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Mütter greifen nach langer Karenz öfter zur Zigarette

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Rauchen ist ein Versuch, mit Stress umzugehen
©APA, THEMENBILD, HERBERT NEUBAUER
Die passende Dauer von Mutterschutz und Babykarenz ist ein oft kontrovers diskutiertes gesellschaftspolitisches Thema. Eine Wiener Forschungsgruppe liefert nun im "Journal of Health Economics" einen neuen Baustein im Diskurs. Die großangelegte Studie mit Daten aus vielen Jahrzehnten aus 14 Ländern - Österreich inklusive - offenbart einen überraschenden Zusammenhang: Je länger die Dauer der Karenz, desto häufiger greifen Mütter in der Folge zur Zigarette.

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Wie lange "zu kurz" und was in Sachen Babykarenz "zu lange" ist, ist politisch hoch umstritten und wissenschaftlich entsprechend schwer zu fassen. Gemeinsam mit Gesundheitsökonominnen und -ökonomen hat Studienleiterin Sonja Spitzer von der Universität Wien nun Umfragedaten von mehr als 8.500 Müttern, die im Rahmen europaweiter Gesundheitserhebungen aufgezeichnet wurden, mit Statistiken verbunden, in denen sich Informationen zu einschlägigen gesetzlichen Regelungen in 14 europäischen Ländern zwischen den Jahren 1960 und 2010 fanden.

In diesen Informationen suchten die Forschenden sozusagen nach "Quasi-Experimenten". Diese entstehen in diesem Fall durch Veränderungen im System, wie Reformen von Karenzregelungen. Sie werden als eine Art "Schock" interpretiert, deren Auswirkungen statistisch abgeschätzt werden können. Dass längere Karenzzeiten - also Abwesenheiten vom Arbeitsmarkt - auch negative gesundheitliche Effekte haben können, hat im Jahr 2023 Caroline Chuard von der Universität St. Gallen (Schweiz) anhand von Daten zu politischen Maßnahmen in Bezug auf Karenzzeiten in den 1990er-Jahren in Österreich gezeigt. Ihre Untersuchung ergab zum Beispiel, dass eine um ein Jahr erhöhte Karenzdauer - von eineinhalb auf zweieinhalb Jahre - mit im Schnitt etwas schlechterer mentaler Gesundheit in weiterer Folge einherging.

In der Wissenschaft spricht man hier von "unerwünschten Konsequenzen" der für Mutter und Kind klarerweise notwendigen Auszeiten. Im deutschsprachigen Raum sind diese im internationalen Vergleich traditionell sehr lang, wie Spitzer im Gespräch mit der APA erklärte: Österreich liegt mit einem Schnitt von 27 Monaten im absoluten Vorderfeld, während es etwa in den USA in manchen Bereichen gar keine diesbezüglichen Regelungen gibt und Elternzeiten entsprechend kurz ausfallen.

Die Forscherinnen und Forscher hatten eigentlich erwartet, dass längere Karenzzeiten der Gesundheit der Mütter zuträglich sein müssten - etwa, weil man mehr Zeit direkt neben einem Kleinkind verbringt, neben dem man nicht rauchen sollte. Blickt man jedoch nur wenige Jahrzehnte zurück, gab es auch Werbekampagnen von Tabakfirmen, die Frauen die Zigarette als Entspannungstool vom Muttersein ans Herz gelegt haben. Tatsächlich weisen die Daten in die - zumindest aus heutiger Sicht - unerwartete Richtung.

Denn: Im Schnitt erhöht sich - im Vergleich über die Länder und die Zeit hinweg - die Wahrscheinlichkeit, später zu rauchen, mit jedem zusätzlichen Karenzmonat um 1,2 Prozentpunkte, die Anzahl täglich konsumierter Zigaretten um 0,2 und die Gesamtdauer des Rauchens um bis zu sieben Monate. Diese relativ großen Unterschiede zeigten sich in Vergleichsgruppen, die direkt von Veränderungen der Karenzregelungen betroffen waren bzw. auf die Reformen reagiert haben, so Spitzer.

Die Wissenschafterinnen und Wissenschafter berücksichtigen auch diverse mögliche zusätzliche Einflussfaktoren. Der Zusammenhang zwischen langer Karenzzeit und zunehmendem Rauchverhalten blieb aber bestehen. "Wir sind daher ziemlich überzeugt davon, dass das kausale Effekte sind", so Spitzer. Und: "Wir glauben, dass wir hier einen 'Stressmechanismus' finden."

Tendenziell größer fällt der Unterschied nämlich bei Frauen aus, die um die Geburt herum keine finanzielle Unterstützung vom Partner erhielten. "Wir schließen daraus, dass finanzieller Stress mit hineinspielt. Rauchen ist ja ein Versuch, mit Stress umzugehen - ein 'Coping-Mechanismus'."

Eine sozusagen "ideale Karenzzeit" für alle Gruppen und Länder lasse sich wissenschaftlich auch aus dieser Studie nicht ableiten, betonte die Demographin. Die durchschnittlich sehr langen Karenzzeiten in Österreich oder Deutschland weiter zu erhöhen, mache vermutlich keinen Sinn, während etwa in den USA jede zusätzliche Woche positive Gesundheitseffekte zeitigen könnte.

Das Team, dem auch Forschende von der Technischen Universität (TU) Wien und der Hertie School Berlin angehörten, wollte ursprünglich auch berechnen, wie sich Karenzzeiten bei Männern auswirken. Allerdings sei hier die Beteiligung einfach so niedrig gewesen, dass keine sinnvollen Berechnungen angestellt werden konnten - ein Befund, der sehr nachdenklich machen sollte, so Spitzer.

(S E R V I C E - Publikation im "Journal of Health Economics": https://doi.org/10.1016/j.jhealeco.2025.103004; Studie von Caroline Chuard: https://doi.org/10.1016/j.jhealeco.2023.102726)

++ THEMENBILD ++ Illustration zum Thema Rauchen / Rauchverbot / Rauchergesetz. Im Bild: Eine brennende Zigarette aufgenommen am Freitag, 27. Februar 2018, in Wien.

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