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Claus Peymann: Die Wahrheit über den alten König

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Gert Voss spielt und Claus Peymann inszeniert " Einfach kompliziert ", das 1986 für Bernhard Minetti geschriebene Textmassiv eines alten, vereinsamten Schauspielers , der von seinem Triumph als " Richard III. " träumt .

Claus Peymann und Gert Voss

©MICHAEL HUGHES / EUP & IMAGES

Mit Banalitätenchorbegleitung wurde der Welttheatermann Claus Peymann medial beerdigt. Fast alles war anders, und zumindest das wilde und glanzvolle Burgtheater-Kapitel kann man anhand der 33 Peymann-Interviews für News rekonstruieren. Auch die Herkunft der „Heldenplatz“-Skandalzitate wird peripher erhellt.

Alles geredet und nichts gesagt. Als am 16. Juli Claus Peymanns Tod öffentlich wurde, musste sich der epochale Theatermann die letzte Ehre schon mit der Schlagersängerin Connie Francis („Schöner, fremder Mann“) teilen. Einen Tag später schmetterte dann der Extremsportler Felix Baumgartner die Wahrnehmungsreste in ein italienisches Schwimmbecken.

Peymann, das Klischee

Wozu auch sich aufhalten, und womit? Wo doch das Nötige schon geschwätzt war: Der 1937 in eine national gesinnte Bremer Lehrerfamilie geborene Klaus Eberhard Peymann war hauptberuflich 1986 bis 1999 Burg-Direktor, hat dort anlässlich seines teutonisch ungezogenen Einritts zwar ein seit dem 19. Jahrhundert versülzendes Schnarch-Institut eliminiert. Aber andererseits auch das österreichische Nationaltheater mit seinen kostbaren Schauspielern und seinem einzigartigen Ton plattgemacht.

Seine Lebensleistung konzentriert sich wesentlich auf die Uraufführung des anti-österreichischen Agit-PropStücks „Heldenplatz“ von Thomas Bernhard, mit dessen rüden, aber eingängigen Parolen („sechseinhalb Millionen Debile und Tobsüchtige“) immerhin überfällige Denkvorgänge auf den Weg befördert wurden.

„Klar, dass ich überlebt habe: Wenn Sie Wien nicht erledigt hat, kann Ihnen kein Virus etwas anhaben“

Aus dem vorletzten News-Interview, 7. 8. 2020

Es war alles anders

Was bleibt dem zügig vom Zeitgenossen zum Zeitzeugen reifenden Journalisten da übrig, als die Schaufel zu schultern? Nicht die des Totengräbers, sondern die des Archäologen. Denn: Es war so gut wie alles anders. Die Frage ist nur, wo man beginnen soll, und wie sentimental, wenn einem ein beruflicher Lebensabschnittspartner überragenden Formats geht. Also rettet man sich ins Statistische: Zählt man die Interviews nach, die Claus Peymann News seit dessen Gründung anno 1992 gegeben hat, so kommt man auf 33, viele mehrseitenlang, manche nur mit ein paar Sätzen eine Exklusivmeldung begleitend.

Andere haben nie eines bekommen, und das lag daran, dass er als Burgtheaterdirektor nur ganz wenige mediale Verbündete hatte. Und dass News auch in Schwächezeiten ein zuverlässiger Verbündeter war.

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Claus Peymann

Der Aktionist. Für das solidarische Medium News stand Peymann als dutzendfacher Interviewgeber zur Verfügung.

 © Martin Vukovits

Schon die Mythen der Ernennung verlangen nach Berichtigung. Helmut Zilks Amtsdauer als Unterrichtsminister beschränkte sich auf die politisch desaströsen Jahre 1983 und 1984: Bruno Kreisky hatte die Absolute verloren und im Abgang seinen Unterrichtsminister Sinowatz gegen dessen heftigen Widerstand ins Kanzleramt befehligt. Die Koalitionsregierung mit Norbert Stegers Zwergen-FPÖ als Mehrheitsbeschaffer detonierte schon 1986. Da war Zilk seit zwei Jahren Wiener Bürgermeister im sich anbahnenden Legendenstatus.

Aber in seinem einzigen Jahr als Unterrichtsminister ernannte er Claus Peymann zum Burgtheaterdirektor. Peymann hatte das Schauspielhaus Bochum ins Weltformat entwickelt, dem Ensemble mit Gert Voss, Kirsten Dene, Ignaz Kirchner und Martin Schwab eilte der Ruf des Wunders voraus.

Zilk wiederum hatte eine ingeniöse Beraterin, seine spätere Wiener Kulturstadträtin Ursula Pasterk, vormals Profil. Sie betrieb das Projekt Peymann. Im Burgtheater-Ensemble bestand damals weitgehender Konsens, dass der seit 1976 regierende Direktor Achim Benning im Amt verlängert werden müsse. Entgegen heutigem Hörensagen waren Benning – und noch mehr sein Vorgänger Gerhard Klingenberg – große, visionäre Innovatoren. Der aus Magdeburg gebürtige Benning war als Schauspieler, Regisseur und Ensemblevertreter in die Direktion gelangt. Er wurde wegen seines avantgardistischen, auch dezidiert politischen Spielplans alsbald medial als Kommunist und Fünfte Kolonne der DDR namhaft gemacht.

„Grandiose Titanen wie die Wessely, der Hörbiger, die Käthe Gold oder der Oskar Werner, das waren Einzelfiguren, wie das heute die Dene, der Schwab oder der Voss sind. Und dann gab es auch immer das Mittelmaß“

Aus dem ersten Peymann-News-Interview, 22. Oktober 1992

Aber das Ensemble hatte er auf seiner Seite, und die Verlängerung über 1986 hinaus schien Formsache. Womit sich ein anekdotenhafter Seitenstrang öffnet: Speziell der große Schauspieler und bekennende Freimaurer Fritz Muliar gedachte die Angelegenheit mit dem Freimaurer Zilk zugunsten des Freimaurers Benning brüderlich zu lösen. Aber Zilk, sonst ein Netzwerker von Gnaden, war diesfalls unempfindlich.

Statt des Freimaurers Michael Kehlmann ernannte er Boy Gobert zum Josefstadt-Direktor, und als der Freimaurer Paul Blaha aus dem Volkstheater wich, verlor der Freimaurer Hans Gratzer gegen die große Kleinbühnendirektorin Emmy Werner. Muliar und seine Entdeckung, der Ensemblesprecher und fabulöse Nestroy-Darsteller Franz Morak, gingen daraufhin in Fundamentalopposition, Morak wurde später Schüssels Kunst-Staatssekretär.

Die größten Schauspieler

Peymann brachte 1986 die Gigantengeneration Voss, Dene und Kirchner mit. Aber er dachte nicht daran, wie sein Nachnachnachnachfolger Martin Kusej die ihm überantwortete Suppe wegzuschütten: Es gab Pensionierungen, aber das Ensemble um Michael Heltau, Erika Pluhar, Karlheinz Hackl und Gertraud Jesserer blieb und fertigte mit dem als Regisseur weiterverpflichteten Benning großartige Aufführungen.

Peymann aber erfüllte die Anforderungen eines österreichischen Nationaltheaters wie zuletzt Max Reinhardt an der Josefstadt: Ohne Peymann wären zentrale Werke der österreichischen Gegenwartsdramatik ungeschrieben geblieben. Peter Handke hatte er 1968, damals noch in Frankfurt, entdeckt. „Kaspar“ und „Publikumsbeschimpfung“ trugen sich in die Geschichte ein, und in Wien folgten traumschöne Uraufführungen wie „Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten“ (1990). Als die charakterlich überforderte Branche Handke wegen seiner NATO-kritischen Einwände im Jugoslawien-Krieg beflegelte, nahm Peymann 1999 mit der trotzigen Uraufführung des Kampfstücks „Die Fahrt im Einbaum“ Abschied.

„Wie ein heißer Tsunami sind wir in die etwas verkitschte Realität des österreichischen Theaters gefahren! Mut und Selbstironie waren meine größten Stärken, aber dieser Peymann ist ja längst tot. Deshalb die Angst, dass die Enttäuschung bei denjenigen, die nach der Legende Peymann suchen, groß sein wird“

Über seine späte Josefstadt-Regie

Peter Turrini hatte sich vom Theater schon abgewandt, als ihn Peymann zu den finsteren Geniewerken „Die Minderleister“ und „Tod und Teufel“ überredete. Er selbst inszenierte Turrini erst 1993, „Alpenglühen“ erreichte theaterhistorische Dimension.

Elfriede Jelinek haderte zuerst mit Peymann, ehe er sie in sein Reich überredete. Tragischerweise scheiterte der Protestant Peymann an Jelineks jüdisch-barocker Sprachlust. Aber ihr „Sportstück“, 1998 von Einar Schleef uraufgeführt, veränderte das Gesicht des Theaters und bahnte den Weg zum Nobelpreis. Mit Schleef, Peter Zadek und dem bis heute vermissten Weltweisen George Tabori holte Peymann das Höchste an Konkurrenz ins Haus.

Der zunächst spielentscheidende Lebensbegleiter aber war Thomas Bernhard, das gottgegebene Pendant zum Marketing-Giganten Peymann. Der legte 1988 zunächst in einem „Zeit“-Interview mit dem deutschen Verhörspezialisten André Müller gegen die Burg los. Wenig später gelangten zusammenhangferne Fragmente aus der bevorstehenden Uraufführung von Bernhards „Heldenplatz“ in die Medien.

Eine ungeheure Österreich-Beschimpfung zum Jahrestag des Nazi-Einmarschs sei das, wurde verbreitet, und bis zur Uraufführung am 8. November 1988 brannte das Land schon lichterloh. Heute besteht Konsens darüber, dass der neue FPÖ-Vorsitzende Jörg Haider und die „Kronen Zeitung“ die Betreiber waren, das aufgeklärte Österreich dem Druck aber vorbildlich widerstanden habe.

Die Akte Heldenplatz

So war das nicht. Die ersten Fragmente erschienen, noch folgenlos, am 19. September 1988 im Profil und dem Magazin Basta. Letztgenannten Kurzbericht verantwortete der Verfasser des Nachrufs, den Sie gerade lesen.

Wenig später stiegen die konservative Wochenpresse und die Krone ein, und kein – wirklich kein – Medium hat sich diesbezüglich besonderen Charakters zu rühmen. Der Standard rief vor der Uraufführung zum Sturm gegen das Burgtheater auf, Presse-Chef Thomas Chorherr und Entourage feuerten mit der Donnerbüchse. Und Kurier-Kulturchef Herbert Hufnagl wurde wenig später abgesetzt, weil er sich geweigert hatte, gegen die bevorstehende Uraufführung Partei zu nehmen.

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Autor Thomas Bernhard u. Burgtheaterdirektor Claus Peymann auf der Bühne des Burgtheaters nach der Premiere von " Heldenplatz "

Thomas Bernhard und Claus Peymann nach der „Heldenplatz“-Premiere. Der Tumult war wesentlich ein Medienprodukt.

 © Votava / brandstaetter images / picturedesk.com

Wie die Fragmente nach außen gelangten, wird bis heute diskutiert. War es Peymann selbst? Die Morak-Fraktion? Zumindest was das „Basta“-Fragment betrifft, kann Klarheit hergestellt werden: Die Passagen wurden dem Verfasser vom dezent Peymann-skeptischen Burg-Direktionsmitglied Gerhard Blasche am Würstelstand bei der TU souffliert.

Dann kam die Uraufführung, und es war nichts: ein etwas lang geratenes, melancholisch-sarkastisches Kammerspiel. Die inkriminierten Passagen, Meisterstücke des Übertreibungsweltmeisters Bernhard, spricht ein Sonderling, ein schwer traumatisierter Emigrant. Das Gegröle während der Uraufführung verstummte zusehends. Die Kritiken waren freundlich. Auch die in der Krone, verfasst vom dort gastierenden Verfasser dieses Nachrufs.

SPÖ-Größen gegen Peymann

Und die Politik? Die ÖVP überbot sich während der Kampagne in Empörungsbekundungen, SPÖ-seitig stimmten Kreisky, Zilk und Gewerkschafter ein. Kanzler Vranitzky, im Bühnentext als „Staatsverschacherer“ namhaft gemacht, hielt eher nolens still. Die Einzige, die wie eine Löwenmutter hinter Peymann stand und allen Rücktrittsforderungen trotzte, war Unterrichtsministerin Hilde Hawlicek. Sie wurde nahezu unverzüglich durch Rudolf Scholten ersetzt, der großartige Figur machte. Erst als der überforderte Kurzzeitkanzler Viktor Klima die Kultur zur Chefsache machte, war Peymanns Abgang nach 13 Jahren besiegelt.

Nicht nur in den Theatern gibt’s ein neues Biedermeier, wird eine Sprachregulierung und Sittenpolizei eingeführt. Schon das Wort ,Indianerhäuptling‘ führt zu einem Aufschrei

Aus dem letzten News-Interview, 14. 1. 2022

Am Berliner Ensemble träumte er dann von der rasenden Zeit. Seine Nachfolger in Wien fürchteten den riesigen Schatten. Erst als 2014 Peymanns frühere Pressesprecherin Karin Bergmann übernahm, kam er als Regisseur zurück. 2019, zwei Wochen vor der Akademietheater-Premiere der Ionesco’schen „Stühle“, brach er, längst der älteste noch aktive Regisseur des Sprachraums, unter dem Einfluss einer viralen Gehirnhautentzündung zusammen.

Die Genesung im AKH dauerte sieben Monate, Peymann musste anschließend wieder gehen lernen. Aber Herbert Föttinger glückte der Coup, ihn für drei formidable Inszenierungen an die Josefstadt zu engagieren. Die vierte sollte, trotz hausinternen Gemaules gegen Peymanns raue Probengepflogenheiten, in der soeben beendeten Saison stattfinden. Da warf ihn ein Schlaganfall nieder, und ein zweites Auferstehen war selbst ihm nicht zugedacht. Er starb am 16. Juli in seinem Haus in Berlin. Die Füchse, Dachse und Wildschweine, die sich in seinem Garten eingerichtet haben, werden ihn vielleicht vermissen.

Noch ungeklärt ist der Ort seines Begräbnisses. In News deutete er Diversifikation an: das Herz in Wien, der Rest auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin, wo viele andere Unsterbliche warten.

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Bild

Kulturgeschichte. Mit Peter Handke. Peymann war ein Besessener des Textes. Konträr zum postdramatischen Unfug galt ihm das Wort alles

 © Jantzen Thomas

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 30+31/25 erschienen.

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