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Manfred Hebenstreit, der Reisende

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©Patrick Schuster

Zwischen Himmel, Erde und Wasser – die abstrahierten Bildwelten des Künstlers Manfred Hebenstreit entführen an entlegene Orte. Getrieben durch permanentes Hinterfragen, laden sie ein, Horizonte zu erweitern und Neues zu entdecken. Eine Reise in die Ferne, die letztlich zu sich selbst führt.

„Irgendwann muss man eben auch mal sesshaft werden“, erzählt Manfred Hebenstreit fast wehmütig vom Ende seines Nomadendaseins. Über 30 Jahre lang frönten der Künstler und seine Frau Billa – mit der er gemeinsam den Kometor realisierte – der Weltenbummelei. Der einzige Grund, der diese fortwährende Reise zwischen Amerika, Australien und Andalusien zu beenden imstande war, ist heute 25 Jahre alt. „Wenn erst einmal ein Kind da ist, braucht es irgendwann Beständigkeit – eine Konstante, einen Lebensmittelpunkt.“

Eingebettet in die sanfte Hügellandschaft des oberösterreichischen Hausruckviertels, erstreckt sich einen Steinwurf von der deutschen Grenze entfernt das Naturschutzgebiet „Koaserin“ – hier, unweit seiner einstigen Heimat, dem Innviertel, scheint die gesuchte Konstante gefunden. Seit 2015 ist der stattliche Vierkanthof inmitten der weitläufigen Sumpflandschaft Mittelpunkt des künstlerischen Schaffens des gebürtigen Oberösterreichers. Vom Zahn der Zeit, der hier über Jahrzehnte des Leerstands stetig nagte, ist nach aufwendiger Revitalisierung nichts mehr zu spüren. Die umliegende Natur, die in der einstigen Ruine ungehindert Einzug hielt, wurde erfolgreich zurück nach draußen gedrängt. Im Innenraum ist sie als Leitmotiv bloß noch auf den imposanten Bildträgern in Form Hebenstreit’scher Abstraktion zu erahnen: Denn wo im Vierkanter einst das Vieh stallte, geben heute großformatige Arbeiten Einblick in sein künstlerisches Schaffen und damit Ausblick in fremde Welten – „irgendwo zwischen Himmel und Erde“, beruft er sich auf seine neueste Serie. Und obwohl das beschauliche Örtchen Peuerbach bereits seit einer Dekade Epizentrum des künstlerischen Bebens Hebenstreits sein mag, reichen dessen Ausläufer nach wie vor bis in alle Welt.

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Hebenstreits Malerei entspringt der Grafik – der kontrastierende, starke Strich des Frühwerks weicht in jüngeren Arbeiten flächiger Farbigkeit

Reisen als Quell der Inspiration

Denn Hebenstreit ist und bleibt ein Reisender. „Ich habe mir die Plätze, an denen ich gelebt habe, immer ganz genau ausgesucht – habe immer geschaut, wo stimmen Licht, Farbigkeit und Ausblick, um unermüdlich arbeiten zu können“, erklärt der Künstler. All das scheint ihm hier geboten: Seine sich über 1.400 Quadratmeter erstreckende Schaffensstätte ist gesäumt von pittoreskem Landschaftspanorama, das je nach Tages- und Jahreszeit in unterschiedlichsten Lichtstimmungen und Farben changiert. Und dennoch zieht es ihn von Zeit zu Zeit an andere, entlegene Orte. „Ich brauche das Reisen eben wie die Luft zum Atmen“, beteuert er.

Immer dann, wenn das „innere Vibrieren“ stärker wird und die auf Reisen befüllte Quelle der Inspiration allmählich zu versiegen droht, ist es Zeit für einen Tapetenwechsel. Unerlässlich für Hebenstreits künstlerisches Fortbestehen: Denn ausgelöst durch das Eintauchen in fremde Welten und Kulturen, beginnt das Aufsaugen neuer atmosphärischer Eindrücke. Ebendiese stete Suche nach Neuem ist es, die seine künstlerische Genese vorantreibt. „Die Sehnsucht nach dem Archaischen, dem Ursprünglichen ist groß“, erinnert er sich an ein Schlüsselerlebnis. Damals war er gerade in Indien. Über 17 Jahre reiste er zweimal jährlich in das Land der Farben. „Einmal stieg der Ganges meterhoch über die Ufer – wir waren zwölf Tage ohne Strom“, sinniert Hebenstreit. „Statt Panik herrschte ungeahnte Ruhe. Seither suche ich immer wieder nach dieser Entschleunigung, die mich zurück zu mir selbst finden und bei mir ankommen lässt.“ Um das tatsächliche Ankommen geht es ihm auf seinen Reisen jedoch kaum – „die schönsten Eindrücke sammle ich oft entlang des Weges“. Demnächst steigt er deshalb für drei Wochen in ein Kleinflugzeug, das ihm neue Blickwinkel auf fünf afrikanische Länder eröffnen soll.

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Im Zuge der künstlerischen Genese gewinnt der lasierende Farbauftrag an Bedeutung – es geht darum, Lichtstimmungen einzufangen und für Betrachtende greifbar zu machen

Über Umwege in die Kunst

Begonnen hat diese nicht enden wollende Reise bereits im Alter von 19 Jahren. Damals war der Weg ein langer: Nach Abschluss seiner Lehre als Feinmechaniker machte sich Hebenstreit, der bereits als Kind die Kunst für sich entdeckte, über den Landweg auf nach Austra­lien. Die Illusion, am anderen Ende der Welt seinen Drang nach künstlerischer Entfaltung fernab des konservativen ­Innviertels ausleben zu können, endete nach knapp einjähriger Reise als Untertage-Facharbeiter in einer Opal-Mine.

Doch Hebenstreit gibt nicht auf. Mit dem schwer verdienten Geld kauft er ohne das Wissen seiner Eltern – die seinem Wunsch des Künstlerdaseins diametral entgegenstanden – ein Flug­ticket nach Wien, um an der Akademie vorstellig zu werden. Dort abgelehnt, gelingt Hebenstreit wenig später die Aufnahme an der Universität für künstlerische und industrielle Gestaltung in Linz. Vier Jahre studierte er hier Anfang der 80er-Jahre Malerei und Grafik: „Um das Handwerk zu erlernen“, plädiert Hebenstreit, der bereits als Kind kleine Fotografien bedeutender Persönlichkeiten proportionsgetreu in größere Formate übersetzte. Seine Abstraktion, mit der er sich später international einen Namen machte, fußt auf ebendiesen grundlegenden Fertigkeiten. Auf jenen des Realismus, wie der Blick auf seine Anfänge zeigt. „Es braucht ein Fundament, auf dem man aufbauen kann – du musst die Basis beherrschen, um davon ausgehend deinen eigenen Stil entwickeln zu können.“ Obwohl Hebenstreits künstlerische Genese rasch Fahrt aufnimmt und er früh einen unverkennbaren Strich, sein singuläres Narrativ, entwickelt, führten Unstimmigkeiten mit seinem damaligen Professor dazu, dass dieser ihm das Diplom verwehrte. Er habe die Seele des Apfels nicht verstanden, so das Urteil des Dozenten.

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Grafische Elemente sind auch in Hebenstreits aktuellsten Arbeiten präsent

Von ersten Erfolgen

Erneut macht sich Hebenstreit auf nach Wien. Diesmal, um – dem Willen der Mutter wegen – an der Akademie sein Diplom nachzuholen. Dort wird er bei Arnulf Rainer vorstellig, der ihn mit folgenden Worten abweist: Fahr’ nach Hause – ich kann dir akademisch nichts mehr beibringen. Du bist bereits Künstler, also lebe als solcher und finde deinen Weg. Für Hebenstreit ein Wendepunkt. Noch am Heimweg nach Oberösterreich beschließt er: Ich bin Künstler.

Erste Erfolge lassen nach diesem Entschluss nicht lange auf sich warten: Der Initialzündung durch den Kunsthistoriker Günter Rombold folgt schon bald Hebenstreits erste museale Einzelausstellung im heutigen Lentos, wo ein Galerist auf ihn aufmerksam wurde, der seine Arbeiten wenig später auf einer Messe in Köln präsentierte. „Das war 1987 das Mekka der damaligen Kunst­szene“, erinnert sich Hebenstreit an das dortige Aufeinandertreffen mit Basquiat und Haring. Für die Internationalisierung des oberösterreichischen Künstlers ein wegweisender Meilenstein: Auf der Messe entdeckte ihn ein weiterer Galerist, der ihm sofort den Weg nach Chicago ebnete.

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Mit farbigen Kristallen und Schwarzlot entwickelt Hebenstreit eine Technik der Glasmalerei, die es ermöglicht, ­Lichtstimmungen der ­Unterwasserwelt auf Glas zu brennen

Zwischen Grafik und Malerei

Sich auf den Lorbeeren des Erfolgs ausruhen, dürfe man aber keinesfalls. Nach Stillstand sucht man im Œuvre des Reisenden deshalb vergebens: „Man muss sich nicht zwingend neu erfinden, aber sollte permanent seine künstlerische Sprache nachschärfen und präzisieren“, mahnt er. So weicht der dunkle, grafische Strich, der seine frühen Arbeiten kontrastiert und neben zurückhaltendem Farbauftrag dominiert, zunehmend flächiger, lasierender, aber dennoch expressiver Malerei. Ob er sich selbst eher als Grafiker oder Maler versteht? „Die Grafik ist immer der Ausgangspunkt meiner Arbeit“, holt er aus. „Jede meiner Skizzen, die ich später in meinem Atelier in größere Formate übersetze, beginnt stets mit einem Strich, der es mir ermöglicht, Wahrgenommenes auf meinen Reisen sofort – en plein air – einzufangen. Es ist immer wieder faszinierend zu sehen, was aus einem Punkt, der zu einem Strich heranwächst, entsteht.“ Trotzdem sieht er sich heute eher als Maler: „Die Malerei ist eine schlüssige Erweiterung des künstlerischen Repertoires, die Grenzen ausweitet und neu definiert – durch sie kann ich Lichtstimmungen für Betrachtende besser transportieren.“ Sie macht es einfacher zu begreifen; zu verstehen: „Durch Farbe eröffnen sich sofort spontane Welten“, deutet er auf seine Sammlung aus Naturpigmenten, die ihm dabei helfen, Landschaften in abstrahierter Form auf den Bildträger zu bannen. Und Bildträger gibt es mannigfaltige – von Papier und Leinwand über Holz und Alumi­nium bis hin zu Spiegel und eigens entwickelter Glasmalerei. „Es braucht eben Herausforderungen, um zu wachsen“, schmunzelt er.

Unabhängig vom Medium sind sie jedoch Hebenstreits wichtigstes Werkzeug: seine Hände. „Ich habe immer schon gerne gewischt, geschmiert und gekratzt – dabei geht es mir um das Ursprüngliche, das Spüren der Farbe, das direkte Eintauchen und den unmittelbaren Kontakt zum Bildträger“, betrachtet er die Farbreste unter seinen Fingernägeln. Malerei ist für Hebenstreit eben nichts anderes als ein Handwerk. „Und als Handwerker gehört es eben dazu, sich die Hände schmutzig zu machen.“

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