Zwei Österreicherinnen, eine Mission: Dubais Kunstszene auf Weltformat bringen. Die eine leitet eine der einflussreichsten Galerien der Stadt, die andere demnächst die wichtigste Kunstmesse der Region. Beide bewegen sich in einer Metropole, die von Millionären, jungen Sammlern und wachsender Konkurrenz geprägt ist – und die in der Kunst ganz vorne mitspielen will.
Nichts ist mehr, wie es einmal war. Vor über 20 Jahren ging in Dubai kaum jemand zu Fuß. Der Burj Khalifa – heute mit 828 Metern das höchste Gebäude der Welt – war nicht mehr als eine ferne Fata Morgana. Dann eröffnete 1999 das Burj al Arab, ein Luxushotel in Form eines Segels. Es wurde zum ersten Wahrzeichen der Stadt und zum Startschuss für ein Dubai, das fortan nur noch in Superlativen dachte – und baute.
Heute gleitet man in der fahrerlosen Metro vorbei an einer Skyline aus Glas und Stahl. Dazwischen noch immer viele Baukräne. LED-Tafeln, groß wie Hausfassaden, preisen Luxusappartements und Luxusautos an. Links echte Palmen, rechts künstliche – bestückt mit WiFi-Antennen. Wer den zehnspurigen Highway in Downtown verlässt, hat die Hochhäuser bald hinter sich. Es geht vorbei an Restaurants, dicht an dicht wie Perlen auf einer Kette: „Finest German Kitchen“ hier, Fine Dining dort. Dazwischen eine Moschee. Schulen. Ärztezentren. 40 Grad im April sind keine Seltenheit. Am Horizont zieht ein Sandsturm auf. Auch das gehört zum Alltag in der Wüstenmetropole.
Kunst statt Karosserien
Großzügige Villen ducken sich hinter meterhohen Mauern, daneben karge Wohnsiedlungen für die anderen. Nach einigen Irrfahrten im Gassengewirr des Industrieviertels Al Quoz findet der Taxifahrer schließlich die Alserkal Avenue. Einst prägten Lagerhallen, Autowerkstätten und der Lärm einer Marmorproduktion das Bild. Dann kam Abdelmonem Bin Eisa Alserkal – Kulturmäzen und Mitglied einer der ältesten nicht-königlichen Familien der Region – und investierte 13,6 Millionen Dollar. Das Ergebnis: das bedeutendste Kunst- und Kulturareal der Emirate.
Heute ist die Alserkal Avenue das kreative Zentrum von Dubai. In rund 40 umgebauten Lagerhallen haben sich Galerien, Ateliers, Designund Architekturbüros eingemietet. Dazwischen Cafés, italienische Maßschuhmacher, hippe Sneaker-Stores und ein Arthouse-Kino. Alles auf mehr als 46.000 Quadratmetern. Mittendrin das architektonische Herzstück: ein multifunktionaler Veranstaltungsraum, geformt wie ein großer Würfel. Entworfen vom Star-Architekten Rem Koolhaas.
Von der Nische zum Hotspot
Und doch ist die 2008 gegründete Alserkal Avenue kein durchdesigntes Kunstquartier. Auch Porträts der Herrscherfamilie, in der Stadt sonst allgegenwärtig, sucht man hier vergebens. Stattdessen: Offenheit. Vielfalt. Multikulti. Die Künstlerinnen und Künstler sind jung und international. Der 1981 in Dubai geborene Rami Farook verkörpert diesen Wandel. Vor etwa 15 Jahren gehörte er zu den ersten, die sich im Kunstviertel niederließen. Heute zählt er zu den bekanntesten arabischen Künstlern. Seine Werke kosten bis zu 25.000 Dollar.
Früher war es schwierig, in Dubai Fuß zu fassen. Mittlerweile ist es schwierig, ein Studio zu finden. Es gibt einfach nicht genug

Die Libanesin Chafa Ghaddar lebt seit sieben Jahren in der Stadt. Die 39-Jährige studierte an der Libanesischen Akademie der Schönen Künste und lernte in Florenz Freskomalerei. Seit einem Jahr teilt sie sich mit vier Künstlerinnen aus dem Libanon, Saudi-Arabien, Puerto Rico und Syrien ein Atelier in einem ehemaligen Fotostudio. Provisorisch abgetrennte Nischen. Improvisierter Charme. Auf dem Tisch: selbstgemachte Nussschokolade, von der Mutter aus dem Libanon geschickt.
„Früher war es schwierig, in Dubai Fuß zu fassen“, erzählt Ghaddar. „Heute wächst die Community.“ Visabestimmungen seien mittlerweile weniger streng. Sogenannte „Goldene Visa“ speziell für Künstler und Kreative ermöglichen langfristige Aufenthaltsgenehmigungen für fünf oder zehn Jahre – ohne lokalen Sponsor. Das zeigt Wirkung. „Mittlerweile ist es schwierig, ein Studio zu finden. Es gibt einfach nicht genug.“


Kunstpionierin. Die Alserkal Avenue gilt heute als wichtigstes Kunst- und Kulturareal der Emirate. Die Wienerin Nadine Knotzer war 2008 eine der Pionierinnen und eröffnete hier ihre Galerie.
© Kathrin GulneritsNur ein paar Hundert Meter weiter liegt die Galerie Carbon 12 – die erste, die 2008 im heute gehypten Künstlerviertel eröffnete. „Als wir hergezogen sind, gab es nicht einmal Toiletten. Viele wussten nicht, was eine Galerie ist. Manche haben bei uns ihr allererstes Kunstwerk gekauft“, erzählt Nadine Knotzer bei einem Interview im Oktober 2023. Die Wienerin gründete Carbon 12 gemeinsam mit ihrem Partner Kourosh Nouri. Damals gab es in ganz Dubai nur zwei Galerien – beide auf orientalische Kunst spezialisiert. Knotzer war gerade einmal 20, als sie beschloss, zeitgenössische westliche Kunst in die Emirate zu bringen.


Schauplatz der Art Dubai ist der Luxushotelkomplex Madinat Jumeirah am legendären Jumeirah Beach.
© Kathrin GulneritsEineinhalb Jahre später, am Rande der Kunstmesse Art Dubai, sagt die heute 37-Jährige: „Wir bleiben hier.“ Ihr Ziel ist unverändert: gute Kunst zeigen, Sammlungen aufbauen. Knotzer setzt bewusst auf junge europäische Künstler wie Bernhard Buhmann oder Philip Mueller. „Wir wollen eine Plattform schaffen, auf der Pässe keine Rolle spielen“, sagt sie. Ihre Mutter stammt aus Wien, ihr Vater aus Teheran. „In Dubai leben Menschen aus über 200 Nationen – warum sollten wir uns auf Herkünfte konzentrieren?“ Ihre Sammler kommen häufig aus dem Nahen Osten, haben jedoch in London gelebt, in Paris studiert – und sind nun in die Region zurückgekehrt. „Hier trifft man auf viele junge Menschen, die eine Sammlung aufbauen wollen.“
Und die Gelegenheiten dafür werden immer mehr. Seit 2007 findet jährlich die Art Dubai statt. Sie gilt als wichtigstes Forum für zeitgenössische Kunst in der Region – mit Fokus auf Künstlerinnen, Künstler und Galerien aus dem Nahen Osten, Nordafrika und Südasien. Heuer präsentierten sich Mitte April rund 120 Galerien, darunter 30 Neuzugänge. „Die Art Dubai hat ihr Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft“, ist Knotzer überzeugt.
Eine Österreicherin an der Spitze
Dafür, dass die Erfolgskurve weiter nach oben zeigt, sorgt seit Anfang des Jahres ebenfalls eine Österreicherin. Mit Dunja Gottweis als neuer Direktorin und Alexie Glass-Kantor als kuratorischer Leiterin holte sich die Messe zwei prominente Expertinnen der Art Basel an Bord. Ein Coup, der Dubai endgültig auf die globale Landkarte setzen soll. Die gebürtige Wienerin Gottweis zog im März nach Dubai. Sie bringt mehr als ein Jahrzehnt Erfahrung von der Art Basel mit – zuletzt als Global Head of Gallery Relations und Mitglied des Management Boards. Sechs Jahre hat sie in Basel gearbeitet, weitere sechs in New York. Es war Zeit für etwas Neues.
Ich hatte immer ein tiefes Zugehörigkeitsgefühl für die Region

Die ersten Gespräche führte sie im Sommer 2024, im Oktober reiste sie erstmals nach Dubai. „Ab Tag zwei hat es sich richtig gut angefühlt“, sagt Gottweis, die im langen, traditionellen Kaftan zum Interview ins gehypte Cipriani Dolci im Financial Centre kommt. Serviert wird die Spezialität des Hauses: cremiges Pistazieneis. Gottweis rührt es nicht an – zu viele Fragen müssen beantwortet werden. „Meine Eltern sind viel gereist. Neue Kulturen zu erleben, war Teil meiner Kindheit. Mein Name Dunja ist übrigens arabisch, das heißt ‚Welt‘. Meine Eltern haben die Schreibweise angepasst, mit j statt y – ich hatte immer ein tiefes Zugehörigkeitsgefühl für die Region“, erzählt sie. Ihr Alter verrät sie nicht.
Kunst als Chefsache
Die Art Dubai, die sie heuer zum ersten Mal besucht hat, findet sie erfrischend. „Es ist die Messe der Region und das wird sich auch nicht ändern. Wir werden sie gemeinsam weiterentwickeln.“ Was sie nicht kann: die Anzahl der Galerien vergrößern. Platzgründe. Schauplatz der Messe ist seit Jahren das Madinat Jumeirah, ein Hotelkomplex wie aus einem Märchen aus Tausendundeiner Nacht direkt am Jumeirah Beach gelegen. Kronleuchter in den Hallen, künstliche Wasserkanäle vor den Terrassen. Und immer wieder der Blick auf das wenige Meter entfernte Burj al Arab.
Malerei trifft hier auf Skulptur, Installationen auf digitale Medien. Dazwischen das Stimmengewirr von Sammlern, Künstlern, Kuratoren – und das gedämpfte Klirren von Champagnergläsern. Zur Eröffnung der Kunstmesse kam Sheikha Latifa bint Mohammed bin Rashid Al Maktoum, Tochter des Herrschers von Dubai. Das sorgte für viel Security in den Gängen vor den beiden Ausstellungshallen. Es zeigt aber auch: Kunst ist längst Chefsache.
Wachstum im Rekordtempo
Dubai boomt. Dubai wächst. „Dubai ist der richtige Ort und Zeitpunkt“, sagt Dunja Gottweis. Im ersten Quartal 2025 stieg die Einwohnerzahl auf 3,914 Millionen – ein Rekord. Der Motor: ein anhaltender Zustrom von Expats und Fachkräften. Rund 92 Prozent der Bevölkerung sind zugezogen. Ausschlaggebend: steuerfreie Gehälter, politische Stabilität, hohe Sicherheitsstandards – und natürlich ein luxuriöses Lebensumfeld.
Besonders stark wächst die Gruppe der Vermögenden. Dubai zählt derzeit über 81.200 Millionäre. Dazu kommen 15 Milliardäre. In den letzten zehn Jahren stieg die Zahl der Millionäre um 78 Prozent. Heuer sollen laut Prognosen rund 7.100 weitere Millionäre dauerhaft in die Stadt ziehen – zusammen mit Vermögenswerten von rund sieben Milliarden US-Dollar. Längst hat sich Dubai zu einem der 50 bedeutendsten Millionärsparadiese weltweit entwickelt und ist unangefochtene Nummer eins im Nahen Osten. Vier von zehn Vermögenden mit Auswanderungsplänen haben Dubai als Ziel im Visier. Mit diesem Zuzug wächst nicht nur die Skyline weiter, sondern auch Dubais Rolle als globaler Magnet für Kapital, Talent und Lifestyle.
Wettstreit am Golf
Auch Kuratorin Mirjam Varadinis vom Kunsthaus Zürich war bei der Art Dubai vor Ort. „Für mich aus Westeuropa ist das alles sehr überraschend. Hier versucht man, sich mit lokalen Akteuren auseinanderzusetzen. Man sieht Galerien aus Kasachstan oder Indien, die man bei der Art Basel nie entdecken würde.“
Die Kunstszene wächst – und das längst über Dubai hinaus. Gerüchte über einen Einstieg der Art Basel in die benachbarte Abu Dhabi Art Fair will Gottweis beim Interview im Cipriani Café im Financial District – der bis vor wenigen Jahren noch eine Brache aus Wüstensand war – nicht bestätigen. Eine mögliche Messe in Saudi-Arabien als Konkurrenz? „Wenn es dem Markt gut geht, dann sind mehrere Messen gut für den Standort“, sagt sie. Branchenmedien berichten längst über ein wahrscheinliches Engagement von Art Basel in Abu Dhabi. Das kolportierte Investment: rund 20 Millionen US-Dollar. Geplant ist keine komplette Übernahme, sondern eine operative Partnerschaft.


Mitte April lockte die Messe rund 120 Galerien an. 30 davon zum ersten Mal.
© Cedric Ribeiro / Getty Images for Art DubaiDie Abu Dhabi Art Fair erlebt heuer ihre bislang größte Ausgabe: mehr als 140 lokale, regionale und internationale Galerien – rund 40 Prozent davon zum ersten Mal – sind vom 19. bis 23. November 2025 vor Ort. Einer der Schwerpunkte widmet sich der Kunst aus Zentralasien und dem Kaukasus. Und auch Saudi-Arabien drängt auf den Markt. Anfang April feierte das Land die erste Art Week Riyadh mit 45 Galerien aus Saudi-Arabien, der Region und international. Schauplatz war das zum Kulturort umgewidmete Al-Mousa Center, ein ehemaliges Einkaufszentrum.
Spielt in einer Stadt der Superlative Geld beim Kunstkauf überhaupt eine Rolle? „Ja“, sagt Thomas Krinzinger von der Galerie Krinzinger. „Auch wahnsinnig reiche bis wohlhabende Menschen haben ein Ankaufsbudget.“ Er beobachtet eine neue Zurückhaltung – Kriege, Krisen, Rezessionen wirken. „Aber Kunst kann auch Trost sein. Neue Perspektiven eröffnen.“ Die Wiener Galerie gehört zu den westlichen Pionieren am Golf. Für die Art Dubai 2025 repräsentierte sie etwa Waqas Khan, einen zeitgenössischen Künstler aus Pakistan. „Es ist uns immer gut gelungen, Künstler in gute Sammlungen zu bringen“, sagt Krinzinger. Nach der Art Dubai ging es für ihn weiter zur Art Basel. „Das ist nach wie vor die wichtigste Kunstmesse der Welt und mit nichts anderem zu vergleichen.“ Auch bei der ersten Art Week Riyadh war er vor Ort. „In dieser Region tut sich so viel. Aber am Ende muss der Funke überspringen.“
Was Thomas Krinzinger beschreibt, gilt längst für die gesamte Stadt: Zwischen den Hochhäusern und Highways wächst eine Kunstszene, die sich ihren Platz erkämpft – und auch gefunden hat. Der Markt wächst und die Konkurrenz ebenso. Für Künstler, Galerien und die beiden Österreicherinnen vor Ort ist das Chance und Herausforderung zugleich.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr.35/2025 erschienen.