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Elias Hirschl: Ein Seher in unsere groteske Zukunft

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Aktualisiert
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6 min

Elias Hirschl

©Matt Observe

Er hat die Implosion des Slimfit-Avatars Sebastian Kurz beschrieben, als die Umfragewerte noch gigantisch waren. Jetzt kommt Elias Hirschls fulminant komische KI-Apokalypse „Content“, die schon beim Bachmann-Preis begeistert hat, als Dramatisierung ins Wiener Schauspielhaus.

Selbst in Unkenntnis des erstaunlichen Schriftstellers Elias Hirschl würde man sich einen Seher unserer Zeit so vorstellen: noch einen Deut jünger aussehend als die realen 31 Jahre, von dezent femininem Habitus und einer mürrischen Weltentrücktheit, die mit Komplimenten nicht zu durchbrechen ist, mögen sie auch von Herzen kommen.

Und das tun sie in der Tat, denn der Wiener Autor, Musiker und Poetry-Slammer bewohnt selbst innerhalb des sich ständig erneuernden österreichischen Literaturwunders seinen eigenen Planeten. Das Musikalische, das die hiesige Literatur wesentlich ausmacht, ist ihm eingeschrieben – er war schon Vierter beim Protestsongcontest, da hatte er noch gar nicht maturiert. Der erste Roman erschien vier Jahre später, der zweite – „Meine Freunde haben Adolf Hitler getötet und alles, was sie mir ­mitgebracht haben, ist dieses lausige T-Shirt“ – erregte schon Aufmerksamkeit. „Hundert schwarze Nähmaschinen“ war 2017 Buch des Monats der Darmstädter Jury, und ab 2020 prasselten die Preise.

Verloren in Sebastian Kurz

Den Rang als führender Realdystopiker eroberte er sich 2021: Der Roman „Salonfähig“ erzählt von einem zusehends selbstverlorenen Sebastian-Kurz-Groupie, das mit dem nie beim Namen genannten Original eins wird bis zur Katastrophe. Nahezu zum Erscheinungstag implodierte der Kanzler kicksend während eines „ZiB 2“-Interviews, weil die mittlerweile gerichtsnotorischen Verfehlungen aufgekommen waren.

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Verloren im Internet

Und jetzt „Content“, 2022 geschrieben und schon im Frühstadium mit dem Bachmann-Publikumspreis ausgezeichnet. Hirschl konsumierte gerade das Stadtschreiber-Stipendium der Ruhrpott-Metropole Dortmund, und vor dem apokalyptischen Hintergrund der bedrängten Kohleindustrie entstand eine Dystopie, die schon während der Pandemie Gestalt angenommen hatte: Dass er sich im Lockdown nahezu unkontrolliert mit Content aus dem Netz abfüllte, führte den Skeptiker zur Frage, wer denn diese Flut an Blödsinn produziere.

Die Ich-Erzählerin erzeugt da in der Content-Farm „Smile Smile Inc.“ sinn­lose Listen, die nur die Funktion haben, angeklickt zu werden. Die Realität draußen ist Phantom. Zeitverschwendung, an die klaffenden, Passanten verschlingenden Löcher in den Straßen einen Gedanken zu richten. Die Welt geht unter. Der Turbokapitalismus, so fasste der beeindruckte Rezensent der „Süddeutschen“ zusammen, zieht „in seine vielleicht letzte große Schlacht. Der Mensch ist – endlich, endlich – komplett egal.“

Das Wiener Schauspielhaus stellt jetzt die Theaterfassung her. Die Regisseurin Asli Kislal verteilt die Protagonistin auf das Ensemble, so wie sich Identität auch im Roman fragmentiert.

Als der Roman Anfang 2024 erschien, war Trump von der Wahl noch fast ein Jahr entfernt und Musk noch haupt­beruflicher Autoerzeuger. Und heute? „­Unbrauchbar, mit rechter Propaganda, Bots und Werbung vollgestopft“, klagt Hirschl. „Das ist passiert, als das Buch schon fast fertig war, ebenso die Umbenennung auf X, ich konnte es gerade noch im letzten Moment hineinnehmen.“ Die Konsequenzen? Nicht so einfach zu ziehen. Brutale Besteuerung eventuell? „Ich weiß nicht, was da eine gute Lösung wäre. Es gibt ja keine brauchbaren europäischen Social-Media-Äquivalente. Man ist ein Stück weit abhängig von einer Handvoll großer, undemokratisch geführter Tech-Firmen.“

Also hat er sich selbst aus dem Betrieb genommen und versorgt eine minimale Abnehmerschaft an Journalisten und Kulturleuten über die kommerziell vernachlässigbare Plattform Bluesky. „Was aber auch nicht die Lösung sein kann, weil man das Ganze dann erst recht den falschen Leuten überlässt.“

Zum Teufel mit Pippi!

Satirisch höchstentwickelte Sprache ist das Kapital des Wortkünstlers Hirschl. Aber wird denn Satire in digitalen Verblödungszeiten noch verstanden? Man müsse sie neu fassen, lautet die Antwort. Als Übertreibungs- und Überspitzungskunst habe sie gegen die Realität keine Chance – wie wolle man Trumps Wirken an Absurdität übertreffen? Der Roman als Form sei da schlicht zu langsam. Also kommt 2026 etwas in Richtung Zeitlosigkeit: die fiktionale Bio­grafie einer hundertjährigen Wiener Sprachwissenschafterin zwischen 1930 und der unmittelbaren Zukunft. Wieder wird der Roman nahezu unkoordinierte Entwicklungsschleifen durchlaufen haben: Er war schon eine Kurzgeschichten­sammlung, manche Kapitel sind zum fünften Mal geschliffen, andere nicht einmal begonnen, andere verworfen.

Hat er sich je durch die Cancel Culture beirren lassen, die sogar „Pippi Langstrumpf“ beeinsprucht? Da wird er deutlich, aber anders, als erwartet. „Ich glaube zum einen nicht, dass Cancel Culture existiert, und zum anderen bin ich der Meinung, dass man gewisse Kinderbücher nicht mehr auflegen muss, wenn sie zu veraltet sind.“ Auch, wenn der Negerkönig korrektheitstechnisch beamtshandelt wurde? „Ich brauche ­solche Bücher nicht, auch wenn Pippis Vater jetzt Südseekönig heißt. Warum ist irgendein weißer Dude Südseekönig? Da ist es zum 80. Geburtstag vielleicht Zeit, dass man es nicht mehr liest.“

Bei Hirschls seherischen Fähigkeiten kann einen die Diagnose mit Sorge ­erfüllen.

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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 18/25 erschienen.

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