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Herz, Darm, Nieren und Co.: Organe, das leise Sprachrohr unseres Körpers

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©Gettyimages

Nach ihrem Bestseller „Darm mit Charme" widmet sich Medizinerin und Autorin Giulia Enders wieder dem menschlichen Körper, diesmal in seiner Ganzheit. In ihrem Buch „Organisch" erforscht sie, was Organe über Gefühle, Verletzlichkeit und Heilung erzählen. Ein scharfsinniges wie liebevolles Plädoyer für mehr Selbstmitgefühl und Dankbarkeit.

Giulia Enders ist wohl Deutschlands bekannteste Darmexpertin – und weit mehr als das. „Schon als Teenager wollte ich alles über ihn wissen, wachte im Studium oft erst richtig auf, wenn sein Name fiel“, erinnert sich die Medizinerin.

Mit gerade einmal 23 Jahren – mitten in ihrem Medizinstudium – verfasste sie ihr zugleich komisches wie lehrreiches Werk „Darm mit Charme“, das 2014 zum Überraschungsbestseller avancierte und das „Stiefkind“ unter den Organen zu ungeahnter Popularität führte. Danach jedoch wurde es stiller um die junge Ärztin.

Vom Darm zu Lunge, Haut und Hirn

Es folgten arbeitsintensive, lehrreiche Jahre der Spezialisierung. Die engagierte Medizinerin zog eine ehrliche Bilanz: „Hatte ich früher geglaubt, um eine gute Ärztin zu sein, müsste ich nur die ‚Darm-Forschung‘ kennen, konnte ich darüber bald nur noch lächeln.“

Im Klinikalltag behandelte sie Menschen mit den unterschiedlichsten Beschwerden und bemerkte, dass sich viele Symptome mit Medikamenten zwar lindern, die Ursachen aber selten vollständig verstehen ließen. „In mir wuchs eine nagende Unzufriedenheit. Ich beobachtete, dass es Menschen belastete, wenn sie nicht wie Maschinen funktionierten, nicht wie Puppen aussahen – und dass es ihnen peinlich war, einsam zu sein oder traurig zu werden.“

Die Haut gab mir eine neue Sicht auf Beziehungen – auf Verletzung, Heilung, Berührung und Grenzen. Und wer hätte gedacht, dass Muskeln eine ziemlich eigene Perspektive auf Kraft und Stärke liefern? Für die wichtigsten menschlichen Bedürfnisse gab es immer ein passendes Organ

Giulia Enders

Kluger Körper

Enders ist eine einfühlsame, aber eben auch bescheidene Ärztin, fern jeder Pose einer „Göttin in Weiß“. Trotz ihres Erfolgs in Medizin und auch in der Literaturwelt ist sie nahbar geblieben. Ein persönlicher Schicksalsschlag führte ihr ihre eigene Verletzlichkeit noch einmal eindrücklich vor Augen: „Als ich bereits ein paar Jahre arbeitete, starb plötzlich meine Großmutter. Sie war einer der wichtigsten Menschen für mich, und dennoch fühlte ich in der ersten Zeit nach ihrem Tod einfach nichts. Ich stand auf, ging zur Arbeit und abends ins Bett. Sogar meine Angst im Dunkeln war verschwunden.“

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 © Ullstein

Erst beim Lesen eines Textes über Wundheilung erkannte Enders Parallelen zwischen körperlicher und seelischer Regeneration. Die Kruste, unter der Enders ihre eigenen Gefühle verbarg, fiel endlich ab: „Auf einmal kamen die Tränen. Es war, als ob die Haut verstand, wie es ist, jemanden zu verlieren. Das Verletzt-Sein, das plötzliche Fehlen von Gewebe, die erste Schockreaktion. Was ich vorher nicht zugelassen hatte, durfte nun endlich passieren: Ich konnte trauern.“

Dieses Erlebnis stimmte die junge Ärztin nachdenklich und weckte gleichzeitig ihre Motivation, erneut ein Buch zu schreiben. Dieses Mal über den Körper und die oft stillen, aber tiefen Botschaften, die unser Organismus sendet, wenn das alltägliche Leben zu laut, zu viel, zu hektisch wird. „Von meinem Körper zu lernen und nicht nur über ihn, hat mich verändert. Ich schaue mit einem neuen Respekt auf das Menschliche. ‚Unproduktive Gefühle‘, körperliche Grenzen oder eine andere Definition von Macht wirken auf einmal nicht mehr unerhört oder schwach auf mich, sondern folgen einer Logik, die mir jetzt näher ist“, schreibt die junge Ärztin.

Wissen mit Wärme

In „Organisch“ dürfen endlich auch andere Organe und Systeme im Rampenlicht stehen: Enders widmet sich liebevoll Lunge, Haut, Gehirn, Muskeln und dem Immunsystem und gibt neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen einen persönlichen Touch. Entstanden ist ein Buch, das sehr viel Wissen äußerst liebevoll und aus einer persönlichen Perspektive vermittelt. Nach dem Lesen hat man das Gefühl, ein bisschen zärtlicher über den eigenen Körper und die vielen unsichtbaren Prozesse, die ständig in uns ablaufen und die wir meistens eher achtlos hinnehmen, zu denken.

Wer „Organisch“ liest, spürt, wie wohltuend Verständnis und Selbstmitgefühl wirken können, wenn sie sich in Worte verwandeln. Dass Enders erneut ein Bestseller gelungen ist, überrascht kaum. Das Gefühl nach dem Lesen bleibt: Dankbarkeit für den Körper und all die kleinen wie großen Prozesse, die uns täglich am Leben halten.

© Carsten Koall / dpa / picturedesk.com

Steckbrief

Giulia Enders

Giulia Enders ist Ärztin für Gastroenterologie und Autorin. Sie forschte für ihre Doktorarbeit am Institut für Mikrobiologie in Frankfurt am Main und landete 2012 mit ihrem Science-Slam-Vortrag „Darm mit Charme“ einen YouTube-Hit. Daraus entstand 2014 das gleichnamige Buch, das zum weltweiten Bestseller wurde und Enders zu einer der bekanntesten Stimmen der jungen Medizin machte. Seither verbindet Enders Forschung, ärztliche Praxis und ein leidenschaftliches Engagement für die verständliche Vermittlung medizinischer Themen.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 41/2025 erschienen.

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