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Die Wallenbergs – eine schrecklich mächtige Familie

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Jacob Wallenberg

©Imago / Christine Olsson / TT

Die Wallenbergs aus Schweden sind eine der mächtigsten Familien der Welt, trotzdem kennt sie kaum jemand. Die Geschichte einer verschwiegenen Dynastie.

von Linda Koponen, zuerst erschienen in der „Neuen Zürcher Zeitung“ (NZZ)

Am 29. Mai herrscht auf Djurgarden, der Insel der Reichen und Mächtigen in Stockholm, reger Verkehr. Ein Auto nach dem anderen verschwindet in der Einfahrt der Liegenschaft Nummer 250. Das Anwesen trägt den Namen Täcka udden – auf Deutsch: schöne Landzunge. Jedes Jahr am gleichen Tag trifft sich hier eine der mächtigsten Familien der Welt, um über die Geschicke der Dynastie zu entscheiden.

An die Öffentlichkeit dringt über die Zusammenkunft der Wallenbergs außer dem Speiseplan – geräucherter Lachs mit pochiertem Ei, leicht gedünsteter Spinat, frische Spargeln an geräucherter Butter, gehacktes Geflügelfleisch – meist nicht viel. Doch letztes Jahr war alles anders. Es steht ein Generationenwechsel an. Von diesem hängt nicht nur die Zukunft der Familie ab. Er ist auch entscheidend für die schwedische, ja die europäische Wirtschaft.

In der gleichen Liga wie Elon Musk

Die Wallenbergs sind die einflussreichste Familie Schwedens und eine der mächtigsten der Welt. Heute wird der Konzern in fünfter Generation von den Brüdern Jacob und Peter junior sowie ihrem Cousin Marcus geleitet. Der Erfolg der Familie ist entscheidend für die schwedische Wirtschaft, sie sind „too big to fail“ – zu groß zum Scheitern.

ABB, AstraZeneca, Atlas Copco, Ericsson, Electrolux, Nasdaq, Saab, SEB: Das ist nur ein kleiner Ausschnitt ihres Portfolios. Die Familie versteht sich als aktiver Investor und besetzt in den Firmen wichtige Verwaltungsratsposten. Laut der Financial Times ist ihr Firmenimperium 250 Milliarden Euro wert. Damit spielen die Wallenbergs in der gleichen Liga wie Elon Musk. Doch im Gegensatz zu Musk kennt sie außerhalb von Schweden kaum jemand.

Wer ist diese verschwiegene Dynastie? Und wie hat sie es geschafft, im Verlaufe der Jahrzehnte immer mächtiger zu werden?

Das Fundament im Jahr 1856

Die Wallenbergs tauchen nicht in der Liste der reichsten Personen der Welt auf, und das hat einen Grund: Genaugenommen sind sie gar nicht so reich. Zumindest nicht als Einzelpersonen. Ein großer Teil des Vermögens des Imperiums steckt in Stiftungen. So konnten sie es über Generationen vererben, ohne Erbschaftssteuer zahlen zu müssen. Und kein Familienmitglied kann sich persönlich bereichern, da die Wallenbergs keinen direkten Zugang zu den Stiftungsgeldern haben.

Der schwedische Historiker Gunnar Wetterberg hat ein Buch über die Wallenbergs geschrieben. Er sagt: „Dank der Stiftungen konnten sie die Kontrolle über das Vermögen behalten.“ Doch fast wäre alles anders gekommen. Die Geschichte der Dynastie beginnt im Jahr 1856. Die Industrialisierung hatte langsam auch den hohen Norden erreicht, doch es gab ein Problem: Den Schweden fehlte das Kapital, um ihre Ideen umzusetzen. Ein junger Leutnant der Marine, André Oscar Wallenberg, war soeben aus den USA zurückgekehrt und hatte dort das Buch „How to Start a Bank“ gelesen.

In Stockholm beschloss er, seine Geschäftsidee umzusetzen, und gründete die erste Privatbank Schwedens – Stockholms Enskilda Banken, aus der später Skandinaviska Enskilda Banken (SEB) werden sollte. Sie zählt bis heute zu Nord­europas führenden Banken, im Moment präsidiert Marcus Wallenberg den Verwaltungsrat.

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Bedrohlicher Erbstreit

Bereits nach dem Tod von André Oscar Wallenberg drohte dem Imperium ein frühzeitiges Ende. Der Bankier hatte fünf Söhne – und diese gerieten sich wegen des Erbes in die Haare. Der Älteste, Knut, erbte nach dem Tod des Vaters 1886 dessen Posten als Präsident der Bank. Er leitete die SEB bis 1911 und schaffte es in dieser Zeit, ein internationales Netzwerk aufzubauen, das Geldströme über die Landesgrenzen hinweg ermöglichte.

Die Bank machte Knut reich, und weil er und seine Frau Alice keine Kinder hatten, spendete er regelmäßig Geld für verschiedene Bauprojekte in Stockholm. Doch als Knut 1914 Außenminister Schwedens wurde, übernahm sein Halbbruder Marcus senior die Führung der Bank. Marcus war, anders als Knut, ein geiziger Workaholic, dessen Jacketts keine Taschen hatten, damit er sie umkehren konnte, sobald eine Seite abgenutzt war. Das Geld gab er für Geschäftsprojekte aus, Konsum und Kleidung hielt er für unnötig. Laut dem Historiker Wetterberg tat er alles, um seinen Bruder zu verdrängen. Als Knut nach dem Ersten Weltkrieg aus der Politik zurückkehrte, hatte Marcus ihn aus dem Familiengeschäft hinausmanövriert.

Eine Entscheidung bewahrte das Erbe

Marcus rechnete damit, dass seine Söhne ihren reichen, kinderlosen Onkel nach dessen Tod beerben würden. Doch es kam anders. Knut hatte vor seinem Tod eine Stiftung gegründet, in die sein ganzes Vermögen fließen sollte. „Marcus fühlte sich hintergangen, doch dieser Schachzug sollte sich als größtes Glück der Familie Wallenberg erweisen“, sagt Wetterberg. Denn ohne die Stiftung wäre das Vermögen über die Generationen versickert, über zahlreiche Erben zerstreut worden.

Heute besitzen die Wallenbergs 16 Stiftungen mit einem Vermögen von insgesamt über 27 Milliarden Euro. Für die Finanzierung der Forschung sind sie der wichtigste private Geldgeber in Schweden. Geführt werden die Wallenberg-Stiftungen in fünfter Generation von Peter junior – Spitzname: Poker. Seine Aufgabe ist es, sicherzustellen, dass das Geld am richtigen Ort landet.

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Peter Wallenberg

 © SPA / dana press / picturedesk.com

Das Prinzip ist einfach: Die Wallenberg-Unternehmen verdienen Geld. Dieses Geld geht an die Stiftungen. Die Stiftungen finanzieren Forschung in der Medizin, in der Technologie und in den Naturwissenschaften. Von dieser Forschung profitiert – zumindest indirekt – auch der Wirtschaftsstandort Schweden. Doch es sind nicht die Stiftungen allein, die die Wallenbergs immer mächtiger werden ließen.

Die wirtschaftliche Strategie

Knut Wallenberg gründete nicht nur eine Stiftung, sondern auch eine Holdinggesellschaft. Schweden hatte 1916 die Gesetze verschärft und erlaubte es Banken nicht länger, direkte Beteiligungen an Industrieunternehmen zu halten. Die Regulierung bedrohte das Geschäftsmodell der Wallenbergs, die große Summen über ihre Bank SEB in die Industrie investiert hatten. Knut und sein Bruder Marcus transferierten das Vermögen der Familie aus der SEB an die Holdinggesellschaft Investor AB.

Heute ist Investor AB die beliebteste Aktie von Schweden und hat einen höheren Marktwert als die Stockholmer Börse. Die drei größten Wallenberg-Stiftungen halten 23,3 Prozent des Kapitals und 50 Prozent der Stimmrechte der Investor AB. Investor setzt auf langfristige Beteiligungen an überwiegend schwedischen Unternehmen. Die Wallenbergs wählen sorgfältig aus: AstraZeneca, ABB und Atlas Copco gehören, gemessen am Marktwert, zu den größten Unternehmen Europas.

Jede Regierung – ob links oder bürgerlich – weiß, dass sie mit den Wallenbergs zusammenarbeiten muss, denn das ist das Beste für Schweden

Gunnar WetterbergAutor

Der Einfluss der Dynastie reicht aber über ihre finanziellen Mittel hinaus: Dank Vorzugsaktien kontrollieren die Wallenbergs mit relativ geringen Eigenmitteln einen beträchtlichen Anteil aller an der schwedischen Börse notierten Unternehmen – laut Schätzungen 40 Prozent. Beim Telekomanbieter Ericsson zum Beispiel, der sich auf die 5G-Technologie spezialisiert hat, hält Investor AB nur zwei Prozent des Kapitals, aber 24,5 Prozent der Stimmen.

Die im europäischen Vergleich beispiellose Machtkonzentration hat die Wallenbergs zu einem wichtigen Akteur in der schwedischen Wirtschaft gemacht. Der Historiker Gunnar Wetterberg sagt es so: „Jede Regierung – ob links oder bürgerlich – weiß, dass sie mit den Wallenbergs zusammenarbeiten muss, denn das ist das Beste für Schweden.“

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Malerisch: Täcka udden – auf Deutsch: schöne Landzunge – heißt das Anwesen, in dem die Wallenbergs jährlich über die Geschicke der Dynastie entscheiden. Gebaut 1869-1870 nach den Zeichnungen der Brüder Axel Kumlien und Hjalmar Kumlien.

 © Bild: Getty Images/iStockphoto

Die Wallenbergs sind aktive Investoren. Die Familie und ihre Gefolgsleute besetzen Verwaltungsratsposten in allen Unternehmen, an denen Investor AB beteiligt ist. In den Verwaltungsräten können sie ihren Einfluss geltend machen, indem sie etwa die CEO wählen. Dabei sind sie jedoch auch auf das Vertrauen der anderen Eigentümer angewiesen. In einem seiner seltenen Interviews sagt Jacob Wallenberg zur Tageszeitung Svenska Dagbladet: „Wir arbeiten sehr aktiv daran, talentierte Leute zu finden, mit denen wir zusammenarbeiten können.“

Das Motto: Esse non videri

Als Gunnar Wetterberg die Familiengeschichte der Wallenbergs aufschrieb, lernte er Jacob und Marcus kennen und traf auch Peter mehrere Male. Durch seine Arbeit kam er der Familie nahe – bis in das Anwesen Täcka udden: „Große braune Möbel, viele Gemälde von Schiffen – kein Ort von außergewöhnlicher Schönheit, aber eine solide Villa der Oberschicht.“ Die Wallenbergs führten keinen extravaganten Lebensstil, sondern machten einfach ihre Arbeit und führten erfolgreich ihre Unternehmen. „Es sind Unternehmen, für die die Menschen gerne arbeiten. Das hat den Wallenbergs in Schweden viel Wohlwollen eingebracht.“

Esse non videri – sein, nicht scheinen: So lautet das Motto der Dynastie. Während viele Reiche wie Elon Musk das Rampenlicht suchen, halten sich die Wallenbergs mit Absicht zurück. Interviews geben sie selten, und wenn, dann sprechen sie über das Geschäft, die Spenden und die Familie als Institution. Nie über Privates oder kaum über Politik – außer es nützt dem Geschäft.

Gegen Skandale sind sie immun

Streitigkeiten und Fehden dringen nicht an die Öffentlichkeit. Als sich Peter „Poker“ Wallenberg in diesem Herbst von seiner Frau Klara Sydhoff Wallenberg scheiden ließ, organisierten die beiden gemeinsam eine Party im familieneigenen Grand-Hotel in Stockholm, um Einigkeit zu demonstrieren. Zu Pokers Image passt, dass die größte Schlagzeile in den schwedischen Boule­vardblättern über seine Scheidungsparty die Anwesenheit von Königin Silvia in einem Kleid war, das sie bereits 2022 bei der Verleihung der Nobelpreise getragen hatte.

Um einen Skandal zu finden, muss man in der Geschichte weit zurückgehen. Ins Jahr 1878, als André Oscar Wallenberg gesetzeswidrig einen Teil seines Vermögens versteckte, um nicht haften zu müssen, falls seine Bank Konkurs gehen sollte. In den Zweiten Weltkrieg, als die Wallenbergs mit dem deutschen Unternehmen Bosch Geschäfte machten, obwohl diese Firma Rüstungsaufträge ausführte und Zwangsarbeiter beschäftigte. Oder ins Jahr 1971, als Marc Wallenberg Suizid beging, weil er sich dem Druck seines Vaters Marcus senior nicht gewachsen fühlte.

Auch in jüngerer Vergangenheit gab es vereinzelte negative Schlagzeilen. 2022 wurde bekannt, dass das Telekomunter­nehmen Ericsson im Irak womöglich Geld an den IS gezahlt hatte, um Zugang zu Transportrouten zu erhalten. Vizepräsident im Ericsson-Verwaltungsrat war schon zum Zeitpunkt der mutmaßlichen Terrorfinanzierung Jacob Wallenberg, Investor hielt schon damals 24 Prozent der Stimmrechte.

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Familiär: Das Wallenberg-Imperium wird aktuell bereits von der fünften Generation geführt. Fotografie aus 1988.

 © IMAGO/Jan Wirén/Expressen/TT

Nichts davon hat den Wallenbergs nachhaltig geschadet. In Erinnerung geblieben sind nicht die zwielichtigen Geschäfte mit dem Nazi-Regime, sondern die Geschichte von Raoul Wallenberg, der rund 20.000 ungarische Juden rettete, indem er ihnen schwedische Schutzpässe ausstellte und sie in „Schwedenhäusern“ unterbrachte.

Raoul war Mitglied der vierten Generation und der Cousin des Vaters von Peter „Poker“ und Jacob. Er wurde später von sowjetischen Truppen festgenommen und starb im Gefängnis in Moskau. Auch die Ericsson-Affäre prallte an der Familie ab. Einen nachhaltigen Prestigeverlust, wie von der schwedischem Boulevardzeitung Aftonbladet prophezeit, gab es nicht.

Die Wallenbergs haben sich einen Namen gemacht als „Königsmacher“ (Financial Times) und „die bestbezahlten Wohltätigkeitsarbeiter der Welt“ (Aftonbladet). Es ist die Mischung aus Macht und Altruismus, die sie scheinbar unangreifbar macht. Niemand kann ihnen schaden, ohne dabei Schweden zu schaden. Und wer sollte dies überhaupt wollen, schließlich tut niemand mehr zum Wohle des Landes als die Dynastie. Doch die Zeiten ändern sich, Machtstrukturen sind nicht länger ein unhinterfragtes Gesetz. Der Druck wächst. Ist ihm die neue Generation gewachsen?

Zukunft in Händen der 6. Generation

Ökonomen sprechen vom Fluch der dritten Generation, vom Versagen der Enkel. Die erste Generation schaffe das Vermögen, die zweite verwalte es und die dritte studiere Kunstgeschichte, heißt es. Das Wallenberg-Imperium wird mit Jacob, 68, Marcus, 68, und Peter, 65, von der fünften Generation geführt. Seit über einem Jahrzehnt bereitet sie den nächsten Generationenwechsel vor.

Die Nachfolge wird nicht vererbt. Weil das Vermögen in Stiftungen steckt, wird der Wechsel von deren Satzungen und Vorständen bestimmt. Will heißen: Die Nachfolger – und zum ersten Mal womöglich auch Nachfolgerinnen – werden von den Älteren ernannt. Frauen spielten in der Geschichte der Wallenbergs bisher nur eine Nebenrolle, wichtige Führungspositionen wurden stets von Männern bekleidet. Zur Financial Times sagt Marcus Wallenberg, dass er und seine Cousins eine weibliche Nachfolgerin „sehr, sehr begrüßen“ würden.

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Marcus Wallenberg

 © UESLEI MARCELINO / REUTERS / picturedesk.com

Von den 30 Mitgliedern der sechsten Generation haben 20 Interesse daran bekundet, das Familienimperium weiterzuführen. Der Generationenwechsel erfolgt nach den Grundsätzen einer geheimen Familienverfassung, die von allen volljährigen Mitgliedern der sechsten Generation unterzeichnet wurde. Angeleitet von Jacob, Marcus und Peter, sind die Interessenten bereits dabei, sich in verschiedene Bereiche des Konzerns einzuarbeiten.

Am Ende werden einige wenige von ihnen in einflussreichere Positionen befördert. Wer dafür infrage kommt, darüber halten sich die Wallenbergs noch bedeckt. Aus gutem Grund: Von diesem Generationenwechsel hängt viel ab – nicht nur für die Familie Wallenberg, sondern auch für Schweden.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 44/2025 erschienen.

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