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Patricia Paulina Karrer: „Künstler:innen sollen nicht verkauft, sondern beteiligt werden“

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16 min
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Patricia Paulina Karrer

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Patricia Paulina Karrer ist keine klassische Kunsthistorikerin – sie ist die Tech-Rebellin, die der Kulturwelt gerade ordentlich Feuer macht. Die 28-Jährige, unter anderem ausgebildet an der London School of Economics, sieht Kunst nicht als museales Heiligtum, sondern als Markt mit echtem wirtschaftlichem Potenzial. Mit ihrer Plattform GAIA Culture bricht die junge Salzburgerin ein jahrzehntealtes Tabu: Erstmals wird nicht das Kunstwerk investierbar, sondern der Markenwert der Künstler:innen selbst.

von Julia Weninger

Patricia Paulina Karrer bringt zusammen, was lange als unvereinbar galt: Kunst, Technologie und Kapital. Mit GAIA Culture hat sie eine Plattform gegründet, die Kunst und Krypto verbindet und so ein völlig neues Anlagefeld eröffnet. Künftig könnte nicht mehr nur in Konzerne, sondern direkt in Künstler:innen investiert werden. Kapital wird dabei nicht zum Feind der Kunst, sondern zum Werkzeug für Unabhängigkeit, und das ohne Kreative zu bloßen „Aktien“ zu machen.

Sie haben bei einer Großbank und im Europäischen Parlament gearbeitet – heute bringen Sie Kunst und Krypto zusammen. Wann kam der Moment, an dem Sie wussten: Corporate ist nicht mein Weg? Und wie kam es zur Gründung?

Der Moment kam, als ich nach meinen Stationen bei der Ersten Bank, im EU-Parlament/Consulate NYC und später bei Exclusible – wo ich Web3-Strategien für Luxusmarken (Tods Group, Christian Lacroix, Chalhoub Group UAE etc.) entwickelte – merkte, dass mich nicht Corporate-Strukturen, sondern kreative Innovation antreiben. Mit NEA – New Emerging Artists gründete ich meine erste Plattform für Künstler:innen im Web3 Bereich. GAIA Culture ist die konsequente Weiterentwicklung davon: der Versuch, Kunst, Technologie und Finanzlogik zu verbinden und Kultur als invertierbaren Wert neu zu definieren.

Wenn Sie zurückblicken: Was hat Sie als junge Gründerin am meisten überrascht – der Idealismus der Kunstwelt oder die Härte des Start-up-Geschäfts?

Ganz klar: die Konservativität der Kunstwelt. Viele halten sie für idealistisch und offen, doch besonders im DACH-Raum herrscht oft das Prinzip „weil es immer schon so war“. Das spürt man stark bei Museen und traditionellen Kulturstätten, wo Innovation häufig als Risiko statt als Chance gesehen wird. Dies ist jedoch auch eine sehr interessante Challenge für mich.

Das Start-up-Geschäft ist zweifellos fordernd, aber genau das kenne ich aus meinen Ausbildungen an Institutionen wie der LSE oder meiner Zeit bei EIT und Exclusible: hohe Dynamik, klare Ergebnisse, ständiges Lernen. Für mich ist das kein Druck, sondern ein Umfeld, das mich antreibt und inspiriert.

Sie kommen ja aus einer Galeristenfamilie, der Onkel war bei der Nitsch Foundation. Hand aufs Herz: Wie viel von dem Zugang zu Künstlern, Events und Netzwerk verdanken Sie diesem Background?

Ich bin meiner Familie und meinen Background sehr dankbar – ich liebe sie und weiß, für alles, was sie für mich getan haben, sehr zu schätzen. Fakt ist jedoch, dass ich vor allem bei meiner Mutter und meinen, wie ich sie nenne, „lustigen“ Tanten aufgewachsen bin, die mir früh beigebracht haben, dass Erfolg nichts mit Zufall zu tun hat, sondern mit Disziplin, Mut und Fokus. Meine Mutter bekam mich zwischen mündlicher und schriftlicher Matura – sie hatte also keine Wahl, als mir beizubringen, dass man sich Ziele nur mit harter Arbeit erkämpft. Der frühe Verlust meines Vaters hat diesen inneren Antrieb noch verstärkt und im gleichen Sinne natürlich auch das Verhältnis zu meinen Großeltern und vor allem meinem Onkel verstärkt, der mir sehr viel über Kultur/Kunst & Philosophie gelernt hat.

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 © Privat

Daher bin ich dankbar, von einer starken Familie und einem unterstützenden Netzwerk umgeben gewesen zu sein – sie haben mir Mut und Werte mitgegeben. Aber im Kern bin ich self-made: Ich habe mir mein Netzwerk, meine Chancen und meinen Weg selbst aufgebaut. Während meiner Studienzeit habe ich durchgehend 25 Stunden pro Woche gearbeitet, fast immer parallel zu Vollzeitkursen und mit einem Schnitt von 3.9/4.0. Das war herausfordernd, aber es hat mir Disziplin, Belastbarkeit und echte Unabhängigkeit beigebracht. Mein Studium an der London School of Economics habe ich mir schließlich mit 23 komplett selbst finanziert – ein Schritt, der mir gezeigt hat, dass Eigenständigkeit kein Zustand ist, sondern eine Haltung. Also um Ihre Frage zu beantworten - ja, ich verdanke meiner Familie vieles, aber vor allem die Wertehaltung, die sie mir mitgegeben haben.

Ihr erster Proof of Concept fand mit der Künstlerin Coco Wasabi statt – ein Name, der für viele noch neu ist. Warum gerade sie?

Wir haben uns im HOIV (Home of Innovation) kennengelernt, wo schnell klar wurde, dass Coco perfekt zu unserem Proof of Concept passt. Sie verkörpert genau jene neue Generation von Künstlerinnen, die zwischen Kunst, Popkultur und Digitalität agieren. Ihre starke Social-Media-Reichweite, ihr Verständnis für Community-Building und ihre Nähe zur jungen Zielgruppe machten sie zur idealen Partnerin, um zu zeigen, wie kultureller Markenwert durch Tokenisierung greifbar und investierbar werden kann.

Bei uns geht es nicht darum, ein einzelnes Kunstwerk zu verkaufen, sondern den Markenwert des Künstlers selbst investierbar zu machen

Patricia Paulina Karrer

Wie erklären Sie Künstler:innen, dass sie damit nicht nur sichtbar, sondern auch wirtschaftlich unabhängiger werden können?

Bei uns geht es nicht darum, ein einzelnes Kunstwerk zu verkaufen, sondern den Markenwert (Brand Equity) des Künstlers selbst investierbar zu machen. Der Token fungiert in der ersten Phase als Frühförderungsinstrument – 30 % fließen direkt in die Karriere- und Markenentwicklung des Künstlers und werden diesen auch direkt bei jeder Transaktion ausgezahlt, 45 % in einen gesperrten Kulturfonds, der langfristig Wertsteigerung sichert. Wenn der Markenwert wächst, entsteht später auch Zugang zu IP-basierten Ausschüttungen, ähnlich einer Dividendenlogik. So werden Künstler:innen nicht nur sichtbarer, sondern bauen sich schrittweise echte wirtschaftliche Unabhängigkeit auf.

Welche langfristigen Einkommensmodelle können Künstler:innen über GAIA Culture aufbauen und wie unterscheidet sich das von klassischen Galerien oder Förderstrukturen?

Über GAIA Culture können Künstler:innen langfristig ein eigenes, markenbasiertes Einkommensmodell aufbauen. Statt auf einmalige Verkäufe oder Förderungen angewiesen zu sein, entsteht durch die Tokenisierung ihres Brand Values eine nachhaltige Wertschöpfungskette: Einnahmen aus der Erstemission fließen in Markenaufbau und Sichtbarkeit, während der gesperrte Kulturfonds zukünftige Wertsteigerung absichert. Mit steigendem Markenwert öffnen sich zusätzliche IP-basierte Erlösquellen – etwa durch Beteiligungen an Partnerschaften, Lizenzen oder kulturellen Kooperationen. Im Unterschied zu klassischen Galerien oder Förderstrukturen behalten Künstler:innen bei GAIA volle Kontrolle und Ownership über ihre Marke und partizipieren direkt an ihrer eigenen Wertsteigerung – digital, transparent und skalierbar.

Viele Künstler:innen scheuen sich ja vor Technologie. Wie holen Sie jene ab, die mit Blockchain oder Tokens wenig anfangen können, aber von der Idee profitieren könnten?

Ja, viele Künstler:innen haben anfangs Berührungsängste mit Technologie. Wir holen sie über den Mehrwert, nicht über die Technik ab  und zeigen, dass Blockchain Teil einer Wertschöpfungskette ist: Finanzierung, Markenaufbau, langfristige Beteiligung. So bleibt Kunst und Kuenstler:innen zentral, Technik wird nur Mittel zum Zweck.

Ein KI-System soll künftig den Wert eines Tokens laufend berechnen – basierend auf Reichweite, Verkäufen oder Sichtbarkeit. Wie stellen Sie sicher, dass nicht nur Klickzahlen, sondern auch künstlerische Qualität zählt?

Ursprünglich war ja geplant, ein eigenes Bewertungssystem zu entwickeln, das Daten wie Reichweite und Verkäufe mit kuratorischen Faktoren kombiniert. Da Artsignal (UK) diesen Ansatz bereits erfolgreich verfolgt, sehen wir künftig großes Potenzial für eine strategische Kooperation, sobald wir in diese Phase eintreten, statt selbst Entwicklungsressourcen zu investieren.

Sie planen, Kunstinvestments langfristig sogar ins Online-Banking zu integrieren. Das klingt visionär. Wie realistisch ist es, dass man eines Tages zwischen Aktien und „Artists“ wählen kann?

Ziemlich realistisch – schließlich entwickeln sich selbst große Banken längst in 'neue' Richtungen. Was vor zehn Jahren mit Krypto noch utopisch klang, ist heute Realität. Der Markt für digitale Assets ist schlicht zu groß, um ihn zu ignorieren  und  ich setze genau dort an: Wir bringen Kunst dorthin, wo Kapital und Kultur endlich zusammenfinden.

Sie könnten also ein kulturelles Ökosystem der Zukunft entwickelt haben. Wie sieht Ihr persönliches Zielbild in fünf Jahren aus?

GAIA Culture ist ganz klar mein Fokus bis 2030 – das Fundament steht, jetzt geht es um Wachstum und Wirkung. Ab 2026 werden wir uns verstärkt im GCC-Raum positionieren, wo Kultur und Innovation sehr bewusst zusammengedacht werden. Parallel dazu möchte ich in den kommenden Jahren meinen Doktor schreiben und auch unterrichten. Wer mich kennt, weiß: Ich bin eher ein intellektuell als Zahlen getriebener Mensch – das akademische Umfeld lag mir immer und bereitet mir auch sehr viel Freude bzw. Erfüllung. Gleichzeitig bin ich realistisch: Wirkung braucht auch wirtschaftliche Stabilität. Für mich schließen sich Denken, Forschen und Unternehmertum nicht aus, sondern bedingen einander.

Mit NEA  haben Sie zu Beginn ja voll auf NFTs gesetzt, mussten aber pivotieren. Was war der schmerzhafteste Moment dieser Erkenntnis und wie viel Geld oder Zeit haben Sie dabei verloren?

Ehrlich gesagt: weder Geld noch Zeit wurden verloren. Nach NEA wurde ich vom damaligen Commercial Director von Cartier aus den USA, der kurz darauf Exclusible gründete, auf einer Crypto-Party beim WebSummit in Lissabon angesprochen – und so begann mein nächstes Kapitel. Bei Exclusible haben wir über 10 Millionen Euro mit NFTs umgesetzt, also war der „Pivot“ eher eine Weiterentwicklung als ein Rückschritt. Danach bin ich zum EIT gewechselt, um wieder stärker im Impact- und Innovationsbereich zu arbeiten. Die Grundidee von NEA hat mich aber nie losgelassen – und daraus ist schließlich GAIA Culture entstanden: die reifere, nachhaltigere Weiterführung derselben Vision.

Es geht es nicht um Kommerzialisierung, sondern um Selbstbestimmung

Patricia Paulina Karrer

„Investierbare Künstler“ und „Kunst und Kapital als schwieriges Paar“ – Kritische Stimmen meinen, ob das nicht die Kommerzialisierung von etwas ist, das eigentlich frei sein sollte?

Diese Kritik höre ich oft und ich verstehe sie. Aber es geht es nicht um Kommerzialisierung, sondern um Selbstbestimmung. Künstler:innen sollen nicht verkauft, sondern beteiligt werden. Wir schaffen Strukturen, in denen Kultur Wert behält, ohne ihre Freiheit zu verlieren. Kapital ist dabei kein Gegner, sondern ein Werkzeug, um kreative Unabhängigkeit zu sichern, denn wahre Freiheit entsteht nicht durch Verzicht auf Geld, sondern durch die Möglichkeit, es selbst zu gestalten.

Wie gehen Sie damit um, dass Kritiker sagen könnten: Sie reduzieren Kunst auf Social-Media-Metriken und machen aus Kreativen Börsenpapiere?

Diese Kritik ist nachvollziehbar, aber sie greift zu kurz. GAIA Culture reduziert Kunst nicht auf Zahlen, sondern macht ihren Wert sichtbar und messbar, ohne ihre Seele zu verlieren. Wir kombinieren Daten mit kurativer und kultureller Bewertung, um Qualität, Kontext und Wirkung einzubeziehen. Es geht nicht darum, Künstler:innen zu Börsenpapieren zu machen, sondern ihnen eigene wirtschaftliche Souveränität zu geben. Kapital ist dabei kein Feind der Kunst – sondern ein Mittel, um Freiheit, Sichtbarkeit und Nachhaltigkeit zu ermöglichen.

Wenn Sie heute in eine:n Künstler:in „investieren“ würden, rein aus Begeisterung – wer wäre das?

Definitiv Theta Noir – das Künstler:innenkollektiv, mit dem wir derzeit an einem Projekt im Kosovo arbeiten. Es begeistert mich, weil es Kunst, Technologie und gesellschaftlichen Wandel vereint. In diesem Kontext fungieren wir als Pre-Financing-Tool, das es dem Kollektiv ermöglicht, ihre Vision frühzeitig zu finanzieren, bevor klassische Förderstrukturen greifen. Genau das ist das Großartige daran: kreative Projekte müssen nicht mehr warten, bis jemand sie „ermöglicht“ – sie können sich selbst tragen, durch die Community, die an sie glaubt.

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Steckbrief

Patricia Paulina Karrer

Nach einem Master in Information Systems and Digital Innovation an der London School of Economics sowie Studien in International Relations und Economics in Wien leitete Patricia Paulina Karrer digitale Projekte für Institutionen wie die Europäische Kommission (EIT), Exclusible und internationale Tech-Start-ups. Als Gründerin von GAIA Culture entwickelt sie neue Modelle, die Kunst, Technologie und Kapital verbinden. Ihre Expertise umfasst strategische digitale Innovation, komplexe Problemlösung, Emerging Technologies und Projektmanagement. Sie ist mehrsprachig, international ausgezeichnet und regelmäßig als Speakerin zu digitalen Zukunftsthemen aktiv.

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