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David Safier: „Humor kann eine Waffe sein“

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12 min

David Safier

©Manuel Gut

Für ein Millionenpublikum ist David Safier der Autor beglückender Lebenshilfegeschichten wie „Mieses Karma“. Sein jüngster Roman „Die Liebe sucht ein Zimmer“ führt in ein Theater im Warschauer Ghetto. Mit News spricht Safier über die rettende Kraft jüdischen Witzes, Antisemitismus und die Superhelden als jüdische Erfindung.

Im Saal des Femina-Theaters wird es plötzlich still: Mitten in einer Komödie hebt die Schauspielerin Zivia zu einem Dialog an. Ihre Stimme zittert. Sie schildert das Herannahen eines Zuges, der sie und alle in ihrer Nähe zu überrollen droht. Ein idealer Einstieg für einen Thriller. Doch die Szene könnte sich am 16. Jänner 1942 im Warschauer Ghetto tatsächlich so zugetragen haben, als der reale Romanheld Jerzy Jurandot sein Stück, „Die Liebe sucht ein Zimmer“, zur Uraufführung brachte. Der mörderische Zug war damals noch Fiktion. Wenige Monate später wurde er für die 400.000 Bewohner des Ghettos Wirklichkeit, die Nazis begannen mit den Deportationen.

David Safier, Autor von Bestsellern wie „Mieses Karma“ und Sohn eines Wiener jüdischen Migranten, hat Jurandots Stück entdeckt, als er für seinen Roman „28 Tage lang“ über den Aufstand im Warschauer Ghetto recherchierte. Jetzt ließ er die Komödie zum Roman werden. Anlass für ein Gespräch über Humor in bedrängenden Zeiten, Antisemitismus und warum rechte Autokraten Tolkiens „Herr der Ringe“ lieben und die Juden Superman.

Warum jetzt diese Geschichte? Waren der Aufstieg der AfD oder das Attentat der Hamas und der damit wachsende Antisemitismus die Auslöser?

Das mit der AfD war ja abzusehen. Auch Die FPÖ bei Ihnen liegt ja vorne. diese Schwemme an antidemokratischen Bewegungen gibt es auf der ganzen Welt und sie ebbt auch nicht ab. Ich habe gerade für einen Roman recherchiert, der in Auschwitz spielt. Dann kam das Attentat der Hamas, es war klar, was da alles kommen würde. In dieser Zeit gedanklich nach Auschwitz zu gehen, dazu fehlte mir die Kraft. Es war auch schrecklich, was im Warschauer Ghetto passiert ist, aber da gibt es diese Gegenkraft von Humor und Theater, die Menschen im Elend verbindet. Darüber zu schreiben, hat mir dann gutgetan und ich hoffe, den Lesern auch.

Kann man Holocaust und Humor überhaupt in einem Satz nennen?

Humor kann auch ein Überlebensmechanismus sein, und jüdischer Humor, das wissen wir alle, ist geboren aus Unterdrückung und Leid. Daraus können Menschen Kraft ziehen. Und ich glaube auch, dass es eine Waffe gegen Mächtige sein kann. Und vor allen Dingen etwas Verbindendes ist. Mit der Komödie, „Die Liebe sucht ein Zimmer“, die im Warschauer Getto 1942 gespielt wurde, nicht mal ein halbes Jahr vor den Deportationen in die Konzentrationslager, sehe ich mich auch als Autor in der Tradition einer Art von jüdischem Humor. Aber ich kann nicht sagen, ob ich die Kraft zu unterhalten hätte, wäre ich in einer Situation wie Sara oder wäre ich viel zu depressiv, um überhaupt noch eine Zeile hinzukriegen? Oder wäre ich ein Künstler wie Jerzy Jurandot, der noch ein Theater leitet und Komödien macht und die Menschen unterhält in der ganzen Verzweiflung und in dieser Hölle des Warschauer Ghettos.

Das Faszinierende an den Geschichten, die ich aus dem Warschauer Ghetto erzählen kann, ist das positive Potenzial von Menschen und dass das keine Ausnahme ist. Aus dem Konzentrationslager Auschwitz gibt es einige Heldengeschichten, alles andere ist so schrecklich, dass sich die Leute gar nicht auflehnen konnten oder ihre Würde behalten konnten. Aber im Warschauer Ghetto ist noch Potenzial da. Es gab so viele, die Kunst machten oder in Suppenküchen gearbeitet haben, illegal in Schulen Kinder unterrichtet haben. Das alles ist auch eine Art des Widerstandes. Denn Widerstand, das ist auch politisch, Widerstand ist ja nicht nur Waffe. Widerstand ist, sich Würde zu bewahren und aufzulehnen.

Für die Rechten ist Antisemitismus ein Werkzeug. Wer denkt, die sind aufseiten der Juden, ist schief gewickelt

David Safier

Im Nachwort schildern Sie, dass Sie in Spanien dazu inspiriert worden sind. Sie wurden dort sehr oft gefragt, ob Sie sich vorstellen könnten, eine Holocaust-Komödie zu schreiben.

Das konnte ich irgendwie nie. Selbst Charlie Chaplin hat gesagt, hätte er von den Lagern gewusst, hätte er keine Komödie geschrieben, wobei „der Große Diktator“ großartig ist. Ich will damit nicht sagen, dass man keine Holocaust-Komödie schreiben kann, aber ich traue es mir nicht zu. Dann fiel mir dieses Stück ein, von dem ich bei meinen Recherchen zu „28 Tage lang“ gelesen habe. Das ist keine Holocaust-Komödie, wie Roberto Benignis „Das Leben ist schön“, sondern eine Komödie, über die die Juden während der Shoah selbst gelacht haben, während sie selbst im Elend waren. Ohne diese Presse-Tournee wäre ich nie drauf gekommen. Dann wusste ich nur, dass ich dieses Theaterstück irgendwie finden will. Ich wusste noch nicht, was ich damit mache.

Hat es etwas mit der Franco-Diktatur zu tun, dass ausgerechnet spanische Journalisten nach einer Holocaust-Komödie gefragt haben?

Die Presse-Reise ist schon 11 Jahre her, aber diese Aufarbeitung des Franco-Regimes gab es noch nicht. In Deutschland ist man durchaus weiter, was vermutlich nicht nur mit den Alliierten zu tun hat, sondern vermutlich auch durch die totale Zerstörung. Die Franco-Diktatur endete doch erst in den 1970er-Jahren.

Sara verwandelt sich in ihrer Fantasie in Golema, die so stark ist, dass sie die Nazis vernichtet. Diese Szenen im Roman könnten aus einer Marvel-Comic-Verfilmung stammen. Dachten Sie an einen weiblichen Captain America?

Das nicht. Diese Golema ist ein Supergeschöpf wie der Golem, der die Juden in Prag gerettet hat. Der ist eine jüdische Erfindung. Diese Fantasie von einem Retter ist etwas sehr Jüdisches. Aber weil Sie davon sprechen. Captain America ist 1940 von Joe Paine und Jack Kirby, also zwei Juden, erfunden worden. Batman, Superman sind alle jüdische Figuren im Zweiten Weltkrieg, die auch gegen die Nazis gekämpft haben. Ein jüdisches Thema ist nicht nur der Humor, sondern auch Superhelden und Science-Fiction, interessanterweise ist das ein jüdisches Genre, während Fantasy keins ist. Die simple Erklärung ist, im Judentum gibt es immer die Fantasie nach einem Retter und nicht nach einem Früher war alles besser. Elon Musk, Peter Thiel, auch viele andere rechte Autokraten aus Silicon Valley beziehen sich dagegen auf Herr-der-Ringe. Diese Ansicht, im Mittelalter sei alles besser gewesen, gibt es im Judentum nicht.

Diese Golema aber regt zur Frage an, warum haben sich die Juden nicht gewehrt? Ist es vermessen, das zu fragen?

Also erstmal gab es genug, die sich gewehrt haben. Das zeige ich in meinem Roman „28 Tage lang“. Aber darin zeige ich auch, wie perfide ständig mit der Hoffnung gespielt wurde. Man sagte den Juden, jetzt wird euch etwas weggenommen, aber wir siedeln euch um und dann werdet ihr da arbeiten und dann geht es noch mal weiter da. Es gab Hoffnung, denn es wurde nie gesagt, jetzt kommt, ihr in die Züge und werdet alle umgebracht. Die Juden, die in die Züge gekommen sind, wurden auch noch gezwungen, Postkarten zu schreiben. Die Angehörigen, die diese bekommen haben, dachten, wo die sind, sei es schön.

Einerseits wurde mit der Hoffnung gespielt. Auf der anderen Seite können sich Menschen nicht vorstellen, dass manche auch machen, was sie sagen. Die Ziele sind doch alle klar formuliert. Aber es gibt keinen Grund, all diese Dinge zu glauben. Auch heute hört man doch immer wieder, der meint das nicht so. Damals waren diese Dinge so ungeheuerlich. Wenn wir aus der Perspektive von damals zuhören, würden wir vieles nicht glauben. Es war furchtbar im Warschauer Ghetto. Aber dass die Nazis wirklich so massenhaft töten, dass sie Lkws bauen, in denen Gas eingeleitet wurde, um darin Menschen zu töten, konnte man sich nicht vorstellen. Wir erleben so etwas Ähnliches heute. Wenn böse Menschen sagen, was sie vorhaben, sagen viele, die meinen das nicht so. Es ist sozusagen die eigene Vorstellungskraft in die Empathielosigkeit von anderen.

Wie erleben Sie die Lage in Deutschland heute?

Ich lebe jetzt hier in Bremen in einer sehr liberalen Stadt. Wir haben noch nicht mal eine AfD im Parlament. Sie durfte nicht kandidieren, weil sie zwei Kandidatenlisten abgegeben haben, denn sie waren untereinander so zerstritten, dass sie sich nicht auf eine einigen konnten. Aus Berlin ziehen Juden und Homosexuelle weg. Kerkeling hat ja auch Berlin verlassen, weil es zu schrecklich wurde.

Seit dem Anschlag der Hamas hat man den Eindruck, dass die Rechten gegen antisemitische Tendenzen auftreten.

Die AfD und jetzt besonders Donald Trump benutzen den Antisemitismus, wenn es um die amerikanischen Universitäten wie Harvard und Columbia geht. Für die Rechten ist Antisemitismus ein Werkzeug. Wer denkt, die sind aufseiten der Juden, ist schief gewickelt.

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