In seinen Bildwelten teilt Hermann Staudinger seine Faszination für Gold. In seinem Glanz gebändigt, nutzt er es als eine Art Türöffner: Seine Kunst soll Räume öffnen, die zur Reflexion einladen und emotional berühren – eine Durchsicht auf die Essenz des Lebens
Atelierbesuch bei Hermann Staudinger
© VGN | Osama Rasheed
Der laue Wind lässt das verbliebene Herbstlaub des Baumes im Licht der bereits tief stehenden Sonne gülden funkeln. Ein leuchtender Glanz, der sich im Inneren des angrenzenden Backsteinhäuschens – unabhängig von Jahreszeit und Sonnenstand – fortsetzt. Seit Mitte der 90er-Jahre hat Hermann Staudinger hier, im 16. Wiener Gemeindebezirk, sein Atelier. Vor wenigen Jahren verlegte er seine Schaffensstätte vom Haupthaus in das kleine Haus im Innenhof. Vom regen Treiben des unweit gelegenen Brunnenmarkts bekommt man hier nichts mit. Ein verwunschenes Kleinod inmitten der Großstadt, das die Ruhe bietet, die er zum Arbeiten braucht.
Bei all dem Funkeln drängt sich natürlich eine obligate Frage auf: Ist hier alles Gold, was glänzt? „Nächste Frage“, winkt er lachend ab. „Tatsächlich ist das meiste 24 Karat Feingold – auch die matt erscheinenden Arbeiten sind aus echtem Gold. Letztlich ist es eine Frage der Vergoldungstechnik, ob ein Bild glänzt oder nicht.“ Ein Einbruch lohne sich aber nicht. Die Grammatur des verwendeten Blattgolds, das weit dünner als ein menschliches Haar ist, sei zu vernachlässigen.
Nicht so die Arbeitszeit: Je nach Format sind es in etwa ein bis zwei Monate, die er an seinen „Goldgrundprägungen“ arbeitet. „Zunächst vergolde ich eine Weichholzplatte, die als Bildträger dient“, erklärt der Künstler anhand eines Waldmotivs, das beim Betreten des Ateliers sogleich ins Auge fällt und im Dämmerlicht leuchtend changiert. „Im nächsten Schritt wird eine bearbeitete Fotografie auf Papier über den vergoldeten Bildträger gespannt, ehe die eigentliche Arbeit beginnt.“ Das Motiv ist weder gezeichnet, noch gemalt: „Mittels Abertausender kleiner Bleistiftstriche werden die schwarzen Stellen der Papiervorlage durch Druck auf das Gold gepaust, ohne dass Farbe übertragen wird.“ Die dadurch im Gold entstehende, reliefartige Struktur bricht das einfallende Licht und sorgt letztlich für die typische Tiefe dieser Werkgruppe.


Goldgrundphotos. Durch Inkjet-Print rückt Staudinger altbekannte Motive in neue, leuchtende Tiefe
© BeigestelltDie funkelnde Faszination
Seit 1995 ist Staudingers Arbeit bereits untrennbar mit dem Edelmetall verbunden. Dabei liegt seine ursprüngliche Begeisterung dafür weit länger zurück: Im Alter von zehn Jahren habe er das Märchen des Froschkönigs illustriert und festgestellt, dass er die goldene Kugel bestenfalls Orange-Gelb malen kann. „Dass mir das Gold einfach nicht gelingen wollte, hat mich damals ungemein gewurmt“, lacht Staudinger, der seine künstlerische Begeisterung bereits in jungen Jahren entdeckte. „Die bildnerische Kunst war immer meine Heimat, mein Zufluchtsort“, sinniert er. Schon damals habe er die Einsamkeit des Prozesses geschätzt, ohne sich aber je allein zu fühlen. „Bei der Arbeit mag man vielleicht alleine sein, ist aber doch im Zentrum des Geschehens.“
Dass er später tatsächlich in der Kunst Fuß fassen würde, war anfangs – ob der zahlreichen Interessen Staudingers – nicht sofort klar. Doch der Drang nach künstlerischer Entfaltung wächst. Diesem letztlich nachgebend, studiert der gebürtige Oberösterreicher Ende der 80er-Jahre an der Angewandten in Wien bei Ernst Caramelle Grafik und Malerei. Ein Blick auf die künstlerischen Wurzeln zeigt, dass damals vor allem großformatige Bleistiftzeichnungen wie etwa Wolkenbilder aus Bleistiftkreiseln oder fotografische Serien wie beispielsweise über schlafende Hunde entstanden sind – beide Medien sollen später in der Entwicklung seiner singulären Bildsprache eine zentrale Rolle einnehmen.
Die goldenen Wurzeln im Œuvre reichen in die Zeit gegen Ende des Studiums zurück: „Ein Freund, der seinerzeit bei Gironcoli studierte und mit den unterschiedlichsten Materialien arbeitete, hat mich aufs Vergolden gebracht“, erzählt der Künstler.
Darf Kunst schön sein?
Das Edelmetall wird zur omnipräsenten Konstante: „Es sind die Beständigkeit und die Schönheit, die mich bis dato ungebrochen faszinieren“, schwärmt Staudinger. „Klar, kann Gold als Machtsymbol instrumentalisiert werden – mir geht es aber viel eher darum, die Wärme der Sonne einzufangen. Ich möchte emotional berühren und Räume öffnen.“ Genau dazu sei das Edelmetall imstande: „Man denke etwa an die Ikonenmalerei“, führt er aus. „Hier stand das Gold für einen transzendenten Raum.“ Doch obwohl Staudingers Meister Caramelle stets mit Verweis auf die Kunstgeschichte lehrte, geht es ihm in seiner Arbeit nicht um historische Bezüge: eine kunstgeschichtliche Fortsetzung sei weder gewollt noch verhindert. Viel spannender sei die sakrale Wirkung des Goldes – „eine durchaus hilfreiche Schwingung“.
Fest steht, die Schönheit des Edelmetalls fasziniert über Generationen. Sie aufzugreifen, sei, laut Staudinger, entgegen dem allgemeinen Tenor des Kunstbetriebs, nichts Verwerfliches: „Kunst muss auch schön sein dürfen, ohne aber dabei zwangsläufig gefällig zu sein“, appelliert er. „Wichtig sei dabei, dass das Gold nicht zu vordergründig ist. „Es verlangt danach, eingebunden zu werden.“


Goldgrundprägungen. Mit Abertausenden Bleistiftstrichen wird das Motiv mittels Druck auf eine vergoldete Weichholzplatte gepaust – es entsteht changierende Tiefe
© BeigestelltVom emotionalen Erfassen
Wie das gelingt, variiert von Serie zu Serie: Während die Untermalung in Staudingers „Goldwänden“ das Gold komplementiert, sind es in den gegenständlichen Werkgruppen der „Goldgrundphotos“ – bei denen mittels Inkjet-Prints das Motiv auf den vergoldeten Bildträger gedruckt wird – und der eingangs beschriebenen „Goldgrundprägungen“ die Motive, die den Glanz des Goldes in Zaum halten.
Wo Staudinger diese findet? „Im Kopf und im Herzen, aber auch in meiner unmittelbaren Umgebung – etwa der Natur“, so Staudinger, dessen Motive oftmals Altbekanntes zeigen. Die Eindeutigkeit ist dabei nebensächlich: „Als ich in meinen 20ern für drei Monate in New York war, stand ich im MoMA vor einem Ad Reinhardt“, erinnert sich Staudinger an ein Schlüsselerlebnis. Zunächst dachte er, dessen quadratisches „Black Painting“ wäre eine Paraphrase auf Malewitschs „Schwarzes Quadrat“. „Erst auf den zweiten Blick sah ich, dass die Arbeit aus neun einzelnen Quadraten bestand, die sich in ihren Schwarztönen nuanciert unterschieden. Ich habe gebraucht, um die Botschaft zu dechiffrieren – damals habe ich verstanden, was es bedeutet, Künstler zu sein und worum es in der Kunst geht.“
Eine Eigenschaft, die sich auch Staudinger zunutze macht: „Es geht nicht um das absolut Offensichtliche, sondern viel mehr um die non-verbale Kommunikation – nicht primär um das Verstehen, sondern um das emotionale Erfassen und Erleben.“ Der Faktor Zeit, der den künstlerischen Dialog und das In-Resonanz-Treten fördert, sei beim Betrachten essenziell. Nicht selten zeigt Staudinger deshalb in seinen Arbeiten Detailansichten: Wie eine Art Zoom-in fokussiert er dabei auf das Wesentliche, das Essenzielle. „Es geht mir nicht darum, Dinge zu zeigen – ich berichte in meiner Kunst nicht über, sondern von etwas. Ich betrachte nicht, sondern erzähle aus dem Zentrum der Sache heraus“, begründet er sein Narrativ.
Energie auf höherer Ebene
Ihren Ursprung finden seine gegenständlichen Arbeiten stets in selbst gemachten Fotografien. Mit welcher Technik sie sich später ihren Weg auf den Bildträger bahnen, ist letzten Endes zweitrangig: „Die Technik ist zwar spannend, weil sie dazu beiträgt, Energie zu übertragen“, so der Künstler, „aber um Virtuosität geht es mir dabei nicht. Viel eher möchte ich Energie auf eine höheren Ebene heben – möchte Erlebtes mit Betrachtenden teilen, sie an der Schönheit der Erfahrung teilhaben lassen. Am Ende des Tages geht es mir darum, eine Art Fenster zu öffnen auf das Wunder unseres Seins. In diesem Blick den Betrachtern einen Raum zu schaffen, der weit über den Alltag hinausreicht, ist eine lohnende Tätigkeit.“







