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Rudolf Buchbinder: „Im Kopf spiele ich 24 Stunden“

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Rudolf Buchbinder

Rudolf Buchbinder

©Bild: News/ Ricardo Herrgott

Ein Jahr noch, dann wird der österreichische Weltpianist Rudolf Buchbinder 80 und verlässt nach 20 Jahren die Intendanz der von ihm gegründeten und geprägten Festspiele von Grafenegg. Seine vorletzte Ausgabe beginnt am 14. August.

Ein Jahr noch, und keine mit dem Termin verbundene Konsequenz will man für möglich halten. Im August 2026 wird der österreichische Pianist Rudolf Buchbinder seine 20. und letzten Festspiele in Grafenegg eröffnen. Mit Beginn der Konzertsaison treibt ihn dann ein Geburtstag, den die meisten seiner Kollegen mit sentimentalen Medienterminen an diskreten Alters­ansitzen begehen, durch die drei großen Kulturkontinente.

Keine Endlichkeitsgefühle

Mit anderen Worten wird Buchbinder am 1. Dezember 2026 80. Andere haben da schon vor den Anforderungen der Nerven und der Physis resigniert. Wer hilft einem auf dem Podium, wenn die Finger nicht mehr an der dafür vorgesehenen Partiturstelle zueinander finden?

Aber Buchbinder, jovial und gelassen im Ziergarten der Döblinger Villa, weist die Frage nach Endlichkeitsgefühlen zurück: „Nicht im Geringsten spüre ich so etwas. Ich freue mich schon auf den Geburtstag, und mein Terminkalender ist bis 2027 voll. Meine Finger funktionieren besser denn je. Mein Hirn funktioniert besser denn je. Und ich mache 2027 wieder zwei Beethoven-Zyklen.“

Das Kürzel bezeichnet das kräfteverzehrende Unterfangen, alle 32 Klaviersonaten Beethovens an sieben nah beieinander liegenden Terminen aufzuführen. Buchbinder wiederholt das kultische Gewaltstück seit Jahrzehnten in bedeutendsten Konzertsälen Europas, Asiens und Amerikas.

Geburtstag auf drei Kontinenten

Ebendort wird auch sein Geburtstag begangen werden, Details sind noch unter Verschluss. Aber dass die Philharmoniker in Wien die Jubelmaschine in nicht alltäglichem Ausmaß anwerfen werden, unterliegt keiner Geheimhaltung. Auswärts sind es die vielleicht letzten überlebensgroßen Dirigenten, die mit ihm auf Geburtstagstournee gehen oder mit Konzertserien legendäre Aufführungsorte in Übersee bespielen werden.

Ein Ort wird auch 2026 fehlen: Buchbinders erste Auftritte bei den Salzburger Festspielen datieren schon aus den frühesten Siebzigerjahren, und sie hatten sich als Institution etabliert, ehe sie unter neuer Führung abrupt endeten.

Rückblickend hätten sich die Verhältnisse nicht glücklicher wenden können. Denn die Zeit war reif für die vielleicht tollkühnste Vision des großen Kulturpolitikers Erwin Pröll. In der kulturellen Pampa zwischen Tullnerfeld, Wald- und Weinviertel sollten klassische Konzertfestspiele der höchsten Liga hochgezogen werden. Und nicht etwa in dem klassizistischen, zwischen Rübenäckern träumenden Schlossmonstrum Grafenegg. Sondern, mit den Wirtschaftsgebäuden als Zentrale, in der Freiluftarena Wolkenturm mit 1.700 Sitz-, 400 Rasenplätzen und britischer Park-Eleganz rundum. 2007 wurde das futuristische Wunder mit den ersten Festspielen eröffnet, mit einer Akustik, die feinste Farbnuancen übertragbar macht.

Pröll begriff gleich, dass sich die Investition nur unter attraktiver Leitung rechnen könne. Abgesehen vom sommerlich verödenden Wien sollten vor allem Menschen aus der Gegend angesprochen werden. Man brauchte also einen regional populären Gründungsintendanten, der aber dank internationaler Reputation (und zufriedenstellender Dotierung) die Weltelite der Klangkörper und Solisten ansprechen konnte.

Abschied und Willkommen

Das Konzept ging unglaublich rasch auf und nahm durch keine Weltkrise Schaden. Und wenn sich Buchbinder im Herbst 2026 als Intendant zurückzieht, wird er als Präsident, Galionsfigur und Musiker weiterwirken. Auch im bald etablierten Buchbinder-Saal mit Parkblick, der die bisher mit Kammermusik bespielte Reitschule ersetzt. Der neue Intendant Johannes Neubert hat schon während der Grafenegger Gründungsjahre im Betriebsbüro gedient, dann über die Wiener Symphoniker und das Orchestre de France Karriere gemacht und kehrt jetzt als Chef zurück. In bestem Einvernehmen und ohne die Intrigen, die in die attraktive Position investiert worden sein sollen.

Spürt Grafenegg tatsächlich nichts von der sich auch wirtschaftlich verdunkelnden Welt? Nichts, versichert Buchbinder aus den Perspektiven des Künstlers und des Intendanten. „Die Konzerte, die ich erlebe, sind alle ausverkauft. Die Leute wollen nach der Pandemie das Live-Erlebnis. Die haben genug von den inflationären Zuspielungen im Fernsehen. Das Einzige, was sich geändert hat, ist das Sinken der Abonnentenzahlen. Last minute buy, wie beim Flugzeug.“

Altert das Publikum tatsächlich so bedrohlich, wie man es in den Konzertsälen wahrzunehmen meint? „Nein, überhaupt nicht. Die jungen Leute pilgern nach Grafenegg. Warum? Sie können um 10 Euro die Weltspitze hören, auf den schönen Rasenplätzen. Wir tun auch mit unserer Academy viel für junge Musiker. Schön, wenn man irgendwo auf der Welt einen im Orchester trifft, der bei uns angefangen hat. Da weiß man, man macht es nicht umsonst.“

Von Anfang an seien die Festspiele gut besucht gewesen. „Wir machen ja quasi Musikerziehung. So viele Menschen aus der Umgebung sind bei uns zum ersten Mal im Konzert gewesen. Die Begeisterung im Land war ursprünglich gar nicht so groß. Aber als alles fertig war, sind sie gepilgert.“

Pröll sei noch ein Fürst gewesen, fügt er hinzu. „Das Nitsch-Museum in Mistelbach hat zu Parteiaustritten geführt. Er sagte aber, das ist mir egal, ich mache das für die Zukunft, für die jungen Leute.“ Nachfolgerin Mikl-Leitner will er großartige Gebarung und eine sichere schützende Hand für die Kunst attestieren, unbehelligt vom blauen Partner.

Das Betriebsgeheimnis

Ob er sich nach dem markanten Wiegenfest nicht wenigstens etwas zurückzunehmen gedenkt? Kein Bedarf. Anders als das Gerücht sei er nie ein Vielspieler gewesen, manche Kollegen seien unvergleichbar mehr unterwegs.

Nur im Sommer nehme er jetzt, Grafenegg ausgenommen, keine Engagements mehr an, das Fliegen in Urlaubszeiten sei zur Qual geworden.

Aber ein paar Konstanten nehme er wahr: „Erstens lieber sieben Konzerte in sieben Tagen als sieben Konzerte in zwei Wochen. Die Woche nehme ich mir lieber frei. Zweitens halte ich bei Soloabenden das Repertoire möglichst groß, das verhindert Ermüdung“, sagt der Universalist, der bei Bach, Beethoven, Brahms und Schubert ebenso zu Hause ist wie bei Richard Strauss und Gershwin.

Und, vielleicht das Wichtigste: stundenlanges tägliches Üben vernichtet die Gelenke. Ist man einmal technisch unangreifbar, beginnt erst die Kunst. „Ich trainiere am Klavier genug. Das ist genug Sport“, sagt er und schränkt gleich ein: „Aber im Kopf geht es 24 Stunden. Meine Frau weiß, wenn ich mit ihr plaudere, denke ich an etwas anderes. Jetzt, während wir reden, denke ich auch gerade an das Gershwin-Konzert, das ich derzeit gar nicht spiele. Dauernd kommen Werke, die ich nicht brauche. Ich bekomme sie nicht aus dem Kopf. Das kann eine Folter sein.“

Brendel, Maazel, Jansons

Erinnerungen, Erfahrungen und die aus ihnen zu ziehenden Lehren? Im Gründungsjahr waren Zubin Mehta und Alfred Brendel zu Gast. Der singuläre Pianist hat nach dem Konzert nur noch einmal, im Wiener Musikverein, gespielt. Er ist kürzlich im gesegneten Alter von 94 gestorben.

Aber Mehta, der Freund, wird mit seinen 89 Jahren auch im nächsten Jahr an den Buchbinder’schen Geburtstagsfeierlichkeiten teilhaben.

Die Musikwelt wird sich nie ändern. Wir versuchen nur mit Krampf, sie zu ändern. Gott sei Dank vegebens

Rudolf Buchbinder
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 © Foto: Roman Zach-Kiesling / First Look / picturedesk.com

Am meisten von den großen Dirigenten, sagt Buchbinder, vermisse er Lorin Maazel und Mariss Jansons, den Protagonisten emotionaler Erfahrungen. „Ich habe noch am 30. November 2019 lang mit ihm telefoniert. Er sagte, wir sind seelenverwandt, und wir hatten noch so viel vor, er wollte mit mir unbedingt das Gershwin-Konzert machen. Ich war da schon in Petersburg und hatte am 1. Dezember ein Konzert in der Philharmonie. Und in der Nacht auf den 1. stirbt er, an meinem Geburtstag. Und ich spiele am folgenden Abend die Schubert-B-Dur­-Sonate. Das war eines meiner schlimmsten Konzerte.“

Der zu Tode Herzkranke schonte sich nie. „Was soll ich machen“, fragte er den Freund. „Ich gehe mit meinem eigenen Blut in den Stiefeln.“

Junge Dirigenten in Gefahr

Zur Situation der Dirigenten ist etwas anzumerken. „Einige sind mit dem Studium fertig, und die ersten Orchester, die sie dirigieren, sind die Philharmoniker. Mit schlechten Orchestern lernst du etwas. Mit den großen nicht. Was willst du mit denen proben? Was von ihnen lernen?“

Hat sich die Musikwelt seit 2007 verändert? „Sie wird sich nie ändern. Wir versuchen nur, mit Krampf etwas an der Musikwelt zu ändern. Es muss unbedingt etwas Neues her. Aber das funktioniert alles nicht, Gott sei Dank. Gute Traditionen muss man pflegen, schlechte eliminieren. Aber das Konzertleben funktioniert so wie vor 100 Jahren.“

Russland und Israel

In Russland würde er sofort wieder auftreten, wenn der Krieg vorbei ist. „Russland ist ja unsere Kultur! Ich war jedes Jahr ein-, zwei-, dreimal in Petersburg und Moskau. Bei meinem Beethoven-Zyklus sind die Leute mit Schild ,Suche Karte‘ bei der U-Bahn gestanden. Ich vermisse das Publikum. Und mir tun die jungen Künstler leid. Ein ganz junger Pianist hatte zu Kriegsbeginn zwei, drei Rezitals in Amerika. Sofort abgesagt. Das Bolschoi-Ballett durfte nicht nach London. Was haben diese jungen Menschen mit der Ukraine zu tun?“

In Israel werde er nächstes Jahr wieder spielen, sagt er, und dass ihn der plötzlich aufkochende Antisemitismus keineswegs erstaune. „Wieso plötzlich? Antisemitismus hat es immer gegeben. Jetzt kann man öffentlich auch im Namen der Kunst Antisemit sein.“

Ein warnendes Wort noch zum Absinken des kulturellen Gesamtbefunds. „Das Hauptproblem ist unser Schulsystem. In Deutschland gibt es in den Gymnasien keinen Musikunterricht mehr, bei uns fast keinen mehr. Aber in Korea und China haben die Volksschulen eigene Orchester.“ Aber werden die kleinen Chinesen denn nicht grausam zur Musik gedrillt? „Das ist unser europäischer Dünkel, dass wir das glauben. Bei mir sitzen dort 3.000 Menschen im Saal. Die Hälfte sind Junge und Mütter mit Kindern. Und die Begeisterung von diesen Kindern!“, fährt er fort. „Das Signieren dauert jedes Mal eine Stunde, Kinder wollen ein Foto mit mir. Das ist so schön, dass ich manchmal weine.“

Wir Europäer mögen uns also nicht zu mächtig aufblasen, wiederholt er: Shanghai Symphony sei 1879 gegründet worden, die Wiener Symphoniker 1900. Das sitzt.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 33+34/25 erschienen.

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