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Daniel Kehlmann: „Es ist gefährlich, Grundrechte aufzugeben“

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Daniel Kehlmann

©IMAGO / TT

Die ersten Szenen zur Corona-Groteske „Ostern“ schrieb der deutschösterreichische Weltschriftsteller Daniel Kehlmann, als die Pandemie wütete. Jetzt wurde „Ostern“ an den Wiener Kammerspielen uraufgeführt. Ein Gespräch über drastische Maßnahmen, Denunzianten, ­den Unterschied zwischen Israel-Kritik und Antisemitismus sowie Trump als Corona-Profiteur.

Als Corona 2020 die Welt stilllegte ließ sich Daniel Kehlmann nicht in die Schockstarre zwingen. Der deutsch-österreichische Meisterromancier, der mit dem Roman „Die Vermessung der Welt“ ein Millionenpublikum erreichte, begann, die Malaise in Literatur zu verwandeln. News war unter den ersten, die von dem brisanten Projekt berichteten (News Nr. 20, 15. 5. 2020).

Das dramatische Resultat überließ er dann seinem bewährten künstlerischen Partner, „Josefstadt“-Direktor Herbert Föttinger, zur Uraufführung. Unter dem Titel ­„Ostern“ ist die giftige Satire nun an den Wiener Kammerspielen zu sehen. Das erhellende News-Gespräch in der Pause der Generalprobe wurde dann noch per Mail fortgesetzt.

Als Sie mit Ihrem Stück über die Pandemie begonnen haben, sagten Sie mir im Interview: Man sei als Autor privilegiert, weil man über das schreiben könne, was einen wütend und fassungslos macht. Empfinden Sie diese Wut und diese Fassungslosigkeit heute noch?

Nein, das Schreiben hat mir geholfen, gelassen zu werden und diese Dinge mit Humor zu sehen. Und die Theaterproduktion hilft mir ebenfalls – wenn ich jetzt im Theater sitze und diese Szenen sehe, ist das Thema für mich im besten Sinn bewältigt.

Der Titel „Ostern“ bezieht sich auf einen Kommentar des ehemaligen Kanzlers Kurz in einer Pressekonferenz: Die Osterwoche werde über die „Wiederauferstehung“ entscheiden. Sie beschreiben im Stück, wie ein Familienvater inständig auf die Verlängerung der Ausgangssperre hofft. Warum verlangen manche Leute nach Autoritäten?

Adorno schreibt darüber in seinen Studien zum autoritären Charakter. Manche Menschen befehlen einfach gerne, und andere bekommen gerne Befehle. Die große Aufgabe ist, zu beiden Gruppen nicht zu gehören.

Der Mann, der die Ausgangssperre verlangt, ist ein klassischer Vernaderer. Er zeigt seine Nachbarin bei der Polizei an, weil sie spazieren geht. Wie sehen Sie diese Blockwartmentalität? Ist die überall so stark ausgeprägt wie in Österreich?

In Österreich und in Deutschland wohl besonders stark. In Brandenburg gingen damals so viele Anzeigen ein, dass die Polizei die Bevölkerung bat, von weiteren Meldungen abzusehen. Ich glaube, so weit ging es nicht einmal in Österreich.

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Im Bann der Seuche: Raphael von Bargen (im Bild) als Schauspieler Jodok Americh im Lockdown. In weiteren Rollen: Robert Joseph Bartl, Katharina Klar, Alexandra Krismer, Julian Valerio Rehrl und Ulrich Reinthaller. Regie: Stephanie Mohr.

 © Moritz Schell

Hat die Pandemie gewisse Eigenschaften besonders hervorgeholt?

Ja, das war das große Problem. Die Macht, die plötzlich allerlei Leuten zuwuchs, die unter normalen Umständen nie so eine Autorität gehabt hätten. So etwas hat gesellschaftlich immer problematische Folgen.

Wie blicken Sie darauf zurück, dass Sie selbst für Ihre Kritik an den Maßnahmen angegriffen wurden?

Die Kritik war schon erstaunlich heftig. Die Dinge, die mir auf Twitter vorgeworfen wurden, oder in einigen Leserbriefen, waren schon sehr erstaunlich. Die Menschen waren eben so voll Anspannung und Wut, und ich sehe mit Erleichterung, dass man jetzt sachlich, oder eben auch auf der Bühne satirisch, über das Thema sprechen kann.

Das geschieht in Ihrem Stück. Warum kam es erst jetzt zur Uraufführung?

Die mittlere Distanz ist ideal. Man ist nicht mehr so traumatisiert oder wütend, man kann die Dinge mit Gelassenheit und Humor sehen, aber zugleich erinnert man sich doch noch ganz gut.

Im zweiten Teil erzählen Sie von einem Schauspieler in Quarantäne. Er ist dabei, alles zu verlieren, auch den Verstand. Zeigt uns das, dass wir noch lange von dieser Zeit traumatisiert bleiben werden?

Viele von uns sicher. Aber der Schauspieler ist keine Metapher, er ist einfach ein Mann, der die Einzelhaft im Hotel nicht mehr aushält. 14 Tage in einer Einzelzelle sind gegen die Menschenrechtskonvention. Aber in Corona-Zeiten hielt man das für unproblematisch, solange das Gefängnis ein Hotelzimmer war. Mir ist nicht ganz klar, wo der Unterschied liegt. Jedenfalls wird er im Stück langsam wahnsinnig, oder wie Herbert Föttinger es formuliert hat, als wir über das Stück sprachen: „Er macht den Jakobsweg in einem Hotelzimmer.“

Ist zu befürchten, dass sich während der Pandemie Schleusen geöffnet haben und der Staat leichter in unser Leben eingreifen kann?

Wir haben jedenfalls gesehen, dass der Staat, wie Peter Sloterdijk es so schön sagte, auch seine Samthandschuhe ausziehen kann. Und ja, das kann wieder geschehen, und beim nächsten Mal könnte der Anlass dafür noch gefährlicher sein – eine schlimmere Pandemie zum Beispiel, oder gar ein Krieg. Das zeigt eben, dass es immer gefährlich ist, Grundrechte aufzugeben. Das schafft Präzedenzfälle, und das Verlorene gewinnt man nur selten wieder ganz zurück.

Die Menschen haben viel Vertrauen in den liberalen Staat verloren

Daniel Kehlmann

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Während der Pandemie schürten Politiker die Angst vor dem Virus. Jetzt ist es die Angst vor dem Weltkrieg. Lässt sich das vergleichen?

Beiden Ängsten ist gemeinsam, dass sie ja völlig berechtigt sind. Corona war eine hoch gefährliche Krankheit, und ein Weltkrieg könnte tatsächlich drohen, auch ich kann oft nicht schlafen bei dem Gedanken. In solchen Bedrohungsmomenten ist aber eben Vernunft das Beste, was wir haben – und die sagt uns, dass wir anfangen, Fehler zu machen, wenn wir der Panik nachgeben.

Nach Corona erlebten die Rechten in Europa und in den USA einen enormen Aufschwung. Ist das auf die Pandemie zurückzuführen?

Die Menschen haben viel Vertrauen in den liberalen Staat verloren, von dem sie eben noch erlebten, wie er seine Samthandschuhe auszog. Auf dieser Basis konnten dann allerlei wirre Theorien und Verschwörungserzählungen gedeihen.

Sie waren zur Wiederwahl von Donald Trump in den USA. Hat ihm die Pandemie geholfen?

Ganz sicher. Trump hat ja eigentlich das Geld für die Entwicklung der Corona-Impfstoffe freigegeben, aber später brachte ihn auch eine Welle der Impf- und Wissenschaftsgegnerschaft zurück ins Amt. Eine sehr berückende Volte der Geschichte.

Leben Sie noch in New York? Wie ist das Leben seit Trumps Wiederwahl?

Ich bin wieder sehr viel in New York. Das Alltagsleben hat sich noch nicht sehr verändert, aber die Gespräche der Menschen sind sehr von der schrecklichen politischen Situation geprägt – entweder, weil sie davon reden, oder weil sie ängstlich darüber schweigen.

Wenn ich richtig informiert bin, leben Sie auch in Berlin. In Deutschland steht die allgemeine Wehrpflicht vor der Wiedereinführung, Wie sehen Sie den Trend zur Aufrüstung in Deutschland?

Die ist noch nicht wieder eingeführt, im Augenblick sollen alle jungen Männer aufgefordert werden, über eine freiwillige Meldung nachzudenken. Die allgemeine Wehrpflicht ist im Gespräch, aber noch ist es ein weiter Weg dahin. Was ich davon halte, darüber werde ich nachdenken, wenn es wirklich wieder eine wahrscheinliche Option ist.

Wie sehen Sie die allgemeine Wehrpflicht als Vater eines Sohnes?

Freuen würde ich mich naturgemäß nicht darüber, aber ich verstehe, dass Situationen entstehen können, in der die Regierung über eine solche Maßnahme zumindest nachdenken muss.

Auf die Pandemie folgten andere Katastrophen: der Krieg in der Ukraine, der Anschlag der Hamas in Israel, der eine ungeheure Welle des Antisemitismus auslöste. Menschen wurden in einem österreichischen Restaurant nicht bedient, weil sie Hebräisch sprachen. In England wurde eine Tournee des renommierten Jerusalem Symphony Orchestra abgesagt.

Es ist sicher eine drastische und auch problematische Maßnahme, das Jerusalem Symphony Orchester auszuladen, aber es wird eben von israelischen Steuergeldern finanziert. Und natürlich ist es ganz furchtbar, eine Familie fortzuschicken, weil sie Hebräisch spricht. Aber angesichts des unfassbaren Leids in Gaza würde ich solche Überreaktionen nicht antisemitisch nennen, sondern eher drastische – und hilflose – Versuche, etwas gegen den gegen jedes internationale Recht verstoßenden Staat Israel zu unternehmen. Hilflose und falsche Versuche, aber eben Versuche, die angesichts der entsetzlichen Situation in Gaza und immer mehr auch der Westbank nicht ganz unverständlich sind. Aber ich habe eine solche Welle von Antisemitismus nicht bemerkt. Was ich bemerkt habe, ist, dass die israelische Regierung jede Kritik an ihren Kriegsverbrechen als Antisemitismus zu brandmarken versucht. Das funktioniert zum Glück immer weniger.

Wie erklären Sie es, dass es auch in der Kunst so viele pro-palästinensische Stimmen gibt?

Künstler sind empathiefähige Menschen, deshalb neigen sie dazu, sich mit den Opfern von Kriegsverbrechen und Massenmorden zu identifizieren.

In unserem Interview zu Jahresbeginn sagten Sie, eine Welle der Angst gefährde die Demokratie. Aber eine Regierung mit Kickl als Kanzler wurde abgewendet. Wie blicken Sie jetzt auf Österreich?

Im Augenblick scheint die Lage einigermaßen beruhigt – aber wer weiß, wann immer man das denkt, neigt Österreich dazu, einen negativ zu überraschen.

Welchem Theater werden Sie nach der Direktion Föttinger Ihre Stücke geben? Gibt es schon Gespräche mit seiner Nachfolgerin, mit dem Burgtheaterdirektor Stefan Bachmann oder Philipp Gloger vom Volkstheater?

Stefan Bachmann kenne ich seit seiner viel gelobten Inszenierung von „Tyll“ in Köln, unter seiner Direktion gab es dort auch eine sehr interessante Produktion von „Die Reise der Verlorenen“, und am Burgtheater läuft gerade meine Übersetzung von Ayad Akhtars „Der Fall McNeal“. Jan Philipp Gloger habe ich neulich in Berlin kennengelernt auf der Premierenfeier zu seiner sehr gelungenen Inszenierung von Richard Strauss’ „Die schweigsame Frau“. Wir haben uns dann lange über unsere gemeinsame Verehrung für Jura Soyfer unterhalten. Es gibt also viele Berührungspunkte. Gespräche mit der künftigen Josefstadt-Direktion gab es bisher keine. Aber ich habe im Augenblick sowieso keine Theaterstücke anzubieten.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 37/2025 erschienen.

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