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2nd Opinion: Auf Leben und Tod

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Michael Fleischhacker

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Das öffentliche Sterben des Lehrers und Publizisten Nikolaus Glattauer hat für Diskussionen gesorgt. Dafür muss man ihm dankbar sein, denn wir Österreicher neigen dazu, wichtige Themen wie den Beginn und das Ende des Lebens zu beschweigen.

Die Antwort auf die Frage, ob die Selbsttötung der finale Ausdruck menschlicher Freiheit und Selbstbestimmung ist oder ein Verbrechen, wie es der Begriff „Selbstmord“ suggeriert, könnte man in diesem Land auf einem Katholizitätsbarometer eintragen: je stärker gegen die Selbsttötung, umso katholischer. Kulturell-religiös-rituell konnotiert war das Thema Selbsttötung zu jeder Zeit und in jeder Region der Welt, aber der gnadenlose Ausschluss derer, die ihrem Leben selbst ein Ende bereitet haben, aus der Gemeinschaft – und zwar für immer, denn Selbstmörder mussten bis vor gar nicht allzu langer Zeit außerhalb des Friedhofs begraben werden – ist eine katholische Spezialität.

Diese radikal negative Einstellung gegenüber der Selbsttötung ist aber immerhin doktrinär schlüssig, während es wir anderen mit einer ambivalenten Sache zu tun haben. Sowohl die Einstellung der katholischen Kirche zum Schwangerschaftsabbruch als auch jene zur sogenannten „verbrauchenden Embryonenforschung“ folgen derselben Logik wie die Ablehnung der Selbsttötung: Gott allein ist der Herr des Lebens, er hat es gegeben, er nimmt es, der Mensch ist nicht befugt, in dieses Geschehen einzugreifen. Der Mensch aber soll nicht „Gott spielen“, heißt es vonseiten der katholischen Kirche in sehr vielen bioethischen Fragestellungen.

Von Heuchelei nicht weit entfernt

Naturgemäß gerät jemand, der über so starke weltanschauliche Überzeugungen verfügt, regelmäßig in Konflikt mit der ihn umgebenden Lebensrealität (besonders starke Weltanschauungen haben ja immer Menschen, die die Welt besonders wenig anschauen). Besonders deutlich wird das in der Debatte über die verbrauchende Embryonenforschung: Es ist nicht leicht, ein überzeugendes Argument dafür zu finden, dass es ethisch vertretbarer sei, einen kyrokonservierten, lebensfähigen Embryo, der bei einem Versuch der künstlichen Befruchtung übrigbleibt, über den Krankenhausmüll zu entsorgen, als ihn in der Stammzellenforschung zu verwenden.

Aber auch in der Frage des Schwangerschaftsabbruchs und der Selbsttötung ist es von einer derart rigiden Position in einer ethischen Frage zur Heuchelei nicht weit: Wenn man das Leben vor dem Menschen schützen muss, welchen Stellenwert hat dann der Mensch?

Ja, Niki Glattauer hat sich sein Lebtag wichtig gemacht, denn das ist es, was wir Publizisten tun

Mir scheint also, dass die öffentliche Debatte über den assistierten Suizid des Lehrers und Publizisten Niki Glattauer, der vor genau einer Woche stattgefunden hat, eine zutiefst katholische Debatte ist. Auch wenn der assistierte Suizid erlaubt und geregelt ist, befiehlt der Rest des gesellschaftlich latenten Katholizismus dem österreichischen Meinungsorgan: Das tut man nicht, und wenn man es schon tut, dann spricht man wenigstens nicht darüber. Dass Glattauer zwei Journalisten, die ihm nahestanden, ein Interview gegeben hat, das einen Tag vor seinem Tod erschienen ist, hat auch in meinem Umfeld erstaunlich viele Menschen empört, und ich weiß mir außer der katholischen Tiefenstruktur des österreichischen Moralgewebes keine Erklärung.

Er wurde seiner Rolle gerecht

Jemand hat mir gesagt, er finde es schlimm, dass jemand, der sich sein Lebtag wichtig gemacht hat, sich auch noch beim Sterben wichtig habe machen müssen. Das hat wiederum mich empört: Ja, Niki Glattauer hat sich sein Lebtag wichtig gemacht, denn das ist es, was wir Publizisten tun, wir machen uns wichtig, indem wir öffentlich über uns Wichtiges sprechen, ohne dass uns dafür irgendjemand in irgendeiner Form autorisiert hätte.

Und nach seiner Entscheidung, angesichts einer unmittelbar zum Tod führenden Krankheit, den Zeitpunkt und die Umstände seines Todes selbst zu bestimmen, hat er sich buchstäblich auch beim Sterben noch wichtig gemacht, indem er seiner Rolle als Publizist gerecht wurde und dieses vielleicht unangenehme, aber jedenfalls unvermeidliche Thema in der Öffentlichkeit erörterte.

Respekt und Dankbarkeit

Schwierig könnte für Menschen in dieser Situation die Festlegung auf ein bestimmtes Datum sein. Das erinnerte mich an einen meiner Kaurismäki-Lieblingsfilme („I Hired a Contract Killer“), in dem der Protagonist nach mehreren erfolglosen Suizidversuchen einen Auftragskiller engagiert. Als er dann doch ein Glück findet und den Auftrag rückgängig machen will, lehnt der Killer das aus Gründen der Berufsehre ab, sodass unser Protagonist für den Rest des Films auf der Flucht vor seinem Mörder ist.

Auch wenn jemand bei der prinzipiellen Entscheidung bleibt, möchte jemand vielleicht doch die Flexibilität für sich und seine Umgebung haben, dem Leben ein paar schöne Momente hinzuzufügen. Aber auch das ist allein seine Entscheidung. Und natürlich bleibt die Frage, ob Menschen, die diese Entscheidung eigentlich nicht treffen wollen, durch ein solches öffentliches Beispiel gegenüber ihrem eigenen Umfeld unter Druck kommen, den Kindern und Enkeln oder dem Partner doch nicht länger als nötig zur Last zu fallen. Ich fürchte nur, dass solche Drucksituationen schon immer zu Lösungen geführt haben, über die bloß niemand gesprochen hat im katholischen Österreich.

Dass dieses Schweigen nun gerade aufgebrochen wird, verdanken wir Niki Glattauer und seiner Bereitschaft, sich im intimsten Augenblick der Öffentlichkeit als Beispielsfall zur Verfügung zu stellen. Das verdient Respekt und Dankbarkeit.

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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 37/2025 erschienen.

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