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Spitzentöne: Der leise Abschied der letzten Kulturkönner

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Heinz Sichrovsky

©Bild: Matt Observe

Die letzten Könner kommen unserer ratlosen Kulturpolitik abhanden. Rudolf Scholten und Christian Kircher verkörpern, was früher Standard war: unprovinzlerischen Blick und unbedingte Liebe zur Kunst.

Er selbst äußert sich, klugen Gepflogenheiten folgend, zur eigenen Person nicht. Er habe seiner Presseaussendung nichts hinzuzufügen, antwortet Christian Kircher, 61, auf Anfrage. Die Aussendung wurde aus obgenannten Gründen von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Aber ihr Inhalt hat es in sich: Der Geschäftsführer der Bundestheater-Holding strebt nach zehn Jahren keine Verlängerung seines Vertrags an, offiziell, da es „Zeit für einen Generationenwechsel“ sei. Er geht Ende März, Bewerbungen sind bis 27. Oktober einzureichen. „Nachdrücklich“ lädt nun das Ministerium Frauen zur Bewerbung ein. Eine Woche und einen Tag davor hat die Wiener Kulturstadträtin Kaup-Hasler den Rückzug Rudolf Scholtens vom Aufsichtsratsvorsitz der Festwochen bekanntgegeben. Ihm folgt eine Unternehmensberaterin.

Beiden Nachfolgern wünsche ich von Herzen Erfolg im Sinne der Kunst, nicht der politischen Auftraggeber. Zu beneiden sind beide nicht, zumal der Gebrauch eines Kompasses geraten wäre, um sich in den Schuhen der Vorgänger zurechtzufinden. Lassen Sie mich mit Scholten beginnen, dem letzten großen Kulturpolitiker des Landes. Als er 1990 Kunstminister unter Vranitzky wurde, sahen in dem verfeinerten jüdischen Intellektuellen manche den nächsten Kreisky. Er hatte damals drei Jahre als Bundestheater-Chef hinter sich und neun Jahre als glücklicher Inschachhalter des unsterblichen Burgtheaterdirektors Claus Peymann vor sich (Peymann und Scholten mit Autoverkäuferschläue loszuwerden, war dann Vranitzkys Nachfolger Viktor Klima vorbehalten).

Rushdies Freund

Scholten, dessen jährliches Literaturfest in Heidenreichstein Maßstäbe setzt, ist ein Kulturmensch par excellence. Als Salman Rushdie im Untergrund leben musste, überreichte ihm Minister Scholten nach längerem Zögern in Wien den Staatspreis für Literatur. Die beiden wurden Freunde. Unvergessen, wie sie nach einer von News ausgerichteten Lesung im schwer bewachten Museum für Angewandte Kunst der Polizei entkamen und die Wiener Nacht genossen (welch ein Elend, dass die Bedrohung in der Realität nie vorbei war).

Als Scholten vor 20 Jahren den Festwochenvorsitz übernahm, war dort unter Luc Bondys Intendanz das Weltbeste Standard. Dass sich Scholten 2017 von der Blitzumwidmung in berufsjugendlichen Provinzkrawall überrumpeln ließ? Das ist wohl eher dem damaligen Kulturstadtrat anzulasten, der den falschen Intendanten bestellte. Dann kam auch schon Kaup-Hasler, die das Unglück etwas weltläufiger fortschrieb. Als die Festwochen schon fast tot waren, komplimentierten aufgeweckte Journalisten den Intendanten Slagmuylder aus dem Amt und verhinderten einen noch schlimmeren Nachfolger.

Die Kulturpolitik braucht Sachverstand und Leidenschaft. Beides geht jetzt verloren

Jetzt tun Milo Rau und seine reife Jugendgang, was sie nicht lassen können. Das junge Publikum kommt in Scharen, das alte war schon davor vertrieben. Aber das Provozieren gegen unseren Konsens nach 1945 sollte der Intendant (er hat soeben ein zweifelhaftes „Völkermord“-Manifest verabschiedet) besser bleiben lassen.

Sollte Scholten, der offiziell einer Zwanzigjahrklausel weicht, auf die Dauer nicht bereit gewesen sein, dergleichen zu beaufsichtigen, würde mich das nicht wundern. Beunruhigend ist, dass die (vor allem von sich selbst) nicht ideal beratene Stadträtin jetzt nicht einmal mehr ein symbolisches Über-Ich vor Augen hat. Vielmehr deutet sie Sparmaßnahmen an, die selbst weltformatige Institutionen wie das Theater an der Wien bedrohen.

Und der Kunstvizekanzler

Und, auch nicht erfreulich: Es scheint, als würde auch der Kunst-, Sport- und Wohnvizekanzler in Kunstbelangen beim Wiener Kulturamt Erhellung suchen. Dass er diesbezüglich Rat einholt, ist zumindest ein Schritt zur Selbsterkenntnis: Seine Fachkompetenz korrespondiert zwar harmonisch mit der seiner sportaffinen Staatssekretärin und seiner einzigen kulturzuständigen Büromitarbeiterin, einer anerkannten Autorität für innerislamische Meinungsverschiedenheiten im Irak.

Aber was Kulturpolitik jetzt am verzweifeltsten braucht – nämlich Sachkunde und Leidenschaft –, ist in einsamer Personalunion durch Kircher verkörpert. Der diplomierte Betriebswirt war Spitzenmanager in Industrie- und Kulturbetrieben, sang im Schönberg-Chor und hat den ihm anvertrauten Konzern aus ganzem Herzen vertreten. Nach dem Finanzskandal des Burgtheaters anno 2014 war das Gesamte beschädigt, auch Staats- und Volksoper litten, General Georg Springer demissionierte. Ein anderer Kunstversessener, Günter Rhomberg, übernahm interimistisch die Konzernführung und stellte jene kreative Ruhe her, die Kircher 2016 in den Zustand der Erneuerung überführte.

Mit sicherer Hand

Was gelang – vor allem Bogdan Roscics Ernennung zum Operndirektor –, unterstützte er mit sicherer Hand. Als nach der überfallsartigen Absage des Erfolgsintendanten Thomas Ostermeier der Ersatzkandidat Kusej die nächste Burgtheaterkrise ansteuerte, tat Kircher wieder das Seine: Er verabschiedete schweren Herzens seinen Kärntner Jugendfreund, ehe dessen Versagen anno Corona und Teichtmeister irreversible Folgen nach sich ziehen konnte. Stefan Bachmanns Ernennung erwies sich als Treffer.

Sachverständige Kulturpolitiker wussten zudem, dass Kirchers Drängen auf automatische Valorisierung des Bundestheaterbudgets kein Formaljammern war. Das Ziel war schon in Rufweite, jetzt ist es zu spät. Unter der irren Inflation werden die Personalkosten nach Auflösung der Reserven schon 2027 nicht mehr zu bewältigen sein. Drohender Personalabbau wird mehrere Schließtage pro Woche nach sich ziehen. Die Konsequenzen vor allem für die täglich ausverkaufte Staatsoper werden den Fremdenverkehr verheerend treffen. Das Herz der Musikhauptstadt Wien ebenfalls. Aber mit Nebensächlichkeiten wollen wir uns doch nicht aufhalten.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 41/2025 erschienen.

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