Orgasmusstörung: "Ich
kann nicht kommen!"

Wenn Frauen Probleme haben, zum Orgasmus zu kommen

Sie haben zwar Lust auf Sex, einen Orgasmus zu haben fällt ihnen aber schwer oder ist sogar unmöglich. 95 Prozent der heterosexuellen Männer kommen so gut wie immer beim Sex. Viele heterosexuelle Frauen gehen hingegen leer aus. Forscher sprechen dabei von der sogenannten Orgasmuslücke.

von Flaute im Bett - Orgasmusstörung: "Ich
kann nicht kommen!" © Bild: shutterstock

Männer haben es beim Sex leichter als Frauen, das sagt sogar die Wissenschaft. In den verschiedenen Studien variieren die Zahlen stark. Alle sind sich aber einig, dass Männer deutlich häufiger einen Orgasmus haben als Frauen.

Orgasmusstörung und ihre Ursachen

Dass es im Bett nicht immer ganz rund läuft, ist normal. Einige Frauen haben aber nicht nur gelegentlich, sondern häufig oder immer Probleme im Bett. Bleibt der Höhepunkt trotz sexueller Lust immer oder fast immer aus, sprechen Psychologen von einer Orgasmusstörung.

"Bei der 'reinen Form' der Orgasmusstörung erlebt die Frau Lust auf Sexualität, genießt genitale Aktivität und entwickelt ausgeprägte sexuelle Erregung. Die Erregungssteigerung reicht jedoch nicht aus, um die individuell unterschiedliche Orgasmusschwelle zu überwinden. Die Erregung stagniert meist auf der Plateauphase", weiß Elia Bragagna, Vize-Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Sexualmedizin und Leiterin der Sexualambulanz am Wiener Wilhelminenspital.

»Frauen haben manchmal Orgasmen, wissen es aber gar nicht«

Es wird dabei zwischen primären, sekundären, globalen und situativen Orgasmusstörungen unterschieden. So tritt das Problem bei einer situativen Orgasmusstörung im Gegensatz zur globalen nur in bestimmten Situationen mit psychogener Verursachung auf. Die Betroffene kann also beispielsweise durch Selbststimulation durchaus zum Höhepunkt gelangen, hat aber Schwierigkeiten, sobald der Partner dabei ist. Bei der primären Orgasmusstörung bestand schon immer das Problem der Orgasmusunfähigkeit, die sekundäre ist hingegen eine erworbene Orgasmusstörung wie sie beispielsweise nach der Menopause auftreten kann.

»Denken Sie genuss- und nicht zielorientiert!«

Betroffene, die nicht mehr weiter wissen, fragen am besten ihren Gynäkologen um Rat oder vereinbaren einen Termin mit einem Sexualmediziner. Denn helfen lässt sich wie bei allen Problemen nur dann, wenn man die Ursachen kennt - und diese sind vielfältig. Während eine organisch bedingte Orgasmusstörung bei der Frau zwar durchaus gegeben sein kann, ist sie im Vergleich eher selten.

Vielmehr beginnen die Ursachen für dieses Phänomen oft im Kopf: "Bedeutsame psychische Faktoren sind vor allem sexuelle Schuldgefühle, eine negative Bewertung der eigenen Sexualität, Sexualmythen sowie auch Informationsmangel", weiß Bragagna. Aber auch partnerschaftlichen Faktoren kommen bei Orgasmusstörungen zum Tragen. Kommunikationsdefizite und Interaktionsschwierigkeiten sind dabei die häufigste Ursache.

Auf Entdeckungsreise gehen

Wie die Sexualtherapeutin herausfand, ist es also oft nur ein harmloses Informations- beziehungsweise Kommunikationsdefizit, das an den Orgasmusproblemen Schuld trägt: "Die Frau traut sich zum Beispiel nicht, dem Mann zu sagen, wie sie richtig stimuliert werden muss, um zum Höhepunkt zu kommen. Oder aber die Frau weiß selber nicht, wie sie richtig stimuliert werden muss, und kann es dem Mann folglich gar nicht sagen. Und schließlich kommt es auch vor, dass die Frau in Wirklichkeit Orgasmen hat, diese aber nicht als solche erkennt, weil sie ganz andere Vorstellungen davon hat, wie sich ein sexueller Höhepunkt anfühlt."

Das große Oh: Der weibliche Orgasmus funktioniert oft nur im Zusammenspiel von Gefühlen, körperlichen Reaktionen und Fantasien und dauert meistens nur ein paar Sekunden, seltener bis zu einer Minute lang. Fühlbare und sichtbare Anzeichen sind rhythmische, als wohltuend empfundene Kontraktionen der Scheide und der Gebärmutter, ein Ansteigen der Atemfrequenz, des Blutdrucks und der Pulsfrequenz oder Körperzuckungen. Es kann auch zu einem Ejakulieren von Flüssigkeit aus der Harnröhre (Nein. Kein Urin.) kommen. Eine Wiederholung des Orgasmus beziehungsweise "multiple Orgasmen", also Orgasmen in Serie, sind möglich.

Ein Orgasmus muss nicht der Höhepunkt sein

Ohne Orgasmus kein Spaß im Bett? "Das stimmt so überhaupt nicht", sagt Bragagna. Der Ansatz, Sex zu haben, nur um zum Orgasmus zu kommen, sei der falsche: "Man sollte viel öfter genuss- als zielorientiert denken, sich auf das einlassen, was dazwischen liegt." Die Überhöhung des Orgasmus als einzig erstrebenswertes Ziel legt den Fokus noch viel mehr auf das vermeintliche Problem - der Orgasmus rückt damit erst recht in weite Ferne.

Gründe dafür sind Leistungsdruck und überhöhte Vorstellungen, denn noch immer herrscht das männlich geprägte Verständnis von Sex vor. Klitorale Stimulation ist für viele nur das Vorspiel, der eigentliche Sex ist Penetration. Dabei wird die Klitoris aber weniger intensiv stimuliert - folglich sinkt die Chance, einen Orgasmus zu bekommen. Bragagna: "Es ist furchtbar. Lediglich vier Prozent der Frauen kommen bei rein penetrativem Sex zum Höhepunkt." Erotikfilme, aber auch der handelsübliche Prime-Time-Film lassen allerdings Anderes vermuten. Diese Vorgaben halten sich bereits seit der Zeit Sigmund Freuds hartnäckig auf der Leinwand und in den Köpfen und bringen so viele Frauen, aber auch Männer unter Zugzwang. Ein Teufelskreis.

Haben homosexuelle Frauen den besseren Sex?

Wenig verwunderlich also, dass laut Studien lesbische Frauen im Gegensatz zu heterosexuellen weniger Probleme haben, zum Orgasmus zu kommen: "Lesben orientieren sich weit weniger an der Norm. Das typische 'Rein, Raus', wie es im Film zu sehen ist, fällt für sie weg. Sie probieren sich eher aus", führt Bragagna aus.

OMGyes ist eine Webseite, die dem oben beschriebenen verzerrten Bild der weiblichen Sexualität entgegen wirken will. Die Gründer forschen zu diesem Thema und erklären ihren Usern, wie sie funktioniert – theoretisch und auch praktisch. In Videoanleitungen erklären und zeigen Frauen ihre sexuellen Vorlieben und Masturbationstechniken. Die Macher der Seite wollen Frauen und auch Männern helfen, einen realistischeren und vor allen Dingen entspannteren Blick auf die weibliche Lust zu bekommen.

Orgasmusfähigkeit kann man lernen

Anstatt mit dem Partner offen zu kommunizieren, entscheiden sich aber noch immer viele Frauen für eine Geheimhaltung ihrer Problematik, was die psychische Belastung zusätzlich verstärkt und die partnerschaftliche Intimität belastet. Einen Orgasmus vorzutäuschen oder dem Thema auszuweichen, löst aber keine Probleme, sondern verschärft die Situation eher: "Annäherung braucht Zeit. Viele Frauen und Paare wollen aber nicht verstehen, warum es mit dem Orgasmus nicht sofort klappt", sagt die Sexualtherapeutin.

»Theoretisch kann jede gesunde Frau kommen!«

Dabei gehört der Orgasmus in allererster Linie einem selbst. Es ist wichtig, sich selbst auszuprobieren und kennenzulernen. Die Übertragung auf das gemeinsame Sexleben ist aber oft gar nicht so leicht: "Kommen Frauen wegen Orgasmusstörungen in meine Praxis, ist eine meiner ersten Fragen, in welcher Form die Selbstbefriedigung stattfindet", erzählt die Sexualtherapeutin. Es kann helfen, den Sex sozusagen an die Masturbation anzupassen. Eigentlich wäre es so logisch: "Manche Frauen masturbieren am Liebsten mit dem Duschkopf oder kneifen bei der Selbstbefriedigung ihre Beine zusammen. Macht man beim partnerschaftlichen Sex dann die Beine eher breit, ist das klarerweise eine völlig andere Situation und in der Folge schwerer, mit dem Partner zum Orgasmus zu kommen", erklärt Bragagna.

Reden als Schlüssel zum Erfolg

Alleine dieses Wissen kann Frauen mit Orgasmusstörungen deutlich helfen. Neue Möglichkeiten tun sich auf. "Es muss eben auch das 'Instrument Männerkörper' richtig eingesetzt werden können", bringt es Bragagna auf den Punkt. Kommunikation mit dem Partner - verbal oder nonverbal - ist dabei unerlässlich. Es ist wichtig, sich den Performancedruck zu nehmen und neue Wege der Stimulation zu finden.

Auch wenn es kein Geheimrezept gibt, kann Loslassen - nicht im Sinne von Entspannen - laut der Expertin das große Stichwort sein: "Ein Höhepunkt kann Vieles sein. Lachen Sie, seien Sie sich nah. Auch das sind gute Gründe für Sex. Die Lust kann sich ebenso im Dazwischen aufschaukeln - auch wenn der Orgasmus selbst nicht erreicht wird." Vergessen werden sollte deswegen vor allem, was man in Pornos und Filmen sieht: Bei der kleinsten Berührung kommen? Immer und sofort? Das ist Utopie. Finden Sie ihre eigene Geschwindigkeit - ganz ohne Eile; denn rein theoretisch ist jeder gesunde Frauenkörper fähig, zum Orgasmus zu kommen.