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Ozempic, Wegovy & Co.: Abnehmspritzen und die neue Rolle der Medizin im Kampf gegen Kilos

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©Bild: iStockPhoto

Jedes dritte Kind und jeder zweite Erwachsene in Österreich ist übergewichtig oder adipös. Abnehmspritzen könnten allen Altersgruppen bei der Gewichtsreduktion helfen.

Täglich greift Laurenz *) zur Spritze. Der darin enthaltene Wirkstoff senkt seinen Blutzucker, verzögert die Entleerung seines Magens und dämpft sein Hungergefühl im Gehirn. Das ist auch notwendig, denn Essen ist das zentrale Thema, um das sich Laurenz’ Leben rund um die Uhr dreht. In allen Laden und Kästen seines Zimmers hortet der Teenager Chipstüten, Schokoriegel oder Fruchtgummis.

Mit 17 Jahren wiegt Laurenz 155 Kilogramm bei 186 Zentimeter Körpergröße. Er ist adipös, also krankhaft übergewichtig. Seit Jahren kämpfen er und seine Eltern gegen die überflüssigen Kilos an, waren bei Ernährungsberatern, in Selbsthilfegruppen und bei Trainingsprogrammen. Doch keine Diät war von Dauer. Ab einem gewissen Reduktionslevel an wollten die Kilos nicht weiter schmelzen. Im Gegenteil, Laurenz nahm wieder zu und hatte am Ende sogar mehr Gewicht als vorher.

Endstation Adipositas-Ambulanz

Für Kinder und Jugendliche wie Laurenz ist Daniel Weghuber oft die letzte Hoffnung. Der Leiter der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität in Salzburg ist einer der wenigen Spezialisten für krankhaftes Übergewicht bei Kindern. Er verschrieb dem Teenager die Abnehmspritze Saxenda, deren Wirkstoff Liraglutid in Europa für Kinder ab sechs Jahren zugelassen ist. Ähnlich wie die soeben in den Handel gekommene Spritze Wegovy (Wirkstoff Semaglutid) von Novo Nordisk zählt sie zu den GLP-1-Analoga, die im Gehirn das Hungergefühl reduzieren. In Kombination mit einer gemeinsam mit Ernährungsberatern durchgeführten Ernährungsumstellung und einem entsprechenden Bewegungsprogramm kann Laurenz sein Übergewicht wirksam und dauerhaft bekämpfen. Nach mehreren Monaten Therapie hat er fast 30 Kilogramm Gewicht verloren. Ein Wert, den er, so die Experten, ohne Spritze nicht erreicht hätte.

Studien zeigen, dass Patienten ohne Typ-2-Diabetes mit Semaglutid durchschnittlich 17 Prozent des Körpergewichts reduzieren können, bei Liraglutid liegt dieser Wert bei acht Prozent. Übergewichtige oder adipöse Kinder zwischen sechs und elf Jahren konnten ihren Body Mass Index (BMI) mit Liraglutid in einem Jahr um 5,8 Prozent senken, bei einer Vergleichsgruppe, die anstelle des Medikaments ein Placebo erhalten hat, stieg der BMI hingegen um 1,6 Prozent.

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 © Waltl Grafik

Neue Volkskrankheit Übergewicht

Übergewicht und Adipositas sind längst zu einer Volkskrankheit geworden, deren Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung und die Kosten für das Gesundheitssystem enorm sind. In Österreich ist bereits ein Sechstel der Bevölkerung ab 15 Jahren adipös, 34 Prozent haben Übergewicht. Ein Drittel der neunjährigen Buben ist krankhaft übergewichtig, ebenso wie ein Viertel der neunjährigen Mädchen. Ein Zustand, der sich leider nicht „auswächst“, wie vielfach angenommen. 80 Prozent der Kinder und Jugendlichen mit Übergewicht bleiben auch im Erwachsenenalter beim Gewicht im roten Bereich.

Adipositas gilt als „Gatekeeper“-Krankheit für mindestens 50 andere Krankheiten, etwa Schlaganfall, Herzinsuffizienz, Typ-2-Diabetes oder Erkrankungen des Bewegungsapparats. Trotzdem ist Adipositas in Österreich nicht als Krankheit anerkannt, die Behandlung wird dementsprechend nur in Ausnahmefällen von der Krankenkasse bezahlt. Ein Zustand, den Daniel Weghuber so nicht mehr länger hinnehmen will: „Es muss Adipositas auch in Österreich, ähnlich wie in Deutschland, als Krankheit anerkannt werden.“ Und er fordert die Etablierung von rund 40 pädiatrischen Zentren mit entsprechendem Behandlungsschwerpunkt Übergewicht. Die beiden derzeit vorhandenen in Salzburg und Wien reichen längst nicht mehr aus.

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 © Waltl Grafik

Wichtig, so Weghuber, wäre auch die Anerkennung von Adipositas als Krankheit in der breiten Bevölkerung. Die Stigmatisierung Betroffener sollte keinen Platz mehr haben. Weghuber: „Nur so kann die sehr komplexe und vielschichtige Erkrankung effektiv bekämpft und Folgeerkrankungen vermieden werden.“ Dieter Furthner, Leiter der Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde am Salzkammergut-Klinikum Vöcklabruck, ergänzt: „Wir erreichen nur ungefähr jede tausendste Familie. Die Leute trauen sich nicht, um Hilfe zu fragen. Daher müssen wir durch positive Verstärkung aus der Stigmatisierung herauskommen, damit therapeutische Hilfe überhaupt greifen kann.“

Die derzeit noch sehr hohe Drop-out-Rate bei herkömmlichen Behandlungen von adipösen und stark übergewichtigen Kindern und Jugendlichen sollen auch die neuen Abnehmspritzen – auch Wegovy befindet sich derzeit im Zulassungsprozess für Kinder ab sechs Jahren – senken. Dazu wäre aber, so die Mediziner, eine völlige Kostenübernahme durch die Krankenkassen wünschenswert.

Denn Abnehmspritzen sind eine Dauermedikation. Betroffene müssen den Wirkstoff über einen langen Zeitraum spritzen, um in Kombination mit einer Umstellung des Ernährungsverhaltens und des Lebensstils, Rückfälle zu vermeiden. Das kann ordentlich ins Geld gehen. So kostet die Maximaldosis von Wegovy in der Apotheke 333 Euro. Je nach Schwere der Erkrankung kommt man damit maximal ein Monat aus. Patientinnen und Patienten müssen auch durch Mediziner lebenslang begleitet werden. Weghuber: „Die Medikamente dürfen niemals isoliert betrachtet werden. Eine ärztlich angeleitete Begleitung im Team mit Ernährungsfachleuten ist unbedingt vonnöten.“

Früher Behandlungsbeginn ist wichtig

Experten wie Weghuber sind sich inzwischen einig, dass Adipositas und Übergewicht so früh wie möglich behandelt werden sollten, auch und gerade mit Abnehmspritzen. Denn Kinder mit extrem hohem BMI hätten damit die Chance einer dauerhaften Gewichtsreduktion. Es gibt nämlich einen „Point of no Return“ im Leben eines übergewichtigen oder adipösen Kindes, ab dem es sehr unwahrscheinlich ist, dass es sein Gewicht jemals auf normalem Weg wieder loswerden wird. Weghuber: „Dieser Punkt dürfte in der frühen Kindheit vor der Einschulung erreicht werden.“

Wunder darf man sich aber auch durch die Abnehmspritzen nicht erwarten. Rund 40 Prozent der Patienten jeder Altersgruppe leiden an Nebenwirkungen wie Übelkeit und Durchfall. In seltenen Fällen kann auch eine schmerzhafte Entzündung der Bauchspeicheldrüse auftreten. Daher ist es das erklärte Ziel der neuen Generation von Abnehmspritzen, etwa von Wegovy, diese Nebenwirkungen zu reduzieren. Jutta Rehse-Roth, Leiterin der medizinischen Abteilung für Herz-Kreislauf- und Stoffwechsel-Erkrankungen bei Novo Nordisk Österreich: „Das Besondere an Wegovy ist die Gewichtsabnahme mit Organschutz. Dazu gehört beispielsweise die beeindruckende Risikoreduktion für Herz-Kreislauf-Ereignisse wie Herzinfarkt oder Schlaganfall um 20 Prozent.“

*) Name von der Redaktion geändert

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 45/25 erschienen.

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