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Leopold Ganzers abstrakte Welt

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Leopold Ganzer

©Leo Ganzer Art Estate

Ein Künstler sieht anders: Leopold Ganzer (1929-2008) erzählt in seinem Œuvre vor allem von imposanter Landschaft und pittoresker Natur - mit der Abstraktion als Narrativ macht er sichtbar, was für die meisten im Verborgenen bleibt.

Eindrucksvoll ragen sie empor, erstrecken sich steil in Richtung Himmel und sind Zeugnis einstiger Urgewalt. Diese von den Südtiroler Dolomiten ausgehende Kraft ist es, die sich früh auf Leopold Ganzer übertragen soll: 1929 wird er hier, inmitten malerischer Landschaft, geboren.

Was auf die meisten zunächst überwältigend wirken mag, übte auf Ganzer seit jeher eine besondere Faszination aus. Denn er sah mehr als die vordergründige Erscheinung trivialer Bergwelten. Er erkannte darin ein komplexes Universum aus unterschiedlichsten Farben und Formen, die – ausgelöst durch Jahreszeit und Witterung, aber auch Tageszeit, die das Farb- und Lichtspiel inszeniert – dem steten Wandel unterliegen. Es sind Details, die sich der Wahrnehmung der meisten entziehen.

Sensorische Gabe

Dass er Dinge anders sieht als andere, zeigt sich früh: Im Alter von drei Jahren fällt Ganzer in den am Familienhaus im Örtchen Innichen vorbeiführenden Dorfkanal, der ihn flussabwärts trägt. Trotz dieser wohl misslichsten Lage, die sich für einen Dreijährigen auftun kann, war es das Glitzern der Sonnenstrahlen, die durch die Bretter eines Stegs ins Wasser fielen, das ihm in Erinnerung blieb. Und nachhaltig faszinierte.

Eine sensorische Gabe, die geradezu ideale Voraussetzungen für das künstlerisches Schaffen bietet. Dass darüber hinaus auch Talent vorhanden war, zeigte sich, als Ganzer im Hauptschulalter eine Krähe zeichnen musste. Im Sog des künstlerischen Schaffensprozesses beschließt er, die Arbeit zu Hause fertigzustellen. Als ihm das schließlich gelingt, verspürt er ein unbekanntes Gefühl: die Arbeit ist plötzlich Teil von ihm – die Kunst nicht länger Pflichtübung, sondern innerstes Anliegen.

Vom Maler zum Künstler

Doch der Weg an die Akademie in Wien scheint unüberwindbar. Entgegen der immer stärker werdenden Sehnsucht nach künstlerischer Entfaltung absolvierte Ganzer eine Malerlehre. Die Kunst gab er nicht auf: Er malte immer weiter und spürte, dass die reine Wiedergabe des Gesehenen nicht das auszudrücken vermag, was ihm das Erlebnis in der Natur empfinden ließ.

Der Drang, die Kleinstadt Lienz, die noch zu Kindheitstagen Lebensmittelpunkt wurde, hinter sich zu lassen, wuchs. 1950 geht er als Gastarbeiter in die Schweiz und besuchte dort erstmals ein Museum. Und es soll nicht die gegenständliche Wiedergabe alter Meister sein, die ihn nicht mehr loslässt – es ist das Zeitgenössische, das ihn begeistert. Zwei Jahre später besucht er in Zürich eine Munch-Ausstellung und weiß: Ich werde Künstler.

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„Begegnung“ aus dem Jahr 1954

 © Leo Ganzer Art Estate

Er verlässt seinen Meister und geht nach Wien, um an der Akademie vorstellig zu werden. Obwohl das Semester bereits fortgeschritten war, nimmt ihn Robin Christian Andersen aufgrund der Qualität und Reife seiner Arbeit in dessen Klasse auf. Doch akademische Vorgaben sind Ganzer zu bindend – er lässt sie hinter sich und löst sich von den gängigen Lehren der Gegenständlichkeit.

Mit Auflösung seiner Formen widersetzt sich Ganzer dem Zeitgeist des Konkreten. Unter dem fortwährenden Einfluss der Natur ist es zunächst Picasso, der fasziniert und anregt. Später ist es Cézanne, der Erscheinungsformen auf geometrische Grundlagen zurückführt. So changiert Ganzers Werk fortan zwischen den Polen des geometrisch Konstruktiven und seiner eigenständigen Darstellung der Natur.

Die Suche nach der Wahrheit

Nach dem Abschluss an der Akademie kehrt der Künstler nach Osttirol zurück. Der erneute Blick auf die Berge fördert letztlich sein singuläres Narrativ: Er beginnt, in der Formenvielfalt des Großen das Kleine zu sehen. Umgekehrt schult ihn diese Wahrnehmung im Kleinen das Große zu erkennen.

„Und diese Erkenntnis, dass Dinge, an denen man achtlos vorübergeht, genauso wesenhaft sein konnten wie große, hat dazu geführt, dass ich von all dem, das ich bis dahin gemacht hatte, Abschied genommen habe. Ich habe versucht, eine neue, eigene Form zu finden – indem ich durch einfache Formschraffuren auf der Leinwand Dinge gestaltete, die dieses nicht Fassbare, sich ständig Verändernde vermitteln sollten“, so Ganzer in seiner auto­biografischen Niederschrift.

Damit sichert er sich mit expressiver Farbigkeit – in Öl, Acryl, Aquarell und Tusche – und eigenständiger, vielschichtiger Formensprache neben seinen Freunden Max Weiler und Franz Grabmayr sowie seinem einstigen Lehrer und späteren Freund Herbert Boeckl einen Platz in der Riege der bedeutendsten Naturabstraktionisten der heimischen Kunstszene.

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„Thaler Landschaft“ aus dem Jahr 1959

Seine luftig-leichten Aquarelle und Gouachen sowie die skizzenhaften Tuschearbeiten bilden den Gegenpol zu seinen verdichteten Arbeiten in Öl und Acryl aufLeinwand. Mal sind es dabei farbige, schraffierte Flächen, die ineinanderfließend Ganzers Narration ergeben. Mal ist es, fast schon paradoxerweise, die klare Linie, die erzählt: „Die Linie – sie gibt es in der Natur nicht – ist das abstrakteste Gestaltungsmittel, worüber ein Künstler verfügt“, so Ganzer. „Trotz ihres eigenständigen Charakters vermag sie sowohl seelische als auch körperliche Zustände des Zeichners sichtbar zu machen.“

Diese beständige, innere Tiefe ist es, die mit konstanter Distanz zu malerischen Trends das Œuvre maßgeblich kennzeichnet. Doch ganz gleich, welchen Stilmittels oder welcher Technik er sich letztlich bediente – Ganzers Arbeiten eint stets eines: die Suche nach der Wahrheit. Seiner Wahrheit.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 39/2025 erschienen.

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