Der Freispruch für eine zehnköpfige Jugendbande, die Sex mit einer Zwölfjährigen hatten, sendet ein fatales Signal in einschlägige Milieus, in denen ein vormodernes, frauenverachtendes Weltbild dominiert: Ihr kommt damit durch und werdet nicht einmal mit moralischen Appellen belästigt.
Der „Fall Anna“ hat nicht nur die ehemalige Direktorin des niederösterreichischen Bauernbundes, die derzeit als Verteidigungsministerin amtiert, empört – nämlich als Politikerin und als Mutter –, sondern überhaupt jeden, der jemals etwas darüber gehört hat. Verständlich: Zehn junge Männer zwischen 13 und 18, zum Teil wegen einer Reihe von gewalt- und eigentumsbezogenen Delikten vorbestraft, haben erwiesenermaßen über längere Zeit Sex mit einer 12-Jährigen, werden aber von Vorwürfen der sexuellen Nötigung durch ein Schöffengericht (zwei Berufs- und zwei Laienrichter) glatt freigesprochen.
Weil die Zwölfjährige gesagt hat, dass sie schon 13 oder 14 ist, und weil sich das Mädchen, ein Kind, bei der kontradiktorischen Befragung in Widersprüche verwickelt habe, wie der vorsitzende Richter erklärte. Davon, dass der Sex nicht einvernehmlich gewesen sei, hätte sie in der polizeilichen Ersteinvernahme noch nichts gesagt. Die Burschen, von denen die Mehrheit inzwischen auch in einem anderen Fall beschuldigt wird, eine Zwölfjährige unter anderem mit vorgehaltener Pistole zum Oralsex gezwungen zu haben, verlassen den Gerichtssaal triumphierend und zeigen den anwesenden Journalisten den Mittelfinger.
Von oben herab
Ein Skandalurteil, sagen die einen, und zwar eines, an dem man gewissermaßen alle gesellschaftlichen Probleme unserer Gegenwart auf einmal ablesen könne: Linke Kuscheljustiz, migrantische Gewalt, fahrlässiger Umgang mit der sexuellen Integrität junger Frauen.
Die anderen sind Juristen und machen den Rest der Welt gern darauf aufmerksam, dass man als Nichtjurist mit seiner Meinung über einschlägige Gerichtsurteile lieber den Mund halten solle, denn ob so ein Urteil korrekt sei oder nicht, das würden einem schon die Juristen sagen. Ich verstehe jeden, dem die von weit oben herab geschriebenen Kommentare von Juristenjournalisten, die einem ausrichten, man sei nur ein emotionsgesteuertes Tschapperl, das den Montesquieu’schen Geist der Gesetze weder kenne noch verstehe, ziemlich auf die Nerven gehen.
Unbeantwortete Fragen
Eines der Hauptargumente für die Korrektheit und Angemessenheit des Freispruchs sieht so mancher in der Tatsache, dass in Österreich in solchen Fällen die Laienrichter immer Leute vom Fach seien, also Personen, die beruflich mit dem Kindes- und Jugendwohl befasst seien. Warum würden solche Menschen mutwillig ein Urteil fällen, das die sexuelle Integrität und das Wohl einer Zwölfjährigen geringer schätzen als das triumphierende Machogehabe einer kriminellen Jugendgang? Man fragt sich.
Man fragt sich aber auch, warum ein Richter, der zehn offensichtlich delinquente Jugendliche freispricht, weil er aus Mangel an Beweisen nicht anders kann, sich am Ende der Verhandlung nicht an diese jungen Männer wendet, um ihnen vehement klarzumachen, dass ihr Verhalten inakzeptabel ist, selbst wenn die Beweise in diesem Fall nicht für eine Verurteilung gereicht hätten, und stattdessen die Mutter des Opfers wegen unterlassener Aufsichtspflichten rügt, und die Medien sowieso, und zwar in Bausch und Bogen. Wenn man dann noch weiß, dass sich der Vater eines der Angeklagten in seiner Vernehmung nicht entblödete, zu erklären, dass „so etwas in seiner Familie nicht passieren könnte“ – nämlich, dass ein Mädchen sich so viel allein herumtreibe –, kann man nur maßlos wütend werden.
Alles rund um diesen Prozess zeigt, dass Justiz und Gesellschaft der Schutz von Frauen kein wirkliches Anliegen ist
In einem früheren Prozess, im Zuge dessen der Freund der Zwölfjährigen, der die Sache aufgedeckt und ins Rollen gebracht hatte, verurteilt wurde, weil er als Einziger gewusst habe, dass sie erst zwölf war, ging es auch darum, ob das Mädchen in einer bestimmten Situation „Hört auf“ gesagt habe oder nicht. Die damalige Richterin erklärte zu dem Thema, dass es schon vorkomme, dass man in sexuellen Zusammenhängen zuerst einmal eher nicht wolle, dann aber durch Zärtlichkeiten davon überzeugt werde, dass man doch wolle. Ich habe keine persönlichen Erfahrungen mit den Zärtlichkeitspegeln von Gruppensex, und ich weiß auch nicht, welche Erfahrungen diese Richterin hat, aber mir scheint, alles rund um diesen Prozess zeigt, dass Justiz und Gesellschaft der Schutz von Frauen kein wirkliches Anliegen ist.
Jeder, der auf dem Land aufgewachsen ist und dort noch immer Zeit verbringt, weiß, dass auch in traditionellen österreichischen Haushalten nicht das gleiche Verständnis von Geschlechterverhältnissen herrscht wie in den gentrifizierten Gegenden von Wien. Aber abgesehen davon, dass sich die Frauenfeindlichkeit der Bobos nur anders äußert als die der Bauern, muss man wohl festhalten, dass die religiös-kulturelle Prägung der Täter im Fall Anna und in vielen anderen Fällen, in denen die Täter aus migrantischen Milieus stammen, nicht nur eine Nebenrolle spielt. Dieser Prozess war auch ein Prozess gegen das vormoderne, frauenverachtende Weltbild, das jungen Männern, die aus islamisch-patriarchalen Kulturen stammen, von ihren Eltern, von ihren Imamen und von ihren älteren Peers vermittelt wird. Das Signal, das der Ausgang des Prozesses in diese Milieus aussendet, lautet: Ihr kommt damit rechtlich durch und werdet nicht einmal mit moralischen Appellen belästigt.
Was meinen Sie? Schreiben Sie mir: redaktion@news.at
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 41/2025 erschienen.