Wie vier Pflegedirektorinnen den Beruf zukunftsfit machen wollen
Pflege – ein Wort, das viele verdrängen, solange es geht. Und doch betrifft es uns alle:
persönlich, wirtschaftlich, politisch. Im NEWS Innovationstalk „Pflege“ diskutierten vier Pflegedirektorinnen aus der Steiermark über die Zukunft ihrer Profession. Ein Gespräch über Würde, Wandel und Wege aus der Krise – wie lässt sich Pflege so gestalten, dass sie auch morgen noch menschlich, tragfähig und attraktiv bleibt?
Video Credits: Alex Rieck
Pflege ist systemrelevant – 24/7 bei den Menschen. Und sie ist selbstbewusster geworden“, sagt Eveline Brandstätter, Direktorin für Pflege bei der KAGes, dem größten steirischen Gesundheitsdienstleister. In ihrer Stimme schwingt keine Klage, sondern Klarheit. Pflege sei heute eine Profession mit Anspruch – nicht nur im fachlichen, sondern auch im gesellschaftlichen Sinne.
Entscheidend sei dabei der gesetzliche Wandel: Weg von Tätigkeitskatalogen, hin zu einem Kompetenzverständnis. „Alles, was man in der Ausbildung gelernt hat, soll auch in der Praxis Anwendung finden.“ Hochspezialisiertes Wundmanagement sollte nicht mehr auf eine ärztliche Anordnung warten müssen, um die passende Behandlung einzuleiten – es solle Verantwortung übernommen werden können. Dazu kämen Digitalisierung und KI, etwa im N!CA-Projekt, das Pflegekräfte von Dokumentationspflichten entlasten und so wieder näher an die Patientinnen und Patienten bringen soll. Brandstätters Forderung ist eine aktive Mitgestaltung der Pflege in der Krankenhausentwicklung: „Wir müssen von Anfang an eingebunden sein. Pflege kennt die Prozesse, weiß, wo Versorgungsketten reißen – und wie man sie schließen kann.“ Dass dafür politische und strukturelle Unterstützung nötig ist, verschweigt sie nicht. Aber sie plädiert auch für Mut in der eigenen Berufsgruppe: „Pflege kann vieles, wenn man sie lässt.“

Eveline Brandstätter, Direktorin für Pflege KAGes
© Alex RieckPflege beginnt mit Begegnung
Doch Fachlichkeit allein macht den Beruf nicht attraktiv. Sabine Herg, Pflegedirektorin der Barmherzigen Brüder Graz, spricht aus Erfahrung: „Pflege ist Berufung. Wer sie ergreift, muss mit dem Herzen dabei sein.“ Genau das fehle in der öffentlichen Wahrnehmung oft. Klischees und Überforderung verdecken, wie sinnstiftend dieser Beruf tatsächlich ist.
Sie hat mit ihrem Team neue Wege beschritten, um jungen Menschen realistische Einblicke zu geben. Besonders stolz ist sie auf ein Pilotprojekt namens „Lerninsel“, in dem Studierende im letzten Semester unter Supervision eine Station mitversorgen. „Ein simples Telefonat mit dem Stationstelefon war für viele eine Herausforderung“, erinnert sie sich. „Aber genau das brauchen wir – einen Ort, wo man die Komplexität des Pflegealltags wirklich erlebt.“
Auch in der Personalentwicklung geht sie neue Wege: mit strukturierten Feedbackprozessen, Talentförderung und Nähe zur Basis. „Ich bin jede Woche direkt auf den Stationen unterwegs. Führung beginnt nicht erst bei der Stationsleitung – sie beginnt im Top-Management.“
Herg fordert mehr Vernetzung in der Ausbildung. Die Praxis müsse sich stärker mit den Ausbildungsstätten abstimmen. „Theorie und Realität dürfen keine Gegensätze sein. Wer ausbildet, muss wissen, was draußen gebraucht wird.“ Dafür braucht es aus ihrer Sicht auch eine neue Haltung in der Führungskultur: „Wir führen nicht top-down, sondern auf Augenhöhe.“

Sabine Herg, Pflegedirektorin Barmherzige Brüder Graz
© Alex RieckTechnik trifft Zuwendung
Auch Renata Poczwardowski weiß, wie komplex Pflege heute ist – gerade in der Rehabilitation, wo Patientinnen und Patienten oft wochenlang begleitet werden. Für sie steht fest: „Technologie ist wichtig – aber Menschlichkeit das A und O.“
Seit 15 Jahren arbeitet die Klinik Maria Theresia am Radkersburger Hof mit digitaler Pflegedokumentation. Derzeit passieren erste Vorbereitungen für eine zukünftige KI-gestützte Dokumentation: „Das schafft Zeit – und diese Zeit gehört den Patientinnen und Patienten.“ Doch Technik könne nur unterstützen, nicht ersetzen. Sie erzählt von einer jungen Mutter, die nach einem Schlaganfall ihr Baby nicht mehr halten kann – eine körperliche wie auch psychische Herausforderung. „Da braucht es eben nicht nur Pflege, sondern Empathie, Anleitung, Motivation – und manchmal auch seelische Stärkung.“
Um diese Vielschichtigkeit abzusichern, hat sie eine Leadership Academy ins Leben gerufen. Dort werden Führungskräfte und ihre Stellvertretungen gezielt ausgebildet – nicht nur in Organisation, sondern auch in zwischenmenschlicher Beziehungskompetenz.
„Führung heißt für mich: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter empowern, damit sie Patienten und Patientinnen individuell und optimal begleiteten können.“ Für Poczwardowski ist klar, dass die Pflege angesichts des Fachkräftemangels ein neues Selbstbewusstsein braucht. „Pflege ist kein Ersatzberuf. Pflege ist Zukunftsberuf.“ Diese Haltung gelte es zu stärken – durch bessere Bedingungen, aber auch durch klare Kommunikation des Berufsbilds nach außen.

Renata Poczwardowski, Pflegedienstleitung Klinik Maria Theresia, Radkersburger Hof
© Alex RieckBelastung verteilen, nicht ignorieren
Für Christine Kienreich von den Elisabethinen Graz ist eines klar: „Pflege ist ein Beruf, in dem man täglich gefordert wird – und das ist okay. Aber Überforderung ist keine Option.“ Besonders in der Pandemie sei spürbar geworden, wie wichtig Teamgeist sei. „Man schafft es, wenn das Team funktioniert – auf Augenhöhe, im Miteinander.“ Doch auch das beste Team brauche strukturelle Unterstützung. Kienreich plädiert für eine breitere Verteilung von Aufgaben im Krankenhaus. „Die professionelle Pflege kann nicht für alles zuständig sein.“ Unterstützungsberufe wie Serviceassistenten oder Hol- und Bringdienste müssten systematisch etabliert werden. „Nur so können sich Pflegende auf das konzentrieren, was sie am besten können: Menschen pflegen.“
Sie betont zudem die Notwendigkeit von flexiblen Arbeitszeitmodellen – gerade auch für erfahrene Pflegepersonen, die Familie und Beruf vereinbaren müssen. „Es ist ein Irrtum zu glauben, man verliere an Kompetenz, wenn man Teilzeit arbeitet. Im Gegenteil: Wir brauchen diese Erfahrung im System.“

Christine Kienreich, Pflegedirektorin Elisabethinen Graz
© Alex RieckZukunft sichern
Was sich alle vier wünschen, ist mehr Übergang – in den Karrierepfaden wie in der Versorgung. Eveline Brandstätter spricht mit Begeisterung über ein Pilotprojekt in Mürzzuschlag: Übergangspflege zwischen Krankenhaus und Heim. „80 Prozent der Patientinnen und Patienten gehen danach wieder nach Hause oder in eine weiterführende Reha.“ Eine Zahl, die zeigt: Mit dem richtigen Setting lässt sich Selbstständigkeit erhalten – und lassen sich Systemkosten reduzieren.
Doch solche Modelle sind aktuell noch die Ausnahme. Kienreich betont: „Das Entlassungsmanagement stockt – nicht nur bei uns.“ Wenn ältere Patientinnen und Patienten akut ein Bett benötigen, aber nicht entlassen werden können, blockiert das das gesamte System.
„Wir brauchen mehr solche Brücken“, sagt auch Poczwardowski. Von der Akutpflege über die Übergangspflege zur Reha – jede Station müsse ermöglichen, dass Menschen wieder zurück in ihr Leben finden. Denn das sei letztlich der Kern des Pflegeberufs: nicht nur zu helfen, sondern Wege zu bereiten. Oder wie Sabine Herg es ausdrückt: „Pflege ist ein Beruf mit Sinn. Und genau das sollten wir viel lauter sagen.“