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Irene Au: Dirigentin der Möglichkeiten

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Irene Au

©News/Ricardo Herrgott

Ein Konzert der Wiener Sängerknaben änderte das Leben von Irene Au. Heute betreibt sie in Hongkong eine Akademie des traditionsreichen Knabenchors und hat mit Kalos eine Plattform geschaffen, die Karrieren in der klassischen Musik befördert. Klassik sei immanent für die Menschwerdung, sagt sie.

Wenn Irene Au von Musik spricht, spricht sie von Großem. Von Verbindung zwischen Menschen und der Kraft, sich selbst zu erkennen. „Musik“, sagt sie im Gespräch, „ist für mich das erste Prinzip von Bildung.“ Wer ihr gegenübersitzt, spürt, dass hier jemand präsent ist, ein Herzensprojekt vorantreibt, dessen Wurzeln weit zurückreichen. Mit Kalos hat Au eine Plattform gegründet, die den Einstieg ins Musikerleben im Bereich der Klassik von Grund auf neu denkt.

Musik war früh ein wichtiger Faktor im Leben von Irene Au, die in Hongkong lebt und aufgewachsen ist. Der Vater pflegte klassische Musik zu Hause, sie sang im Schulchor, lernte Klavier, die Grundlagen von Komposition und schon in der Schule das Organisieren kleiner Auftritte. „Ich glaube, mein Interesse am Organisieren und Koordinieren war schon damals ziemlich ausgeprägt – vielleicht sogar größer als das Interesse am Musizieren“, sagt Au. Heute lacht sie darüber. Denn es erklärt einiges. 

Ein Gefühl von Wien in Hongkong

Die Frau, die das Hongkong Vienna Music Festival ins Leben rief und als erste Übersee-Akademie eine Lizenz der Wiener Sängerknaben erhielt, wollte nie auf die Bühne. Sie wollte Rahmen schaffen. 

Alles begann mit einem Konzert, als 1993 die Wiener Sängerknaben in Hongkong gastierten. Irene war im Publikum. „Diese Stimmen! Sie haben mich tief berührt“, erinnert sie sich. Sie war keine 20 Jahre alt, aber an diesem Abend wurden Weichen gestellt. Sieben Jahre später, 2001, kurz nachdem sie ihre erste Event-agentur gegründet hatte, suchte das Hong Kong Trade Development Council einen lokalen Veranstalter für ein Konzert der Wiener Sängerknaben. Au bekam den Zuschlag, daraus wurde eine Zusammenarbeit, aus der Zusammenarbeit entstand die erste Akademie der Sängerknaben abseits des Wiener Augartens. 2017 erhielt Au für ihr Engagement das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich.

Klassik als Bildungswerkzeug

Die Musikakademie der Wiener Sängerknaben in Hongkong läuft im Hybridmodell. „Statt Schülergruppen zu uns zu holen, kooperieren wir mit Schulen und schicken Lehrer dorthin. Im Sommer veranstalten wir Musikcamps, bei denen Lehrkräfte aus Wien nach Hongkong reisen, um an Aufführungen und Festivals teilzunehmen“, erklärt Au die Akademie. Neben der Akademie gründete Irene Au ihre Eventagentur, organisierte Tourneen, Festivals und Meisterklassen. Sie verbindet künstlerische Exzellenz mit sozialem Anspruch. „Musik ist nicht einfach nur Performance oder Unterhaltung. Sie kann Menschen verbinden und sogar heilen. Klassische Musik wird unterschätzt, sie spielt eine zentrale Rolle in der Bildung und der Menschwerdung“, betont Irene Au. 

Dabei ginge es nicht bloß um technische Fertigkeiten, sondern um die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern, sagt sie. Durch das Musizieren entwickeln sie entscheidende Soft Skills wie Selbstwahrnehmung, Entscheidungsfähigkeit, Teamarbeit, Ausdrucksstärke und Selbstvertrauen. „Klassische Musik ist ein wirksames pädagogisches Instrument.“ 

Klassische Musik wird unterschätzt. Sie spielt eine zentrale Rolle in der Bildung, der Menschwerdung. Durch das Musizieren entwickeln Kinder Soft Skills wie Selbstwahrnehmung

Ein Verbündeter für Studierende

Au sah auch die Lücke zwischen Ausbildung und Karriere, die sich vor allem in der Pandemie vergrößerte. „Viele sind großartig ausgebildet, finden aber nach dem Studium den Schritt in die reale Welt nur schwer.“ Genau da setzt die Agenturplattform neuen Typs an, die Au geschaffen hat. Die Plattform Kalos – benannt nach dem altgriechischen Begriff für das Schöne, Gute, Wahre – ist mehr als eine Jobbörse. Sie ist Mentoringprogramm, Netzwerk, Wissensdatenbank, Marktplatz. Und vor allem ein Werkzeug zur Selbstermächtigung.

Entscheidend seien etwa die Fragen „Wer bin ich als Musiker oder Musikerin? Was kann ich, wohin will ich? Irene Au beschreibt diesen Prozess, den Kalos unterstützt und den sie für essenziell für eine Karriere hält, als „Roadmapping“. Der Begriff aus der Unternehmensberatung wird in die klassische musikalische Ausbildung übertragen: „Wir beginnen mit einer auf die Person bezogenen SWOT-Analyse: Stärken, Schwächen, Chancen, Risiken. Dann zeigen wir, was möglich ist.“

Werkzeug für klassische Musik

Kalos ist Netzwerk, Inspirations- und Wissensportal (siehe Kasten rechts). „Es geht um alles, was man an der Musikhochschule nicht lernt, aber unbedingt braucht. Viele unserer Nutzerinnen und Nutzer haben hervorragende musikalische Fähigkeiten, aber keine Vorstellung davon, wie sie daraus eine Karriere machen sollen. Wer Träume hat, sollte ihnen ein Datum geben: In drei Jahren will ich mit einem Ensemble auf der Bühne stehen. Aus diesem Ziel ergeben sich die ersten Schritte. Was brauche ich dafür? Dann braucht es Konsistenz. Auf diesem Weg helfen wir“, sagt Irene Au. Die Plattform bringt auch Musiker und Musikerinnen mit Unterrichtenden zusammen, Au nennt sie „teaching musicians“. 

Nichts ersetzt das Live-Erlebnis

Besonderes Augenmerk liegt dabei auf einem Netzwerk für Auftrittsmöglichkeiten. „Wir nennen das Online-Merge-Offline“, sagt Au. Die Plattform ist kein Ersatz für die Bühne, sondern deren Vorbereitung. Ziel ist es, reale Begegnungen zu ermöglichen. Praktika, Sommerakademien, Konzerte, Austauschprogramme. „Live-Auftritte sind heute wichtiger denn je, gerade weil wir ,digital-first‘ leben“, betont Au. „Dabei geht es auch um den Prozess. Ein gutes Konzert will vorbereitet werden, wie ein liebevoll zubereitetes Essen, das ist eine wichtige Erfahrung. Wir nennen das Re-Humanisierung, deshalb schaffen wir Räume, um Generationen zusammenzubringen.“ In Wien trafen sich durch Kalos bei einem Empfang über 40 Künstlerinnen und Künstler und junge Talente, die alle in der Stadt leben, einander zuvor noch nie begegnet waren.

Die Zusammenarbeit mit Kulturinstitutionen, Unternehmen oder Tourismusbehörden hilft. „Ich bekomme viele Anfragen für Firmenjubiläen, Produktpräsentationen, Konferenzen. Ist jemand auf Kalos gut vorbereitet, kann ich sie oder ihn direkt empfehlen“, sagt Au.Für manche bedeutet das den ersten bezahlte Auftritt, für andere den Beginn einer internationalen Karriere. 

Am Ende des Gesprächs sagt Irene Au: „Wir alle sind die Musikwelt.“ Sie meint das nicht metaphorisch. Sondern als Einladung. 

Neue Künstler-Agentur Kalos

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 25/25 erschienen.

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