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Irmgard Griss und die Beständigkeit der Liebe

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11 min
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Irmgard Griss

©Christoph Wünscher

Wogrollys Couch steht diesmal im Loftcube des Hotel Daniel in Graz. Gesprächspartnerin von News-Sexualtherpeutin Monika Wogrolly ist Imgard Griss. Das Gespräch auf höchstem Niveau des Rooftop mit Tiefgang geht um Liebe, Gerechtigkeit und Tipps für eine erfüllte Partnerschaft.

Platon und Aristoteles haben Gerechtigkeit als Tugend definiert. Wir können Gerechtigkeit aber auch ganz anders definieren. Als etwas, das man vereinbart oder was bestimmten Moralvorstellungen entspricht. Das sagt Irmgard Griss zu ihrem beruflichen Lebensthema.

Was ist Gerechtigkeit?

Gerechtigkeit ist auf der einfachsten Stufe, Gleiches gleich zu behandeln. Das ist ganz schlicht. Wenn ich Gleiches ungleich behandle, dann ist das im Regelfall ungerecht. Was es dann aber in der konkreten Ausprägung ist, ist ganz schwierig zu beantworten. Gerade für mich als ehemalige Richterin ist es natürlich immer ein Ziel, eine gerechte Entscheidung zu finden. Allerdings heißt „gerecht“ ja, die Entscheidung an Maßstäben zu messen, die nicht so eindeutig sind. Da muss ich die Individualität der Person, um die es geht, berücksichtigen, die ich aber nur begrenzt erfassen kann. Es ist immer auch ein individuelles Urteil, beziehungsweise kann ein Urteil niemals kontextunabhängig überhaupt zustande kommen.

Wie haben Sie sich als Richterin gefühlt?

Es ist eine große Herausforderung und führt durchaus auch dazu, dass man sich manchmal wirklich dann kritisch hinterfragt: ‚Warum glaube ich, dass das jetzt so richtig ist?‘ Gerade im Familienrecht sind oft extrem schwierige Entscheidungen zu treffen: Wenn Sie zum Beispiel darüber entscheiden müssen, ob ein Kind in einer Pflegefamilie bleiben soll, in der es schon mehrere Jahre ist, oder ob es zurück zu den leiblichen Eltern soll. Ich denke immer wieder über solche Fälle nach, mit denen ich zu tun hatte. Und dann denke ich mir: Was ist wohl aus den Kindern geworden? Hat sich die Entscheidung als richtig herausgestellt?

Kann eine Bundespräsidentin oder ein Bundespräsident etwas an der Kultur des Umgangs in einem Land verändern?

Natürlich. Das hängt stark davon ab, wie Menschen in solchen Positionen auftreten, wie sie sprechen, was sie sagen, ob sie sich zu Wort melden. Das sind Personen, die dann für viele ein Vorbild sein können. Sie prägen das Klima in einem Land: Wie man miteinander umgeht, wie man miteinander spricht. Ich glaube, dass jede und jeder da auch eine Verantwortung hat, in der Kommunikation gewisse Standards einzuhalten. Und jede und jeden trifft eine Verantwortung. Jeder von uns kann auch in dem kleinen Bereich, in den sie oder er gestellt ist, wirksam sein. Die großen Probleme kann ich nicht lösen. Aber im Kleinen kann ich doch etwas tun, was vielleicht ein kleiner Schritt zum Besseren ist.

Das Entscheidende ist für eine Partnerschaft, dass man nicht verstummt

Irmgard Griss

Macht man als Richterin alles mit sich selbst aus?

Man macht viel mit sich selbst aus. Aber wenn man das Glück hat, und man lebt in einer Familie und hat einen Partner, eine Partnerin, mit dem oder der man sich austauschen kann, dann ist das schon eine große Hilfe. Und im Gericht selbst, das habe ich immer erlebt, dass ein Problem schon allein dadurch leichter lösbar wurde, indem ich es jemand anderem geschildert habe, einem Kollegen oder einer Kollegin. Und allein bei der Wiedergabe eines Sachverhalts habe ich schon oft erkannt, „Aha, da ist ein Weg, wie ich das lösen kann.“ Gerade für einen Richter oder für eine Richterin ist es ganz wichtig, dass es den Austausch, die Kommunikation mit anderen gibt.

Sie haben gerade die Bedeutung der Partnerschaft betont. Wie kann man die Liebe beständig halten, wenn man so eine verantwortungsvolle berufliche Rolle hat?

Indem der Beruf nicht völlig ausgeklammert wird aus der Partnerschaft, man sich mit seinem Partner oder seiner Partnerin auch darüber austauscht und es in der Partnerschaft eine Gesprächskultur gibt. Ganz wichtig ist es, dass man sich mit Themen auseinandersetzt, die auch für den anderen oder die andere interessant sind, sodass man gemeinsamen Gesprächsstoff hat. Also nicht nur darüber redet: Fahren die Kinder heuer auf Urlaub oder fahren sie nicht auf Urlaub. Über Alltäglichkeiten hinausgehend, wie, soll ich heute kochen oder morgen. Mein Mann und ich hören beide sehr gern Podcasts und dann sprechen wir darüber. Und wir lesen beide; ich habe seit Jahrzehnten Die Zeit abonniert.

Wogrollys Couch: Das Interview zum Ansehen

Diesmal auf Wogrollys Couch: Irmgard Griss über Gerechtigkeit und Liebe

Das Entscheidende ist für eine Partnerschaft, dass man nicht verstummt. Dass man nicht aufhört, miteinander zu sprechen. Ich fürchte, es kommt häufig so weit, dass man nebeneinander her lebt und dann gar keinen Anlass mehr sieht, dem anderen was mitzuteilen oder was zu fragen, das über die Banalitäten des Alltags hinausgeht. Ich glaube, dass es gemeinsame Interessen braucht. Und wenn man sie nicht von vornherein hat, dann muss man sie schaffen. Dann muss ich mich fragen, was interessiert ihn denn oder sie denn? Vielleicht beschäftige ich mich da mal damit, damit es wieder einen Austausch geben kann. Ich glaube, dass für das Gelingen einer Partnerschaft das Reden ganz entscheidend ist.

Ich habe da noch eine andere Frage: Was ist Liebe?

Liebe ist, jemand anderen vollständig anzunehmen, als Menschen voll zu akzeptieren und sich mit allen Fasern seines Seins zu wünschen, dass es ihm gut geht.

Das heißt echtes Interesse und nicht nur jemanden zum Objekt machen, solange er oder sie sich mit meinen Bedürfnissen matcht.

Genau. Mich wirklich sich ins Gegenüber hineinfühlen, nachdenken: Was ist denn für ihn schön, woran freut er sich oder sie sich? Ja und zu versuchen, dazu beizutragen dass er oder sie sich freut. Ich bin zum Beispiel sehr gerne im Wald – es ist mir immer ein Bedürfnis, das zu teilen, auch zu sagen, schau mal da am Weg, diese Blumen, wie die da wachsen, das ist ja wunderschön, so genügsam und so schön.

Damit man Glück empfinden kann, muss man zufrieden sein

Irmgard Griss

Sind Sie eigentlich gar nicht so rational, eher ein Gefühlsmensch?

Ich glaube nicht, dass ich so extrem rational bin; natürlich bin ich das bis zu einem gewissen Grad als Juristin, aber ich kann mich schon an kleinen Dingen spontan freuen. Wir haben zu Hause zum Beispiel ein Biotop und da sind Lotusblumen, und voriges Jahr zum ersten Mal war das ganze Biotop mit den Blättern der Lotusblumen bedeckt. Und wenn ich in der Früh da hinschaue und den Anblick auf mich wirken lasse, ist das immer eine große Freude.

Ein Glücksmoment. Was ist Ihnen noch wichtig?

Offen bleiben und sich freuen können. Die Bewegung in der Natur. Und das gute Einvernehmen, das wir zum Glück in unserer Familie haben, mit den Kindern, Schwiegerkindern, Enkelkindern; dass das erhalten bleibt, ist nichts Selbstverständliches.

Da gehört auch sehr viel Beziehungsarbeit dazu …

Auch viel Glück.

Kriegt man das Glück vom Himmel oder muss man sich das auch verdienen?

Es gibt da diesen Ausspruch vom Kreisky: Was macht der Dumme mit dem Glück? Glück ist nichts, was man einfach so kriegt. Das ist schon etwas, wofür man offen sein muss und das man auch empfinden können muss. Damit man Glück empfinden kann, muss man zufrieden sein. Wenn man immer nur etwas Neues will, immer mehr will, kann man nicht zufrieden sein. Man kann auch nicht glücklich sein, sondern das Glück kann man ja nur im Augenblick finden.

Was ist das größte Glück im Leben?

Das große Glück im Leben und was das Leben wirklich lebenswert macht, ist, einen Menschen zu finden, den man gern hat. Und es ist die Fähigkeit, auf andere Menschen zuzugehen. Die Fähigkeit, sich zu freuen: Am Zusammensein mit anderen Menschen, an der Natur. Und all das zu schätzen und nicht für selbstverständlich zu nehmen …

© Matt Observe/News

Steckbrief

Irmgard Griss

Irmgard Griss, 79 ist Juristin und vormals Politikerin. Von 2007 bis 2011 war sie Präsidentin des Obersten Gerichtshofs, die erste Frau in diesem Amt. 2016 trat sie als unabhängige Kandidatin bei der Bundespräsidentschaftswahl an. Heute engagiert sie sich für diverse Sozialprojekte.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 40/2025 erschienen.

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