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Andrea Breth: „Wir sind schon mitten im Krieg“

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Andrea Breth

©Bernd Uhlig

Nach langer Absenz vom früheren Kraftort Wien inszeniert die Weltregisseurin Andrea Breth an der Josefstadt. Die Lebensbilanz der Goebbels-Sekretärin Brunhilde Pomsel, groß besetzt mit Lore Stefanek, verspricht ein Ereignis außer der Norm. Im Interview wird Andrea Breth auch zu bedrohlichen Themen der Zeit deutlich.

Zuletzt ist in biblischem Alter Claus Peymann gegangen. Da wussten viele schon nichts mehr von den alten Giganten, die zwei Generationen aufgewühlt und scharenweise ins Theater betört haben. Peymann, Peter Zadek, Luc Bondy: Wahrheitssucher, die Texten und Charakteren auf den Grund gingen, rücksichtslos auch gegen sich selbst, unempfindlich gegen Verpflichtungserklärungen zu Opportunismus und Wohlverhalten.

Doch, eine ist noch am Schaffen, eine Generation jünger, aber mit den Riesen im selben Atem genannt. Andrea Breth, kürzlich 73 geworden, könnte ihr Ausnahmeformat allein mit heimischem Klunkerbesatz beglaubigen. Den Österreichischen Musiktheaterpreis nahm sie 2022 gleich zweimal entgegen, für Aufführung und Regie einer Prokofjew-Oper im Theater an der Wien. Davor: fünf Nestroys und eine Nominierung, keiner hat das je annähernd verbucht.

Aber seither fängt sie zwar zwischen Aix, Berlin und München Akklamationen ab. Aber aus der Burg, wo sie in Nikolaus Bachlers Direktion Hausregisseurin war, rührte sich nichts mehr, seit Martin Kusej 2019 mit den Abbrucharbeiten betraut wurde. Die Staatsoper? Salzburg? Das wiedereröffnete Theater an der Wien? Stille. Und künftig? „Nichts. Ich bin bis 2028 ausgebucht.“

Hadsch in die Josefstadt

Also wird man sich ab 18. Dezember auf die Hadsch in die Josefstadt begeben müssen. Denn dort ist dem scheidenden Direktor Herbert Föttinger gelungen, was anderen nicht in den Sinn kam. Die ebenfalls scheidende Protagonistin Lore Stefanek, Andrea Breth seit Anfängertagen in Freiburg verbunden, brachte beide Seiten zueinander.

Geprobt wird ein Stück Zeitgeschichte. Christopher Hamptons „Ein deutsches Leben“, 2019 mit Maggie Smith in London uraufgeführt, folgt den Erinnerungen von Goebbels’ ­Sekretätin Brunhilde Pomsel. „Man wird alles erzählt bekommen, was die Frau zu ihrem Leben zu sagen hat.“ Die Begegnung mit Andrea Breth ist auch in der Gott weiß wie vielten Reprise von fast einschüchternder Präsenz und Gedankenschärfe. Zehn Stunden Filmmaterial mit Pomsels Originaltönen hat man gesehen. Aber Einspielungen zum Grauen von Auschwitz? „Ich finde Video schön“, sagt sie dem Krätzebefall des postmodernen Theaters ab, „aber nicht auf der Bühne. Nein, wir lösen das anders. Es gibt das sogenannt Authentische, das Frau Stefanek verwaltet, und dann gibt es poetische Querschläger aus der überschäumenden Heiterkeit dieser Zeit. Man muss Goebbels lassen, dass er ein genialer Propagandaminister war.“

Wird die Realität der Konzentrationslager gezeigt? „Wir werden den Teufel tun, das auf die Bühne zu bringen. Das kann kein Mensch, es empört mich sehr, wenn ich die vermessenen Versuche im Kino sehe.“

Schon hat sie den Gang des Gesprächs an sich gezogen. „Mich interessiert Brunhilde Pomsels Tätertum, wie schnell man in so etwas reinrutscht und dass wir kein Recht haben, uns darüber zu erheben, weil niemand garantieren kann, dass er sich damals anders verhalten hätte. Wir verbieten uns jede Art von Denunziation. Dadurch wird es in der Wahrnehmung noch unerträglicher.“

Die Oper wird zur Heimat

Wären zuletzt couragierte, visionäre Kulturpolitiker am Werk gewesen, würde Andrea Breth mit Sven-Eric Bechtolf ab September 2025 die Josefstadt leiten. Bereitschaft und Bemühungen gab es. „Ja, aber das ist ewig her. Die Zeit im Theater hat sich verändert, und die Bedürfnisse der Theatermacher ebenso.“

In welche Richtung denn? „Ich gehe nicht mehr viel ins Theater und bin etwas unkundig geworden. Welche Stücke gemacht werden und wie, kann ich jedenfalls nicht ganz nachvollziehen. Das ist aber normal, ich glaube, es geht jeder Generation so, dass sie aus irgendwas rauskippt. Das ist keine Klage, es ist eine Feststellung. Ganz abgesehen davon habe ich ja sehr viel zu tun.“

Wobei sich ihre Präferenzen deutlich Richtung Oper verlagert haben, künftig etwa nach Hamburg. Das Medium fasziniere sie, sagt sie, mit den mittlerweile auch darstellerisch herausragenden Singschauspielern. Und, wie zuletzt mit Faurés als Opernereignis des Jahres gefeierter „Penelope“ in München, mit der hingebungsvollen Dirigentin Susanna Mälkki. „Es ist wichtig, dass man keine Überflieger hat, die ein paar Tage vorher kommen und meinen, sie haben die Sache im Griff. Was ja auch mit der Überschätzung von Dirigenten zu tun hat, die ich immens finde. Auf den Plakaten des Musikvereins steht der Name des Dirigenten in Balkenlettern und ganz klein drunter Mozart. Das ist doch eine Schief­lage? Finden Sie nicht?“

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Prokofjews „Feuriger Engel“ (2022) im Theater an der Wien

 © Bernd Uhlig

In Berlin wird ihr schon aufführungshistorischer „Wozzeck“ nach 14 Jahren unter Thielemann wiederaufgenommen, in Aix-en-Provence feierte man sie für „Salome“ und „Butterfly“, in Frankfurt wird ihre „Turandot“ erwartet, in Hamburg steht Aufsehenversprechendes an. Nur das Theater, speziell das deutschsprachige, laboriert an zu vielen kraftlosen Epigonen der überlebensgroßen postdramatischen Gründergeneration um Frank Castorf, Elfriede Jelinek und Christoph Schlingensief.

Ja, bestätigt sie. Castorf habe sein Theater erfunden. „Er weiß genau, was er macht und warum er es macht. Jetzt hängen sich Leute dran, die meinen, damit den schnellen Erfolg zu haben.“ Früher einmal, fügt sie trotz aller Abneigung gegen das vergangenheitsbeschwipste Stereotyp hinzu, hätten junge Regisseure in der Provinz das Handwerk erlernt, unter dem Privileg des Scheiterns, ohne gleich von der Großpresse zermalmt zu werden. Heute müsse man, „auf Teufel komm raus“, auf sich aufmerksam machen, um ein Engagement zu finden. Theaterleiter und Feuilleton erwarteten unbedingte Originalität. Sie verweist auf die lang verflossene Gigantenzeit an der Berliner Schaubühne. Peter Stein, Klaus Michael Grüber, Luc Bondy, Robert Wilson, Andrea Breth: Lauter grundverschiedene Theatersprachen, in denen sich ein Ensemble vergleichsloser Könner einüben konnte. Heute hingegen gebe es an den Theatern keine Ensembles, auch keine hausspezifische Handschrift mehr.

Die großen Schauspieler als Verwandler? Seien nicht so sehr erwünscht, so wie auch handwerklich vieles nicht mehr gefragt sei. Die Sprechkultur, klagt sie, sei eine Katastrophe. Ein nächtlicher „Tatort“ zur Bekämpfung der Langeweile treibe einen zum Ohrenarzt, wegen akustischer Unverständlichkeit und der ständigen Störgeräusche, die über der Sprache lägen statt umgekehrt.“

Die Kunst duckt ab

Das Gespräch ist im Grundlegenden eingetroffen, Zeit für den erfahrenen Frager, bloß Stichworte zu proponieren und zuzuhören. Die Kunst laboriert am vorauseilenden Gehorsam vor der Zensur des Statthaften, Empörungsfreien. Sie beobachte das schon länger, bestätigt Andrea Breth. Schon 1987, als sie in Bochum Julien Greens antirassistisches Drama „Süden“ über den Ausbruch des Amerikanischen Bürgerkriegs inszenierte, standen schwarze Studenten vor der Tür und forderten, das Wort „Nigger“ aus dem Bühnenvokabular der Bösen zu nehmen. Anderenfalls könne man für die Premiere nicht garantieren. „Da habe ich sie eingeladen und gesagt, lasst uns doch mal reden darüber, ich verstehe das Problem nicht. Das ist doch historisch so gewesen! Das führt doch zu völliger Schieflage, wenn man das jetzt anders macht.“

Damals konnte ein Gespräch die Ereignisse noch zum vernünftigen Ende drehen. „Aber mittlerweile ist die Situation wahnsinnig geworden. Die Kultur der Debatte ist verloren gegangen.“

Als sie kürzlich am Berliner Ensemble inszenierte, echauffierten sich Beteiligte – „nicht aus dem Ensemble“ – über das Wort „Zigeuner“ in einem historischen Text. „Ich habe mich geweigert, das zu ändern, es gab einen Riesenaufstand. Man hat Angst vor der Wirkung, und es wird immer irrer, als hätten wir keine anderen Probleme. Die Welt lodert, und wir unterhalten uns über Mist.“

Am Berliner Ensemble arbeitet sie mittlerweile nicht mehr. „Ich glaube, dass meine Art, Theater zu machen, da nicht gefragt ist. Es stimmt auch. Es passt nicht.“

Kriegsbegeistert?

Zu Beginn des Ukraine-Kriegs hat sie eine von Gründern der Friedensbewegung, Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht, verabschiedete Petition unterschrieben: Man möge eilends Verhandlungen aufnehmen.

„Das hat mir nicht gerade das Heil eingebracht. Es ging eigentlich nur darum, dass man versucht, innezuhalten und zu reden, wie es zu einer solchen Situation überhaupt kommen konnte. Was denn Russland so reizt. Und das sind die NATO und die nicht eingehaltenen Versprechen des Westens. Aber es gibt kein historisches Bewusstsein mehr. Nur völlige Ignoranz, in der Politik und auf der Straße.“

In einem Theater habe sie deshalb Schwierigkeiten „von leitenden Leuten“ bekommen. „Ich musste eine Rechtfertigung abgeben. Wenn ich in einem Haus bin, habe ich doch bitte das Recht, eine Meinung zu haben, und muss nicht die Meinung eines Theaters vertreten. Das ist dieses Gutmenschendenken, diese Verblödung der Grünen.“

Österreich ist noch teurer als Deutschland. Wie soll jemand mit schlechtem Einkommen eine Familie ernähren?

Andrea Breth

Schon mitten im Krieg

Schrammen wir schon an einem Krieg vorbei? „Ich glaube, wir schrammen nicht vorbei, wir sind schon mittendrin. Drohnen können ja auch was abwerfen, wie man in der Ukraine sieht. Ich bin von Geburt an pessimistisch und sehe den Crash kommen. Nehmen Sie Österreich. Es ist noch teurer als Deutschland, und ich frage mich, wie jemand mit einem schlechten Einkommen eine Familie ernähren soll. Auf der anderen Seite steht die Unterstützung für Migranten. Ich habe nichts gegen Immigranten, um Gottes willen, und will nicht in die Ecke von Herrn Kickl kommen. Aber es ist die Ungerechtigkeit, die dazu führt, dass alles nach rechts kippt. Ist es zu viel verlangt, dass Zugewanderte zu arbeiten beginnen? Wenn eine fünfköpfige Familie aus der Ukraine oder sonst woher extrem mehr Geld bekommt als die arbeitende Bevölkerung, plus freie Wohnung, plus freie ärztliche Hilfe, dann führt das zu einem schlimmen Unmut, den ich aber nachvollziehen kann.“

Und wo ist die Linke geblieben außer im diffusen Antisemitismus? „Ich nehme die kaum zur Kenntnis. Diese Einstellungen kommen aus einem ignoranten Gutmenschendenken, ohne zu wissen, wohin wir steuern. Ich war jetzt länger in Deutschland, das ein kompletter Bananenstaat geworden ist.“ Schon eine deutsche Regionalbahn benutzen zu wollen, gleiche einem Überlebenstraining.

Etwas Sonnenlicht, ganz zum Ende des Gesprächs in das Dunkel fallend, wärmt da die Seele. Es gibt nämlich ein Leben zwischen den Proben, eine andere Sesshaftigkeit als die kurzfristige an den Premierenorten. Ihr Schauplatz ist in Griechenland, ein Häuschen zwischen Athen und Patras, 700 Meter über dem Meer. Klar, dass sich aus dieser Perspektive manches winzig ausnimmt.

© Bernd Uhlig

Steckbrief

Andrea Breth

Geboren am 31. Oktober 1952 in Rieden bei Füssen in Bayern, Studium der Literaturwissenschaft in Heidelberg, dort erste Regie. 1983 Durchbruch als Hausregisseurin in Freiburg, steiler Aufstieg nach Bochum und an die Burg, wo sie Hausregisseurin war. 1992 bis 1997 künstlerische Leiterin der Berliner Schaubühne. Heute vor allem im Opernbereich international gesucht.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 47/2025 erschienen.

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