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Julia Roberts: „Spannend wird es doch immer, wenn Konflikte entstehen“

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Julia Roberts

©Bild: IMAGO/ABACAPRESS

Julia Roberts hat keine Angst vor Grauzonen. In Luca Guadagninos Film „After the Hunt" spielt sie eine Frau, die zwischen Wahrheit, Moral und Loyalität zerrieben wird - und zwingt das Publikum, mit ihr zu zweifeln. Manche nennen den Film „gesellschaftspolitisch kontrovers". Roberts selbst sieht darin ein Plädoyer für Komplexität – und eine Aufforderung zu mehr ehrlichen Debatten.

von Pete Carroll/The Interview People

Um Julia Roberts ist fünf Monate vor der Vergabe der wichtigsten Filmpreise ein frühes Oscar-Rauschen zu hören – und zugleich ein leises Unbehagen. Es ist ein kontrovers diskutierter Film, in dem die 57-Jährige eine weithin gefeierte Leistung liefert, Luca Guadagninos Drama „After the Hunt“. Es erzählt von Macht, Moral und dem schmalen Grat zwischen Wahrheit und Wahrnehmung. Eine Studentin der Universität Yale beschuldigt einen Professor der Vergewaltigung, der Campus gerät in Aufruhr – und mittendrin steht die von Julia Roberts dargestellte Professorin Alma Olsson: brillant, beliebt und gerade im Begriff, den entscheidenden Karriereschritt zu machen.

Besagte Studentin (Ayo Edebiri) zieht die Professorin ins Vertrauen. Deren Kollege, den sie des Missbrauchs beschuldigt (Andrew Garfield), ist ein langjähriger, überaus enger Freund der Professorin. Seine Version der Geschichte ist die eines Racheakts der Studentin, nachdem er diese wegen eines Plagiats zur Rede gestellt habe.

Von diesem Moment an verliert jede Gewissheit ihre Kontur. Ein vielschichtiges Spiel entfaltet sich, es geht um Wokeness, MeToo und Cancel Culture, um Diskriminierung, Privilegien und moralisches Kalkül. Opfer und Täter, Wahrheit und Manipulation verschwimmen und werden zum Spiegel unserer Zeit.

Sehnsucht nach moralischer Klarheit

Für den italienischen Regisseur Luca Guadagnino („Call Me by Your Name“, „Challengers“) waren Liebe, Begehren, Moral stets Spannungsfelder. Statt für große Thesen interessiert er sich für das Unklare, Widersprüchliche, das sich zwischen Menschen abspielt. „After the Hunt“ folgt dieser Linie.

Man findet keinen Kommentar zu „Cancel Culture“, kein „Anti-Woke“-Pamphlet, sondern zutiefst menschliche Fragen über Macht, Loyalität und die Sehnsucht nach moralischer Eindeutigkeit. Was bleibt, ist die Frage nach moralischen Fixpunkten und was passiert, wenn sie sich auflösen.

Im Pressegespräch beim Filmfestival in Venedig, wo der Film außer Konkurrenz gezeigt wurde und Weltpremiere feierte, zeigt sich Julia Roberts nachdenklich, präzise, aber auch mit trockenem Humor.

Viele finden Ihre Darstellung in „After The Hunt“ oscarwürdig. Ihren ersten Academy Award haben Sie vor 24 Jahren gewonnen. (Anm.: für „Erin Brockovich“). Schätzen Sie diesen Award im Rückblick anders als damals? Oft wird man mit den Jahren dankbarer und demütiger.

Oh, ich war damals schon überaus dankbar – und bin es bis heute geblieben.

Wo bewahren Sie Ihren Oscar auf?

Er steht bei uns zu Hause im Bücherregal.

Gibt es dort Platz für eine zweite Statue?

Luca (Anm.: Regisseur Guadagnino) wird schon Platz schaffen, falls es nötig wird (lacht).

Können Sie erklären, was Sie an dieser Rolle der kühlen Professorin in vielschichtigen Nöten gereizt hat?

Spannend wird es doch immer, wenn Konflikte entstehen, richtig? Genau darin steckt die Substanz. In diesem Film macht die Komplexität der Figuren, die Nora (Anm.: Drehbuchautorin Nora Garrett) geschrieben hat, das Knistern aus – dieses vielschichtige Zerwürfnis, das sich entfaltet. Es ist wie eine Reihe umfallender Dominosteine: Sobald der erste fällt, entsteht überall neue Spannung, neuer Widerstreit, neue Herausforderungen. Genau das ist es, was mich motiviert aufzustehen und zur Arbeit zu gehen.

Der Film provoziert auch das Publikum, sich zu hinterfragen. Welche Fragen hat der Film in Ihnen ausgelöst? Worüber haben Sie während der Dreharbeiten diskutiert?

Ich bin von Natur aus jemand, der viel hinterfragt. An der Yale-Professorin Alma fand ich besonders spannend: Wie kann jemand, der so klug und fähig ist, Entscheidungen treffen, die sie am Ende in eine Art selbstgewähltes Gefängnis führen? Das zu ergründen, diese Schichten von ihr freizulegen – das war faszinierend. Sie hat sich ein kunstvoll gebautes Mauerwerk geschaffen, und es war meine Aufgabe, es Stück für Stück freizulegen. Ein weiteres großes Thema ist Ehrgeiz: Jede Figur in diesem Film hat ihn, aber aus ganz unterschiedlichen Gründen, mit verschiedenen Sehnsüchten. Ehrgeiz ist etwas, womit ich mich selbst gar nicht wohlfühle, deshalb war es umso interessanter. Luca hat eine einzigartige Sicht auf diese Menschen. Ich habe noch nie jemanden erlebt, der sich so für alle Facetten der Menschlichkeit interessiert wie er. Das hat dazu geführt, dass ich es total merkwürdig fand, eine Person zu spielen, die so kühl sein kann wie Alma – und dabei so viel Freude zu empfinden.

Das Wichtigste, was Eltern ihren Kindern zeigen können, ist, wer sie wirklich sind

Julia Roberts

Der Film thematisiert auch die gestiegene Sensibilität für Frauenrechte und die Verletzung dieser Rechte. Wie vermitteln Sie Ihren Kindern Themen wie Gleichberechtigung und den respektvollen Umgang mit dem anderen Geschlecht?

Ich glaube, wir geben jeden Wert, der uns im Herzen wichtig ist, weiter, indem wir ihn vorleben. Wenn man für sich selbst einsteht, für das, woran man glaubt, und sein Leben nach einem klaren moralischen Kompass ausrichtet – dann sehen Kinder das, und sie lernen daraus. Das gilt nicht nur für meine Tochter, sondern genauso für meine Söhne. Mein Mann und ich versuchen, unsere Überzeugungen in allem sichtbar zu machen: in unserer Arbeit, in unseren Freundschaften, in der Art, wie wir uns in der Welt bewegen.

Das Wichtigste, was Eltern ihren Kindern zeigen können, ist, wer sie wirklich sind. Meine Mutter ist mir lange ein Rätsel geblieben. Ich erinnere mich, wie ich sie eines Tages gefragt habe: „Wie hast du das bloß alles geschafft?“ Und sie sagte: „Oh, Liebling, setz dich.“ Dann hat sie mir ihre Geschichte erzählt – offen, liebevoll, ehrlich. Dieses Gespräch hat mich tief berührt. Es hat mir Trost gegeben und meine Liebe zu ihr auf eine neue, reifere Weise vertieft. Davor war sie mir wie eine Superheldin vorgekommen und später rätselhaft. Ihr wahres Ich ist mir lange verborgen geblieben. Vielleicht, weil sie alles alleine stemmen musste: Kinder großziehen, Vollzeit arbeiten, funktionieren …

Haben Sie sich selbst in denselben Umständen je wie eine Superheldin gefühlt?

Das nicht, aber hin und wieder erlaube ich mir den Gedanken: Wow, das war ein richtig gut gelungener Tag!

Was passiert an so einem gut gelungenen Tag?

Er besteht aus einer stimmigen Mischung beruflicher und privater Dinge, die ich geschafft habe und einem Abendessen, das genau dann fertig ist, wann es fertig sein soll und nicht erst eine Stunde später. Sie wissen schon: Ein aufgeräumtes Haus sorgt für einen aufgeräumten Geist. Wenn ich also das Gefühl habe, dass ich all diese Dinge unter Kontrolle habe, dann schlafe ich einfach besser.

„After The Hunt“ spielt vor dem Hintergrund der #MeToo-Bewegung*. Wie haben Sie die damals erlebt und wie hat sich Ihre Branche seitdem verändert?

Ich war damals auf einer Pressetour für den Film „Wunder“, da hat mir gegenüber jemand zum ersten Mal diesen Begriff erwähnt und eine Frage dazu gestellt. Interessanterweise ist diese Person kurz darauf „von ihren Pflichten entbunden“ worden. Ironisch, oder?

Hat sich die Branche seitdem zum Besseren verändert?

Das kann ich schwer beurteilen. Aus meiner Perspektive ist das nicht so leicht messbar.

Könnte man sagen, dass die Rollen, die Ihnen heute angeboten werden, ein Ergebnis dieser Veränderungen sind?

Inwiefern meinen Sie das?

Es gibt heute ein anderes Bewusstsein, das Rollen für Frauen verbessert hat. Sie sind komplexer, vielschichtiger. Frauen in reinen Opferrollen, wie wir sie lange geduldet haben, sind heute so nicht mehr möglich.

Ich sehe die Rollenangebote, die mich betreffen, eher als Vorteil des Älterwerdens: dass man mit der Zeit komplexere Figuren spielen darf – einfach, weil man auf ein größeres Reservoir an Lebenserfahrung zurückgreifen kann.

Ihre Yale-Professorin Alma Olsson ist eine sehr komplizierte, schwer zu durchdringende Frau. Haben Sie sich diese Rolle selbst erarbeitet?

Nein, das hätte ich niemals alleine gemacht. Es war ein ständiger Austausch mit Luca (Anm.: Regisseur Luca Guadagnino) – ein permanenter Dialog. Einen großen Teil ihrer Persönlichkeit und ihrer Motive habe ich über die Figuren, die sie umgeben, besser verstanden. Zu betrachten, wie sich Frederik (Anm.: Almas Mann) durch diese Geschichte bewegt, welche Beziehung sie zu diesem Mann pflegt – das hat mir unglaublich viel über Alma verraten. Es waren Puzzleteile, die ich gefunden habe, um zu ver­stehen, wer Alma wirklich ist.

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 © imago/Landmark Media

Regisseur Luca Guadagnino hat gesagt, Filmemachen bedeute, die Wahrheit zu erzählen. Was hilft Ihnen, ehrlich zu sein – als Schauspielerin und als Mensch?

Ich glaube, es gibt da kein besonderes Rezept. Was hilft? Atmen, vielleicht. Es liegt nicht in meiner Natur, unehrlich zu sein. Ich bin eine sehr direkte Person, jemand, der klar spricht. Nicht jeder mag das, aber das gehört zum Leben. Ich bin lieber so, als dass ich eine Illusion von jemandem aufrechterhalte, der ich gar nicht bin.

Manche Stimmen sagen, dieser Film untergrabe den feministischen Kampf. Wie sehen Sie das?

Ich weiß, unsere Zeit ist begrenzt – aber wenn Sie sagen, der Film untergrabe die feministische Bewegung, können Sie mir kurz erklären, in welcher Hinsicht Sie das so sehen?

Weil der Film das alte Argument vom Konflikt zwischen Frauen neu belebt. Dadurch wirft er einen Schatten auf die Glaubwürdigkeit von Frauen, die Anschuldigungen erheben, er erinnert an das Narrativ der „vermeintlich missbrauchten Frau“.

Ich widerspreche ungern – das liegt mir eigentlich nicht –, aber was Sie gerade gesagt haben, gefällt mir sehr: dass der Film alte Debatten wieder aufleben lässt. Dabei geht es aber um viel mehr als nur das Narrativ von Frauen, die einander nicht unterstützen. Es gibt viele alte Argumente, die in diesem Film auf neue Weise belebt werden, und zwar auf eine Art, die Gespräche anregt. Das Beste ist, wenn Sie sagen, Sie haben das Kino verlassen und sofort angefangen zu diskutieren. Genau das wollten wir erreichen: Dass die Zuschauer mit unterschiedlichen Gefühlen, Gedanken und Standpunkten hinausgehen – und vielleicht klarer spüren, woran sie wirklich glauben. Wir rühren da einiges auf – gern geschehen!

Ich habe das Gefühl, dass wir gerade die Kunst des echten Gesprächs verlieren. Wenn dieser Film dazu beiträgt, sie ein Stück weit zurückzubringen, wäre es das Beste

Julia Roberts

Die Themen im Film sind hochaktuell und gesellschaftlich stark emotional aufgeladen: Geschlechterrollen, Privilegien, Machtstrukturen. Glauben Sie, dass das zu Kontroversen führen könnte? Könnte „After the Hunt“ womöglich als politisch unkorrekt gelten?

Für mich ist es vor allem eine vielschichtige Geschichte. Sie erinnert mich an den Film „Tender Mercies“. Damals hatte ich das Gefühl, als hätte einfach eine Kamera zufällig in einer Stadt Halt gemacht und festgehalten, was dort geschah. So empfinde ich auch diesen Film: Wir urteilen nicht, wir formulieren keine Botschaft. Wir zeigen einfach Menschen in einem bestimmten Moment ihres Lebens. Es ist, als wäre die Kamera vom Himmel gefallen und hätte genau diesen Augenblick eingefangen. Das finde ich faszinierend. Besonders die Einblicke in diese Ehe waren für mich eine der spannendsten Erfahrungen überhaupt. Die Szenen mit Michael Stuhlbarg (Anm: spielt Frederik Olsson) waren ein Schauspieltraum.

Diese Beziehung ist so komplex, viele werden sie nicht verstehen, viele wiederum sehr genau. Genau das ist das Spannende. Wir fordern das Publikum heraus – zum Nachdenken, zum Diskutieren, vielleicht auch zum Ärgern. Wir wollten keine Botschaft verkünden, sondern das Leben dieser Menschen in einem bestimmten Augenblick sichtbar machen. Ja, wir hoffen, dass die Zuschauer danach miteinander ins Gespräch kommen. Ich habe das Gefühl, dass wir gerade die Kunst des echten Gesprächs verlieren. Wenn dieser Film dazu beiträgt, sie ein Stück weit zurückzubringen, wäre es das Beste, was wir erreichen könnten.

© Imago / Lionel Guericolas / MPP / Starface

Steckbrief

Julia Roberts

Julia Roberts, geboren in Atlanta, Georgia, USA, schaffte nach ersten Rollen in „Mystic Pizza“ und „Steel Magnolias“ in den 90er-Jahren mit romantischen Komödien („Pretty Woman“, „My Best Friend’s Wedding“, „Notting Hill“) den weltweiten Durchbruch. Für die Titelrolle im Umweltdrama Erin Brockovich gewann sie 2001 den Oscar. In den folgenden Dekaden bewies sie ihre Bandbreite mit Dramen (August: Osage County), Independent-Filmen und TV-Rollen. Neben ihrer Schauspielarbeit ist sie Gründerin der Produktionsfirma Red Om Films und war lange Zeit Markenbotschafterin für Lancôme. Privat ist sie seit 2002 mit dem Kameramann Danny Moder verheiratet. Gemeinsam haben sie drei Kinder: die Zwillinge Hazel und Phinnaeus (*2004) sowie Henry (*2007).

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 43/2025 erschienen.

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