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Stephan Schäfer: Erfolg ist schön, die Familie ist wichtiger

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Stephan Schäfer

©Matthias Ziegler

Eine lebensbedrohliche Erkrankung hat Topmanager und Bestsellerautor Stephan Schäfer gezeigt, wie ein einziger Moment alles verändern kann. Seitdem schätzt er die kleinen privaten Momente heute anders als früher. Im Roman „Jetzt gerade ist alles gut" lässt er sich in eine neue Welt begleiten, die er sich geschaffen hat. Immer öfter gelinge es dort, „ein besserer Ehemann, Vater und Freund" zu sein, sagt er.

Es beginnt mit einem winzigen Schnitt am Finger. Nichts, worüber man nachdenkt. Der Mann, der Medienhäuser geführt hat – als CEO von Gruner+Jahr und Co-CEO von RTL Deutschland – schreibt im August 2023 gerade an seinem ersten Roman. Er hat sich aus den Medien verabschiedet, sein Leben neu geordnet und genießt den neuen Alltag. Er folgt anderen Routinen im selbstbestimmten Tempo. Ein guter Weg.

Schäfers Autorendebüt „25 letzte Sommer“ wird später die Bestsellerlisten stürmen und verfilmt werden (Kinostart 2026). Das weiß er noch nicht, als er aufwacht und sein Finger aussieht, als hätte man ihn auf den Griller gelegt. Diagnose im Sommer vor zwei Jahren: nekrotisierende Fasziitis – eine seltene, oft tödliche Infektion.

Damals hat der heute 51-Jährige nur den Wunsch, wieder gesund mit dem Fahrrad vor dem Krankenhaus vorbeifahren zu können. Als er sich diesen erfüllt, beginnt Schäfer, weitere wichtige Momente zu sammeln. Er teilt sie in seinem zweiten Roman „Jetzt gerade ist alles gut“ – und im Gespräch mit News.

Herr Schäfer, Sie schildern, wie sich Ihr Körper vor zwei Jahren gegen Sie gewendet hat. Das Bild der aufgeplatzten, verkohlten Bratwurst – so beschreiben Sie ihren Finger – prägt sich ein. Wie haben Sie diesen dramatischen Moment rückblickend für sich eingeordnet?

Ich erinnere mich an den Arzt, an seinen Satz, dass es ernst ist und daran, dass draußen ein wunderschöner Sommertag war. Ich hatte eine kleine Schnittwunde gehabt, wie man sie sich beim Kochen schnell mal zuzieht. Streptokokken hat­ten sich reingesetzt und dann war alles sehr schnell gegangen. Ich hatte eine nekrotisierende Fasziitis*, eine lebensbedrohliche Infektion, die zur Sepsis führen kann. Eine Sepsis ist die dritthäufigste Todesursache in Deutschland.

Das Krankenhaus liegt nur ein paar hundert Meter von unserer Wohnung entfernt, ich habe die Kinder aus dem nahen Freibad gehört, wie die vom Sprungturm springen und die Fahrradfahrer vorbeiradeln gesehen und gedacht, der Arzt geht nachher vielleicht Tennis spielen. Plötzlich war mein Gefühl, da nicht dazuzugehören. Die Welt dreht sich weiter, die bleibt nicht stehen wegen meiner Dia­gnose. Mir ist klar geworden, wie ein einziger Moment alles verändern kann. – Und wie kostbar jedes einzige Mal war, als ich am Krankenhaus vorbeigeradelt bin, ohne einen Gedanken daran, was sich hinter diesen Mauern abspielt.

Glaubt man in so einem Moment an Zufälle – oder an Wegweiser?

Darüber habe ich lange nachgedacht. Ein Arzt hat mir damals gesagt: Machen Sie daraus keinen Schicksalsschlag. Es ist eine Krankheit, die zufällig passiert und jeden treffen kann. Lange dachte ich, dass mich das nicht verändert hat. Dann fiel mir auf, dass es schon das zweite Mal im Leben war, dass ich knapp davongekommen bin. Einmal bin ich vor dem Tsunami weggelaufen, jetzt das. Zweimal Lebensgefahr. Ich habe dann beschlossen, es umzudrehen: Statt zu denken, das hat etwas Schicksalhaftes, habe ich die Stärke gesehen, die daraus entstehen kann. Mein Versuch, das große Glück im Kleinen zu finden, ist zwischen diesen Buchdeckeln gelandet. „Jetzt gerade ist alles gut“ ist mein Fazit.

Heute denke ich anders. Ich warte nicht mehr auf den nächsten Urlaub oder das große Ereignis. Jeder Tag steht mir zur Verfügung

Stephan Schäfer

Inwiefern verändert so eine Erfahrung das Selbstbild – und die Sicht auf die eigene Position in der Welt?

Man lernt, im Moment zu leben. Das klingt banal, aber in der Umsetzung liegt die Schwierigkeit – und die Chance. Früher sind meine Tage auch einfach so vergangen: Man hat sich geärgert, funktioniert, und plötzlich war wieder eine Woche um. Heute denke ich anders. Ich warte nicht mehr auf den nächsten Urlaub oder das große Ereignis.

Jeder Tag ist ein neuer Tag, der mir zur Verfügung steht – auch ein ganz normaler Montag. Die Kunst ist, darin Zufriedenheit zu finden. Oft braucht das nur einen Perspektivenwechsel: Wir haben gerade ein schönes Gespräch, heute Abend sehe ich Freunde – das ist doch wunderbar! Natürlich habe ich auch schlechte Tage. Aber diesen Perspektivenwechsel kann man üben. Wie beim Sport oder beim Sprachenlernen muss man dranbleiben.

Kaffeegeruch, das Geräusch des Regens – solche Momente, die Sie im Roman intensiv beschreiben, sind wohl Ihre Art des Dranbleibens. Wie lernt man diese Achtsamkeit?

Wenn ich die zehn Wege zum Glück kennen würde, ich hätte sie längst verraten. Jeder muss seinen Weg für sich finden, deshalb habe ich ja keinen Ratgeber geschrieben. Ich merke nur, dass mir allein das Nachdenken darüber hilft. Und das Reden mit anderen, das Lesen, das Fragenstellen. Wenn man sich mit Zufriedenheit beschäftigt, stößt man – übrigens auch in der Forschung – immer wieder auf dasselbe Ergebnis: Es sind nicht Gesundheit, Erfolg oder Liebe, die glücklich machen, sondern stabile Beziehungen – Menschen. Ich investiere bewusst Zeit in Freundschaften. Ich gehe bewusst in die Natur. Wer in den Wald geht, wird ruhiger. Solche Dinge kann man sich klarmachen und aktiv in den Alltag holen. Das braucht keine großen Umbrüche, nur kleine Rituale.

Wie sehen Ihre Rituale aus?

Bei mir ist der erste Kaffee am Morgen wichtig. Die erste Stunde am Tag verbringe ich bewusst digitalfrei. Würde ich Handy oder Laptop einschalten, wäre das, als würden 150 Menschen gleichzeitig durch meine Tür kommen und mir ihre Sorgen und Wünsche erzählen. Stattdessen treffe ich oft einen Freund von 8 bis 9 Uhr zum Kaffeetrinken, wir reden, und erst danach beginnt mein Tag. Das verändert alles. Ich nehme mir damit eine Freiheit, die mir guttut.

Wie gelingen diese guten Beziehungen, die glücklich machen?

Gute Beziehungen passieren nicht von selbst. Man muss sich füreinander interessieren, zuhören, Fragen stellen. Wirklich wissen wollen, wie es dem anderen geht. Ich finde das schön: Mit über fünfzig lerne ich noch neue Menschen kennen, gewinne Freundschaften dazu. Und Freundschaften brauchen Zeit. Wenn man sich nie meldet, nicht erreichbar ist, nichts zusammen unternimmt, dann vergehen Beziehungen. Oft passiert das im Alltag, weil er zu eng getaktet ist. So war es bei mir auch. Gleichzeitig ist klar, dass niemand am Ende des Lebens sagt: Ach, hätte ich doch mehr Zeit im Büro verbracht! Fast alle sagen: Ich hätte mehr Zeit mit Freunden, mit der Familie verbringen sollen, mehr leben.

Hätten Sie den Weg zu diesen Gedanken auch in Ihrem alten Job geschafft?

Ich glaube nicht in dieser Tiefe, nein. Diese Gedanken hatte ich schon früher. Aber eine tiefgreifende Veränderung schaffen wir selten aus eigener Kraft. Solange es uns gut geht, kümmern wir uns nicht darum, ob es anders vielleicht besser wäre. Erst nach einem Bruch im Leben suchen wir neue Wege. Bei mir brauchte es einen beruflichen Neuanfang und eine Erkrankung, damit die Erkenntnis zur Tat gereift ist, was mir wirklich wichtig ist im Leben.

Ihr Buch ist ein Gegenentwurf zur permanenten Beschleunigung. Warum fällt uns das Innehalten so schwer?

Ich glaube nicht, dass Menschen sich bewusst gegen Ruhe oder Natur entscheiden. All das geht im Alltagsgetöse einfach unter. Die Ablenkung ist größer als je zuvor. Alles will unsere Aufmerksamkeit, besonders das Digitale. Die Arbeit steht im Zentrum unseres Lebens, dauernd wird etwas gemessen, bewertet, gemeldet. Arbeit hat viele Vorteile, keine Frage, aber sie beansprucht auch viel Raum. Dieses unterschwellige Gefühl, dass das eigene Leben zu eng getaktet ist, beschäftigt gerade viele Menschen. Das merke ich am positiven Feedback zu meinen Büchern. Sie handeln davon, das eigene Tempo zu finden.

Das Wort Erfolg benutze ich heute fast nur noch privat. Wirklicher Erfolg ist für mich, wenn meine Familie verbunden bleibt

Stephan Schäfer

Haben Sie in den letzten Jahren eine neue Definition für Erfolg gefunden?

Jeder, der schreibt, möchte gelesen werden. Ein Bestseller, beruflicher Erfolg ist etwas Schönes. Über mein Buch mit so vielen Menschen in Kontakt zu kommen, ist für mich ein großes Geschenk. Aber das Wort Erfolg benutze ich heute fast nur noch privat. Wirklicher Erfolg ist für mich, wenn meine Familie – meine Frau, meine Kinder, meine Eltern – verbunden bleibt.

Wenn wir gemeinsam weiter durchs Leben gehen. Das wäre das Schönste, was mir passieren könnte. Ich weiß, dass ich daraus am meisten Kraft ziehe. Beruflich nicht so erfolgreich zu sein, aber Familie zu haben – das wäre für mich in Ordnung. Einen Bestseller schreiben, aber keine Familie haben? Undenkbar! Was mich erstaunt hat: Als ich mein Leben neu sortiert habe, fragten alle, wie es jetzt beruflich weitergeht. Kaum jemand fragte nach meiner Frau, nach den Kindern. Dabei ist das doch die entscheidende Frage.

Sie zitieren Rilke, man müsse Geduld haben mit dem Ungelösten im Herzen. Finden sich manche Antworten nur in der Stille – mit sich allein?

Das ist wahrscheinlich noch immer meine größte Aufgabe. Als ich mit fünfzig entschieden habe, Schriftsteller zu werden, gab es zwei Dinge, die mich motiviert haben. Erstens wollte ich meinen Kindern zeigen, dass man sein Leben auch spät noch verändern kann. Kinder lernen nicht durch Worte, sondern durch Vorbilder. Ich wollte ihnen zeigen: Man darf mit 50 nochmal neu anfangen, auch mit Angst, auch ohne zu wissen, ob es gelingt.

Die zweite Motivation war, mit mir selbst besser auszukommen. Mein früheres Leben war durchgetaktet, immer Menschen, immer Bewegung, immer Neues. Jetzt ist da mehr Stille. Das ist nicht einfach. Der Kopf verlangt ständig nach Reizen. Jetzt lerne ich, mit der Ruhe zu leben. Und ich merke: Wenn mir das gelingt, bin ich ein besserer Ehemann, ein besserer Vater und Freund.

Das Zitat, nach dem Sie ihren Roman benannt haben, stammt von Ihrem Sohn: „Aber jetzt gerade, Papa, jetzt ist alles gut“, sagt er. Ist das mehr ein Trost – oder eine Entscheidung?

Gute Frage! Vielleicht beides. Schön wäre, wenn jeder, der das Buch liest, eines dieser beiden mitnehmen kann – Trost oder Entscheidung, ganz egal.

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 © Park x Ullstein
© Matthias Ziegler

Steckbrief

Stephan Schäfer

Stephan Schäfer, geboren 1974 in Witten, war lange als Journalist und Chefredakteur (u. a. Brigitte, Schöner Wohnen) tätig und war CEO von Gruner+Jahr, sowie Co-CEO von RTL Deutschland. 2022 kehrte er dem Managementalltag den Rücken und landete mit seinem Debütroman „25 letzte Sommer“ einen Bestseller, der 2026 ins Kino kommt.

Mit der Reihe „Das Buch, das bleibt“ (100 Fragen an meine Mutter/meinen Vater) hilft er Familien, Biografisches erlebbar zu machen. Nähe und kostbare Lebensmomente sind auch der Kern seines zweiten autofiktionalen Romans „Jetzt gerade ist alles gut“. Stephan Schäfer lebt mit seiner Familie in Hamburg und an der Schlei, ein schmaler Meeresarm der Ostsee

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 44/2025 erschienen.

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