In seinen von vermeintlicher Perfektion gezeichneten Fotografien ergründet der Konzeptkünstler Robert F. Hammerstiel menschliche Sehnsüchte. Und stellt sich dabei stets der Frage: Schein oder Sein?
Atelierbesuch bei Robert F. Hammerstiel
© VGN | Osama Rasheed
„Wäre ich Maler, hätte ich meine Pinsel ja auch nicht ständig bei mir“, entgegnet Robert F. Hammerstiel auf die Verwunderung darüber, dass er bei unserem Treffen im Café Rüdigerhof ohne seine Kamera erscheint. Er konkretisiert: „Außerdem bin ich kein Fotograf.“ Hammerstiel ist Künstler. Aufgewachsen in einem künstlerischen Spannungsfeld – der Vater war Maler – zwischen Farbe und Figuration, war die frühkindliche Sensibilisierung ein erster Anstoß für das konzentrierte, visuelle Begreifen. Doch nach Zeichnungen oder Malereien aus Hammerstiels Kindheitstagen sucht man vergebens. „Farben, Pinsel und Stifte haben mich nie wirklich interessiert.“ Sein künstlerisches Narrativ ist seit jeher fotografischer Natur. Eine Instamatic-Kamera, die der heute 68-Jährige im Alter von sieben Jahren geschenkt bekommt, weckt eine Faszination, die bis dato ungebrochen ist. Sein Interesse am visuellen Erfassen, dem Sehen, wächst. Geprägt von kindlicher, losgelöster Spontaneität, entstehen erste Hammerstiel’sche Fotografien. Sie erzählen die Geschichten eines jungen Lebens. Schräg (wortwörtlich zu verstehen), wild und verrückt konserviert er Augenblicke mit stürzenden Linien, teils verwackelt und unscharf – „vergleichbar mit kindlichen Kritzeleien“, beschreibt Hammerstiel sein, wenn man so will, Frühwerk, das von spontanem Sehen und dem Drang, Gesehenes einzufangen, geprägt ist.
Während der 1990er-Jahre greift er diese kindliche Spontanität ein weiteres und letztes Mal auf. Er nutzt sie bewusst als Stilmittel einer Werkserie, die heute – neben den Fotografien aus Kindheitstagen, die Teil des Serienkonzepts sind – im Besitz der ALBERTINA ist.


Make Yourself at Home, 2014. (Abb. links, 184 x 313 cm)
Die Kulissenhaftigkeit des Areals erzeugt eine Situation zwischen Realität und Künstlichkeit
„Konzeptkunst ist Kopfsache“
Davon abgesehen ist von der kindlichen Unschärfe als beiläufig entwickeltes Stilmittel nichts mehr vorhanden. „Hoffentlich“, lacht er. Auch vom Schwarz-Weiß der frühen Anfänge ist heute nichts mehr zu sehen. Die Farbfotografie sieht Hammerstiel als Voraussetzung für sein künstlerisches Konzept, das auch die einstige Spontaneität verabschiedet. Ein weiterer Grund, warum die Kamera nur selten dabei ist: „Konzeptkunst ist Kopfsache“, führt er aus. „Erst wenn der Gedanke, die Idee, gereift und ein Motiv ausgewählt sind, kommt die Kamera zum Einsatz.“ Die inszenierte Konzentration in seinem Schaffen verhindert, von Alltäglichkeiten abgelenkt zu werden. „Ich will mich nicht von Zufällen leiten lassen – ich will das Stück von Anfang bis Ende durchkomponieren.“ Die Fotografie, der Moment des Abdrückens, wird dabei fast schon zur Nebensache. „Die Recherche zu meinen Themen, das Organisieren und Koordinieren der Umsetzung und das Ausarbeiten der Fotografien ist das, was die Arbeit für mich so spannend macht. Der kreative Akt passiert vor dem Fotografieren. Das Fotografieren selbst ist das, was ich im Arbeitsprozess am wenigsten gerne mache.“
So kommt es, dass Hammerstiel – dem Konzept verpflichtet – ausschließlich Dinge inszeniert und fotografiert, die ihn persönlich berühren oder in irgendeiner Verbindung mit seiner Person stehen. Eine Herangehensweise, deren Wurzeln in Hammerstiels Zeit an der Angewandten in Wien zurückreichen. Von 1979 bis 1983 besuchte der Künstler dort die Meisterklasse für Grafik von Oswald Oberhuber. Die Professorin Eva Choung-Fux war es, die ihn diese fotografische Auffassung gelehrt, damit seine künstlerische Handschrift nachhaltig geprägt und überhaupt erst den Wunsch des Künstlerdaseins geweckt hat. „Sie war damals die Einzige, die es hierzulande ermöglicht hat, Fotografie als freie Kunstform zu studieren – eine völlige Utopie im klassischen Kunstbetrieb.“ Dabei ging es weniger um das Technische – geschult wurde vielmehr der Umgang im Sehen. „Seither ist es mein Anspruch, eben diese Dinge, die mich berühren oder in Verbindung zu mir stehen, durch meinen Blickwinkel, meinen Filter, zu zeigen.“


Dark Picnic, 2019–2022. (Abb. rechts, 117 x 152 cm)
Eine Arbeit aus der Werkgruppe „Akatalepsia“ reflektiert das Existenzielle – der wahre Zustand, die Geschichte, der Protagonisten bleibt Gedankengut der Betrachtenden
Der Mensch im Mittelpunkt
Gezeigt wird vor allem das, worum es geht. Konkret. Puristisch. Unmittelbar. Echt. Das Resultat der Fotografie als eigenständiges Medium rückt zusehends in Hammerstiels Sucherfokus. Ein Zugang, den ihn die Werbeindustrie lehrte: „Sie will verkaufen und setzt dazu auf bewusste Manipulation“, so Hammerstiel. „Ein Phänomen, das mich enorm fasziniert hat, ist der inhaltliche Fokus dieser werblichen Produktfotografie.“ Obwohl Hammerstiel die manipulativen Absichten kritisch sieht, bedient er sich der fotografischen Strategie – er fokussiert und reduziert auf das zu Zeigende. Auf seine Protagonisten, die je nach Serie Mensch, Tier, Pflanze oder Objekt sein können.
Im Zuge dieser kritischen Auseinandersetzung stellt er sich auch der Frage des Massenprodukts als solches. „Da gibt es etwa die Tierindustrie, die massenhaft Produkte für den Hund verkauft, die er zu seinem vermeintlichen Glück eigentlich gar nicht benötigt“, referenziert er auf die Werksserie „Glücksfutter“, die Ende der 1990er-Jahre entstand. „Damit ist das Glücksfutter nichts anderes als ein Produkt für Herrl und Frauerl.“ Gesellschaftliche Wirkmechanismen, die imstande sind, ein fast schon kollektives Begehren zu wecken, gewinnen an Bedeutung. Hammerstiel fotografiert schöne Gärten, zeigt perfekte Pools und porträtiert vermeintliches Familienglück. Die Sehnsucht des Menschen nach Glück, Geborgenheit, Sicherheit und Idylle sowie die damit verbundenen Wunschprojektionen werden zu zentralen Themen seines künstlerischen Schaffens. Die Erkenntnis der limitierten Existenz und des ausweglosen Gefangenseins im sisyphushaften Kreislauf des Lebens sowie eine zunehmende Orientierungslosigkeit in einer als schwer zugänglich empfundenen Welt, führen die Menschen zur Schaffung von Ersatzwelten als Rückzugsmöglichkeit. „Obwohl man ihn in 80 Prozent meines Œuvres nicht sieht, bildet der Mensch den Mittelpunkt meiner Arbeit.“ Seine Kritik richtet sich dabei jedoch nie gegen gezeigte Personen oder jene, die sich der abgebildeten Objekte bedienen. „Sie richtet sich stets gegen die Industrie.“
Robert F. Hammerstiel
Das Œuvre des 1957 geborenen Konzeptkünstlers – der heuer mit dem Österreichischen Kunstpreis für Fotografie ausgezeichnet wurde – oszilliert zwischen Fotografie, Videokunst und Installation
Vom Tarnen und Täuschen
Die alles einende Frage nach Echtheit der von ihm gezeigten, hyperrealistischen (Schein-)Perfektion seiner Bildwelten wird zum gemeinsamen Nenner. Die Fotografie bildet das Epizentrum seines Schaffens, das nebenher zwischen Videokunst und Installationen oszilliert. „Es ist die Polarisierung zwischen einer realen Abbildung von größtmöglicher Wiedergabe der Wirklichkeit und der höchsten Form der Manipulation, die mich dabei fasziniert und die ich mir zunutze mache.“ Deutlich wird das etwa in der Serie „Trust Me“, in der Hammerstiel Kunststoffpflanzen als massenproduziertes Dekorationsobjekt in Originalgröße zeigt. Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass es sich dabei um echte Pflanzen handelt. Erst der zweite, detaillierte offenbart, dass es sich um Plastikversionen handelt. „Letztlich ist es die Fotografie, die bei genauer Betrachtung den Fake entlarvt“, so Hammerstiel. „Dieses existenzielle Hinterfragen ist wesentlicher Teil meiner Kunst.“
In der Werkserie „Dark Picnic“, die reglos in der Landschaft sitzende oder liegende Personen zeigt, spielt er wieder mit der Frage nach Realität. Wie ein Videostill zeigen die Bilder einen kurzen Augenblick. Eine Momentaufnahme, die das Davor und Danach im Verborgenen lässt. „Die Geschichte der gezeigten Personen und deren Ausgang bleiben im Verborgenen – sie entsteht in den Köpfen der Betrachtenden, ohne eine Kausalität zu kennen.“ Genau darum geht es Hammerstiel: Das Warum zu hinterfragen und so einen Nachdenkprozess zur menschlichen Existenz in Gang zu setzen. Die Fotografie gepaart mit seinem Blickwinkel auf die Dinge hilft ihm dabei. „Sie ist das Medium, in dem Wahrheit und Lüge aufeinandertreffen.“
KUNSTTIPP
Vom 8. bis 31. Oktober zeigt die Galerie ARTECONT (1., Opernring 21) im Rahmen der biennal veranstalteten FOTO WIEN 2025 unter dem Titel „Akatalepsia“ neue Arbeiten von Robert F. Hammerstiel. Eröffnung: 8. Oktober, 19 Uhr – es spricht Kurator Günther Holler-Schuster