Lukas Mraz, Felix Schellhorn und Philip Rachinger
©Ian EhmDie Spitzenköche Lukas Mraz, Philip Rachinger und Felix Schellhorn sind die „Healthy Boy Band“ und die wahrscheinlich einzige Rock'n'Roll-Band der Welt, die keinerlei Musik produziert. Dafür aber umso besseres Essen.
Es ist früher Abend im Event-Bereich der Ottakringer Brauerei, die 450 Tickets der Release-Party des sechsten The Healthy Times Magazins sind seit Tagen restlos ausverkauft und die drei Mitglieder der „Healthy Boy Band“ Lukas Mraz, Philip Rachinger und Felix Schellhorn begrüßen die ankommenden Gäste – noch – in unauffällig ziviler Kleidung. Das wird sich allerdings bald ändern.
An den im gesamten Event-Bereich verteilten Ständen diverser namhafter bis prominenter Gastköche bilden sich schon die ersten Schlangen, und auch der vierte Hauptdarsteller des Abends bereitet sich auf seinen Auftritt vor – beziehungsweise wird vorbereitet: Das riesige Spanferkel aus Oberösterreich röstet seiner Köstlichkeit entgegen, die Schwarte fein säuberlich geschröpft, die Kruste schon goldig braun, allerdings litt die Aufhängung unter dem Gewicht des riesigen Bratens, weshalb der Spieß von einem Mitarbeiter des Metzgers Zalto Hans aus Kirchberg ob der Donau händisch und vorsichtig gedreht werden muss. Aber Improvisation und Unberechenbarkeit, das wissen die Fans der Healthy Boy Band, ist ein wesentlicher Teil des Projekts.
Healthy Boys' Homebases: Die Restaurants von Mraz, Rachinger und Schellhorn
Der Gourmet-Gig
Das heißt, drei der bekanntesten Küchenchefs des Landes haben jetzt also eine Band, spielen Gitarre, Schlagzeug und Bass, singen auch noch? Nicht ganz, aber fast: Die „Healthy Boy Band“ kann gebucht werden, tritt auf, tourt durch Europa, hat ein Rampensau-Image und vor allem ziemlich viele Fans. Aber gesungen wird nicht.
Begonnen hat alles 2017, als der italo-französische Gastronomiekritik-Guru Andrea Petrini in Rachingers Mühltalhof einen seiner Gelinaz-Events veranstaltete. Dabei handelt es sich um eine Mischung aus Landschulwoche für Spitzenköche und Open-Air-Gourmet-Festival, bei dem zahlende Gäste miterleben dürfen, was etwa dem dänischen Noma-Superstar René Redzepi und der slowenischen Starköchin Ana Roš, David Chang und Heinz Reitbauer gemeinsam einfällt, wenn sie es mit Mühlviertler Wildbret zu tun haben. Sowohl Lukas Mraz als auch Felix Schellhorn waren damals mit von der Partie, „da haben wir überlegt, vielleicht was Eigenes, Kleines zu machen“, erinnert sich Lukas Mraz, fächerübergreifende Kunst-Kulinarik-Performances wie etwa der Hell Fire Dining Club hatten sie immer schon fasziniert. „Weil auch unsere Väter haben ja schon ganz schön über den Tellerrand hinausgeschaut, mit Kunst, Politik und Philosophie.“
Das Manifest
Also verfassten sie 2019 ein Manifest, in dem festgehalten wird, dass es bei ihrem Projekt definitiv nicht nur ums Essen geht, dass es sich gegen Rassismus, Hass und Bigotterie richtet, dass Improvisation ein Teil des Ganzen ist, und dass engstirnige (hier ein Schimpfwort mit A einsetzen) damit wohl nicht zurechtkommen werden.
Damit lagen und liegen sie durchaus nicht falsch: Als sie bei einer Veranstaltung in der Schweiz in Frauenkleidern auftraten, um dagegen zu protestieren, dass keine Frauen im Programm gelistet waren, verließen einige Gäste den Saal, der Veranstalter bestand darauf, dass sie sich fürs Gruppenfoto umziehen; einmal legten sie ihre Bühnen-Kochperformance vegan an, nicht ohne zuvor zum Trauermarsch ein Stück Fleisch zu beerdigen; und ein anderes Mal reagierten sie auf die zu geringe Frauenquote einer Gastronomie-Veranstaltung in Wien mit Auftrittsverweigerung – und schickten stattdessen drei weltweit bejubelte Köchinnen auf die Bühne, die sie selbst eingeladen und nach Wien gebracht hatten (mit denen sie dann eh gemeinsam kochten und performten …).
So etwas spricht sich natürlich herum, so eine Unangepasstheit gefällt nicht zuletzt jungen Menschen, die vielleicht nicht so zum typischen Publikum eines Zwei-Sterne-Restaurants gehören. Wobei: Anna, 23, Chris, 26, und der 31-jährige Josef waren zwar weder im Mühltalhof noch im Seehof Goldegg, „beim Luki aber schon“; Olivia, 24, und Max, 29, aßen schon in allen drei Restaurants, dafür sei das ihr erster HBBLive Gig, erklären sie und lassen sich dabei den XO-Hot Dog mit Tatar von der alten Milchkuh und die grüne, mit Frischkäse gefüllte Palatschinke mit geräuchertem Pinzgauer Schottkas vom Shootingstar Paula Bründl schmecken. Hannes und Maria, beide Anfang 40, „haben die drei Restaurants zwar auf der Liste“, schätzen an den HBB-Events aber das „ungezwungene Element“.
Kleider machen Meute
Apropos ungezwungen: Der Haupt-Act steht mittlerweile bevor, die drei Healthy Boys haben ihre heutige Dienstkleidung angelegt, und das sind anlässlich der Präsentation der „sexten“ Ausgabe ihres Magazins nun mal schwarze Fetisch- und Bondage-Ware sowie für jeden der drei reichlich tätowierten Top-Köche ein SM-Ballknebel im Mund. In dieser Montur tragen sie das gebratene Schwein durch das johlende Publikum mit hundertfach gezückten Handys, wieder hinaus zu ihrem Verabreichungsstand, bei dem aus dem knusprigen Braten eine Thai-Suppe mit Spanferkel sowie Zunge von Lamm, Rind und Schwein arrangiert wird. Philip Rachinger verteilt an die Schlange stehende Fan-Menge Spanferkel-Scheibchen wie Hostien. Sagen wir so: Der Stand des gefeiert-puristischen Gourmetrestaurants Nobelhart & Schmutzig gleich daneben hat es mit ihrem gedämpften Knollensellerie und Haselnüssen da ein bisschen schwer …
Im Vergleich zu den „Boys“ bewegen sich die Acts der anderen Gast-Köche auf vergleichsweise zivilisiertem Terrain. Okay, Clärchens Ballhaus, ebenfalls aus Berlin, bietet mit der Hand zu essende Tomatenspaghetti, die auf großen Holzplatten in Form von Männerkörpern mit erigierten Penissen drapiert sind – Instagram liebt sowas; und das Wiener Mochi reicht „Bluefin Handjob“ in Form einer Thunfisch-Makirolle durch ein Mauerloch alias „Glory Lochi“. Das Team des Kopenhagener Ausnahme-Restaurants Kadeau lässt solche Gags komplett sein und fertigt mit höchster Konzentration seine über Johannesbeer-Holz gegrillten Austern; Lee Tiernan vom legendären (und soeben schließenden) Londoner Gourmet-Pub Black Axe Mangal hat zwar eine schwarze Maske auf und bereitet seinen Snack unter Schwarzlicht zu, das so entstehende Roggenbrot mit Räucheraal-Creme und geräuchertem Kabeljau-Rogen ist deshalb aber nicht weniger köstlich.
„Energetisch reingefahren“
Das Bad in der Menge, ein bisschen Provokation, ein bisschen Protest, vor allem aber sehr viel Spaß abseits des gastronomischen Gourmetrestaurant-Alltags, so könnte man das Projekt „Healthy Boy Band“ wohl zusammenfassen. Die ersten Shows seien ihnen „rein energetisch“ voll eingefahren, erinnert sich Philip Rachinger, der Zuspruch, das Publikum, die Menge. Kontakt mit den Leuten sei in der Gastronomie eigentlich normal, sagt er, weil da müsse man ja auch aus der Küche raus zu den Leuten. Aber das sei – vor allem am Anfang – schon eine andere Dimension gewesen.
Und auch wenn sich die HBB-Tickets trotz eines stolzen Preises von 166 Euro verkaufen wie die warmen Semmeln und die beachtliche Popularität der drei dank spektakulärer Auftritte bei Tim Mälzers „Kitchen Impossible“ es nahelegen würde – Fulltime-Job wird es wohl nie. Dazu sind Mraz, Rachinger und Schellhorn ihre Betriebe zu wichtig. Andererseits, wie steht’s im Healthy Boy Band-Manifest? „Fuck Fine Dining“ …


Healthy Boy Band Merch
Merchandising in der Gastronomie ist heute nichts Außergewöhnliches mehr, denn wo es Fans gibt, gibt es auch einen Markt für Fan-Artikel. Zum Beispiel Alain-Ducasse-Schokolade oder das Thomas-Keller-Messerset. Das Noma bedruckt für seine Fans T-Shirts, Kappen und Taschen, das Steirereck hat Nussschnaps und ein Schwammerl-Quartett im Talon.
Was fiel den Healthy Boys zu dem Thema ein? Nun ja, sie persiflieren gerne bekannte Marken, ihre täuschend echten Sticker „Shitadvisor“ oder der mit den vier Michelin-Sternen hatten Kult-Status, die aktuelle „Food-Fetisch“-Baseball-Kappe, die man im Vorbeigehen leicht für das Produkt einer italienischen Reifenmarke halten könnte, ist da auch ein Kandidat. Das längst ausverkaufte „High 5“-Langarm-Shirt wird von HBB-Fans wahrscheinlich selten getragen – zu wertvoll!
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 47/2025 erschienen.








