Sie betrifft weit mehr Menschen als bisher angenommen, und bleibt dennoch häufig unerkannt: Die Altersdepression gilt immer noch als Tabuthema. Zudem fehlt es häufig an Aufklärung und auch an angemessener Betreuung. Psychologen schlagen nun Alarm: ein Blick auf Ursachen, Warnsignale und Wege aus der Krise, die nicht nur eine persönliche ist.
Das Bild vom Altern ist in unserer Gesellschaft ein ambivalentes: Einerseits dominieren Vorstellungen von mehr Gelassenheit und wohlverdientem Ruhestand, auf der anderen Seite ist der Übergang in diesen neuen Lebensabschnitt für viele Menschen herausfordernd und geprägt von Einsamkeit, Rückzug, körperlichen Veränderungen, Verlustängsten und dem Gefühl, nicht mehr relevant zu sein.
Oftmals verbirgt sich hinter solchen Gefühlen aber nicht bloß „das Alter“, sondern eine ausgewachsene Altersdepression, die im schlimmsten Fall Suizid zur Folge haben kann, wie der Fall von Trigema-Chef Wolfgang Grupp verdeutlichte. Der ehemalige deutsche Unternehmer hatte im Juli in einem Statement einen Suizidversuch öffentlich gemacht und damit die Debatte über Altersdepression angeregt. Der Fall verdeutlicht, wie wichtig Aufklärung, Entstigmatisierung, Prävention und frühzeitige Therapie sind.
Unterschätzt und übersehen
Mit der steigenden Lebenserwartung – 2023 lag sie in Österreich bei etwas über 84 Jahren für Frauen und knapp 79 Jahren für Männer – rücken psychische Erkrankungen im Alter immer stärker in den Fokus. Rund ein Viertel der über 65-Jährigen ist davon betroffen, Depressionen machen hierbei etwa ein Fünftel aus. Frauen erkranken häufiger an Depressionen, während Männer ab 70 ein deutlich erhöhtes Suizidrisiko aufweisen, das sogar mit zunehmendem Alter weiter ansteigt. Laut dem aktuellen DAK-Psychoreport steigen auch psychisch bedingte Fehltage gerade bei über 60-Jährigen deutlich an, wenn auch Depressionen insgesamt häufiger bei eher jüngeren Menschen auftreten, so die Deutsche Depressionshilfe. Auffällig ist, dass gerade leichtere Formen von Depressionen häufiger bei älteren Menschen auftreten als bei jüngeren. Aber auch diese können Gemütszustand und Lebensqualität massiv beeinflussen.
Über den DAK-Psychoreport
Die „Deutsche Angestellten Krankenkasse“ analysiert in ihrem jährlichen Report die Auswirkungen von Depressionen auf die Betroffenen sowie die Produktivität von Unternehmen.
„Altersdepression – unterschätzt und sehr gut behandelbar“, sagt die Wiener Psychologin Laura Stoiber. Immer wieder beobachtet sie in ihrer Praxis, dass depressive Episoden im Alter übersehen werden. Denn im Gegensatz zu Depression bei jüngeren Menschen sind die Symptome anders, nämlich vorrangig körperlich.
„Anders als bei jüngeren Menschen stehen nicht immer Traurigkeit oder Schuldgefühle im Vordergrund. Häufig berichten ältere Menschen über Schlafstörungen, Appetitverlust, körperliche Beschwerden oder Konzentrationsprobleme. Diese atypische Symptomatik macht die Erkrankung leicht unsichtbar. Oft wird sie fälschlicherweise als ‚normales Altern‘ interpretiert“, so die Psychologin.
Ursachen und Risikofaktoren
Die Ursachen für Altersdepression sind komplex: „Chronische Krankheiten, Schmerzen, neurologische Veränderungen und bestimmte Medikamente erhöhen das Risiko. Frühere depressive Episoden oder eine familiäre Vorbelastung wirken ebenfalls prädisponierend. Besonders entscheidend sind soziale Faktoren: Einsamkeit, Isolation oder der Verlust des Partners zählen zu den stärksten Prädiktoren für Altersdepressionen“, so Stoiber.
Aber auch biologische Vorgänge im Körper können bei der Entstehung einer Depression eine große Rolle spielen. „Bei Frauen ab 85 können hormonelle Veränderungen im Lebenslauf die Anfälligkeit erhöhen. Zudem wirken neurologische Erkrankungen wie Parkinson oder beginnende Demenz sowie vaskuläre Veränderungen im Gehirn häufig als Auslöser oder Verstärker.“
Diese atypische Symptomatik macht die Erkrankung leicht unsichtbar. Oft wird sie fälschlicherweise als ‚normales Altern‘ interpretiert

Ein starkes, soziales Netz
Entscheidend, sowohl für die Diagnose als auch die Behandlung, ist das soziale Umfeld der Betroffenen: „Das Umfeld hat eine Schlüsselrolle“, weiß Stoiber. „Angehörige, Freunde oder Nachbarn sollten auf Warnsignale achten: Rückzug, Vernachlässigung alltäglicher Aufgaben, Interessenverlust, Appetit- und Schlafstörungen oder Hoffnungslosigkeit. Diese Anzeichen sollten ernst genommen werden.“
Die Psychologin plädiert dafür, medizinisches Personal stärker zu sensibilisieren. Hausärzte, die für viele ältere Menschen erste Ansprechpartner sind, sollten besser mit psychologischen Angeboten vernetzt werden und Mythen rund um Altersdepression aktiv entgegenwirken: „Viele verbreitete Mythen, etwa dass ältere Menschen schlechter auf Medikamente oder Therapie ansprechen, halten sich hartnäckig. In der Praxis zeigt sich jedoch das Gegenteil: Mit individuell angepasster Behandlung sprechen auch ältere Menschen sehr gut auf Therapie an.“
Therapie und Prävention
Wird eine Altersdepression rechtzeitig erkannt, kann sie erfolgreich behandelt werden. Stoiber: „Psychotherapien wie kognitive Verhaltenstherapie, klinisch-psychologische Behandlung, Problemlösungstherapie oder Interpersonelle Therapie haben sich auch bei älteren Patientinnen und Patienten bewährt. Antidepressiva sind wirksam, wenn sie individuell angepasst und sorgfältig überwacht werden.“
Jedoch ist bei der Therapie der Zeitpunkt entscheidend: Der Psychologin zufolge ist es wichtig, frühzeitig mit der Behandlung zu beginnen, „um Chronifizierung und Funktionsverlust zu verhindern“. reich beitragen, damit eine AltersdeUnd auch Prävention kann erfolgpression gar nicht erst entsteht: „Bewegung, soziale Kontakte, geistige Aktivitäten und Hobbys stärken die psychische Widerstandskraft.“
368 Fehltage …
… je 100 Versicherte hatten bei der DAK-Versicherte Menschen über 60 Jahren 2024. Damit handelt es sich um das doppelte Niveau im Vergleich zu den 45- bis 49-Jährigen.
75. Lebensjahr
Ab diesem Alter ist das Suizidrisiko bei Männern in Österreich doppelt so hoch, ab dem 85. Lebensjahr sogar dreimal so hoch, im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung.
Ein gesellschaftliches Problem
Altersdepression ist nicht nur ein individuelles, sondern vor allem ein gesamtgesellschaftliches Problem. Stoiber mahnt: „Altersdepression ist kein unvermeidliches Schicksal, sondern eine behandelbare Erkrankung. Früherkennung, Therapie und Prävention sind entscheidend, um Lebensqualität und Selbstständigkeit im Alter zu sichern.“
Vor allem mit Blick auf den demografischen Wandel wird deutlich: Die Zahl der älteren Menschen wird weiterhin kontinuierlich steigen und damit auch die Notwendigkeit, psychische Gesundheit im Alter stärker in den Fokus zu rücken.
Dazu ist es aber notwendig, Mythen rund um den alternden Körper zu entlarven und mit hartnäckigen Tabus zu brechen – vor allem in einer leistungsorientierten, westlichen Gesellschaft, die psychische Erkrankungen häufig mit Schwäche assoziiert. Stoiber: „Kulturelle Unterschiede und Tabus erschweren oft den Zugang zu Hilfe. In vielen Gesellschaften gilt Depression im Alter noch immer als ‚normale Alterserscheinung‘ oder Zeichen von Schwäche. Aufklärung und Entstigmatisierung sind deshalb zentral.“
Damit das Alter nicht zu einer Phase des Rückzugs, sondern der inneren Ruhe und neuer Lebensqualität wird.
In Österreich gibt es zahlreiche Anlaufstellen für Betroffene und Angehörige, wie zum Beispiel der Sozialpsychiatrische Notdienst (Telefonisch erreichbar unter 01 31 330), der Österreichische Bundesverband für Psychotherapie (psychotherapie.at) oder das Psychologische Beratungsservice des Berufsverbands Österreichischer PsychologInnen (helpline@psychologiehilft.at).
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 37/2025 erschienen.