. Angesichtes der brütenden Sommerhitze der Stadt eine mehr als willkommene Abkühlung.
Gleich der erste Schluck erfrischt. Die unter den Temperaturen leidenden Lebensgeister melden sich zurück und setzen der aufflackernden Illusion ein Ende: Obwohl sich die Szene gut und gerne in Hofstadlers Heimat Brasilien zutragen könnte, sind wir immer noch in Wien, wie Deckenstuck und Fischgrätenparkett der Gründerzeitwohnung subtil zu erkennen geben. Inmitten des Altbaucharmes erzählt ein Arrangement persönlicher Preziosen aus aller Welt – etwa eine eisenbeschlagene Kommode aus Indien, ein Tisch aus brasilianischem Holz, traditionellen Figuren aus Japan – die Geschichte eines kosmopolitischen Lebens. Und damit die Geschichte Hofstadlers. Noch persönlicher wird das Narrativ beim Betrachten der farbexpressiven Arbeiten, die an den weißen Wänden hängend, die Grenzen des großen Wohnzimmers aufzeigen. Und obwohl sie räumlich begrenzen, öffnen sie doch das Tor in eine neue Welt. Eine Welt, die förmlich danach verlangt, erkundet zu werden.


Textur. Die detailreiche Textur ihrer Bilder, die an geologische Oberflächen oder etwa Baumrinde erinnert, entsteht durch vielschichtigen Farbauftrag und lässt die Arbeiten je nach Lichteinfall changieren
Von frühen Einflüssen
Ein Verlangen, dem man gerne nachgibt. Wo also liegen die Wurzeln dieser Farbigkeit, die je nach Lichteinfall und Betrachtungswinkel changiert? In Hofstadlers Fall sind die Möglichkeiten an Antworten mannigfaltig: 1974 in Brasilien geboren, lernt sie 2002 ihren Mann kennen – ein Österreicher, der damals gerade in São Paulo studierte. Der Beginn einer nicht endenden Reise. „Mein Mann ist Wirtschaftsdelegierter“, führt sie aus. Der Hochzeit in Wien, die den Anfang dieser Reise markiert, folgen Jahre in Neu Dehli, Tokio und Washington, ehe man nach Brasilien zurückkehrt und 2022 schließlich nach Wien übersiedelt. „Obwohl all diese gesammelten Eindrücke und Erfahrungen natürlich unweigerliche Spuren in meiner Arbeit hinterlassen haben“, holt sie aus, „liegen meine künstlerischen Wurzeln in Südamerika.“ Über all die Jahre des steten Wandels und der zahlreichen Umzüge ist Brasilien für Hofstadler immer Heimat geblieben.
„Ich bin in einer kleinen Stadt namens Milagres im brasilianischen Bundesstaat Bahia aufgewachsen“, erinnert sich die Künstlerin an Kindertage in Einfachheit. Einfach nicht bloß in materieller Hinsicht, sonder im tiefsten Sinne des Wortes – frei von Komplikationen. „Ich war eins mit der Natur – wir spielten mit Blättern und sind barfuß durch die nicht aspahltierten Straßen gelaufen.“ Noch heute träumt sie oft von dieser Zeit und der Farbenpracht ihrer Heimat: „Während meine Großmutter im Sonnenlicht das leuchtende Gelb der Stohhalme zu Matten geflochten hat, habe ich mit meinem Großvater, einem Obst- und Gemüsehändler, die Früchte nach Farben geordnet. Es war ein vollkommenes Leben; ein glückliches.“ Hofstadlers kompositorisches Farbgefühl scheint somit Ergebnis einer frühkindlichen Sensibilisierung zu sein.


Elementar. Angeregt durch die vielfältige Natur Brasiliens, entstehen Hofstadlers abstrakte Arbeiten in einem intimen, von Emotionen geleiteten Prozess
Der Weg in die Abstraktion
Damals entdeckte sie auch ihre Leidenschaft für das Malen und Zeichnen. Entgegen ihres Wunsches nach künstlerischer Entfaltung studierte sie zunächst jedoch Psychologie. Denn was man in Anbetracht ihrer Arbeiten nicht zu glauben vermag: Hofstadler leidet an einer Sehbehinderung – ihre Sehleistung liegt bei gerade einmal 20 Prozent. „Ebenso wie das Verlangen nach kreativer Verwirklichung war auch die sich daraus ergebende Angst, sich der künstlerischen Herausforderung zu stellen, allgegenwärtig.“ Erst Jahre später, als sie mit Mann und den beiden Kindern 2011 in Washington wohnhaft wird, überwiegt schließlich der Drang nach Entfaltung. Hofstadler stellt sich ihrer Angst und studiert am Corcoran College of Art and Design: „Der erste Farbkontakt war ein Schlüsselmoment“, so Hofstadler. „Es war das, was ich immer schon tun wollte – es hat sich angefühlt, wie endlich anzukommen.“ Die Kunst wird zu einer neuen Konstante ihres Lebens.
Zunächst entstehen realistische Ölgemälde, ehe sich Hofstadler nach zwei Jahren auf Anraten einer Professorin von der Gegenständlichkeit ihrer Arbeiten löst. „Abstrakt zu malen, war für mich anfangs undenkbar“, betrachtet sie beinahe ungläubig eine der an den Wänden hängenden Arbeiten. „Eine meiner Professorinnen ermutigte mich, es einfach auszuprobieren und zu sehen, was passiert – sich vom Prozess leiten zu lassen und zu vertrauen.“ So wirft Hofstadler in einem ersten Annäherungsversuch pastöse Farbe in schnellen Gesten auf eine Leinwand. Das Ergebnis überzeugt. „Ich dachte, das muss Zufall sein“, lacht sie. Doch auch der nächste Versuch gelingt. Ebenso der dritte. Und wieder ist es für Hofstadler ein Ankommen – in einem neuen künstlerischen Schaffensfeld, das ihr noch während des Studiums den Weg zu ersten Einzelausstellungen in den USA und Brasilien ebnet.
Elementare Farbgewalt
Betrachtet man die Genese ihrer Abstraktion, wandelt sich Hofstadlers OEuvre von flächigem Farbauftrag hin zu einer feinen, detailreich-texturierten Bildsprache, die nicht bloß visuell reizvoll erscheint, sondern auch das haptische Erleben anspricht. Sie entwickelt ihre eigene Technik: „Ein langsamer und langwieriger Prozess“, beschreibt sie den vielschichtigen Farbauftrag, der oft mehrere Monate dauert. Geleitet von Emotionen und inspiriert durch die elementaren Einflüsse der brasilianischen Natur, arbeitet die Künstlerin zumeist an mehreren Arbeiten gleichzeitig. Zumindest drei, maximal fünf – eine Platzfrage des Ateliers, das fünf Gehminuten von der Wohnung entfernt ist. „Die Abwechslung hilft, im Schaffen dynamisch zu bleiben.“ Dynamik, die auch für den Prozess maßgebend scheint: Zunächst trägt sie die schwere Acrylfarbe in rauen Mengen auf, ehe sie diese mit großen Pinseln und einer aus den USA importierten Spachtel strukturiert. Laute Musik hilft ihr dabei. „Auch sie weckt Emotionen, die ich im Prozess unmittelbar auf die Leinwand übersetzen kann.“ Mit Fortschreiten der Arbeit wird der Farbauftrag zurückhaltender – bis sie letztlich bloß noch mit leicht gefärbter Pinselspitze zur Sache geht.


Das für Hofstadlers Werk fundamentale Farberlebnis, das durch sein Changieren Betrachtende in seinen Bann zieht und bei längerer Auseinandersetzung beinahe in einen meditativen Trancezustand überführt, ist Resultat des Prozesses. „Ich plane nicht, es passiert einfach“, so die Künstlerin. Von breiter Palette aus arbeitend, ist farblich alles möglich. „Es ist ein intrinsisches Herantasten, das sich manchmal auch in Sackgassen verläuft.“ Tut sich eine solche auf, wird der künstlerische Kurs mit der nächsten Farbschicht korrigiert. „Das ist Vorteil meiner Technik – vom Prozess ausgehend, könnte ich immer weitermalen und neue Farbschichten auftragen.“ Wann eine Arbeit letztlich fertig ist? Bauchgefühl. Aber das kann sich verändern. So kommt es, dass vermeintlich fertige Bilder nach Jahren der Vollendung eine künstlerische Renaissance erleben und um weitere Farbschichten ergänzt werden.
Was sie mit fertigen Bildern in Betrachtenden auslösen möchte, kann Hofstadler nur schwer in Worte fassen. Schließlich ist ihre Kunst Emotionssache. „Vielleicht fällt es mir auch deshalb so schwer, über meine Kunst zu sprechen, weil sich erlebte Emotionen für mich auch nur schwer in Worte fassen lassen – gar die richtigen dafür zu finden, ist für mich so gut wie unmöglich.“ Nach ihnen braucht sie aber auch nicht zu suchen. Denn mit ihrer Palette ist ohnehin alles gesagt. Sie ermöglicht ihr, Gefühltem Ausdruck zu verleihen. Dass ihre Arbeiten ohne Titel auskommen, ist dabei kein Zufall – schließlich möchte Hofstadler mit ihren Bildern anregen, ohne vorzugeben.