Die häufigsten Sex-Störungen

Keine Lust. Aber warum? Was Herrn und Frau Österreicher im Bett zu schaffen macht.

Jede zehnte Frau leidet an Lustlosigkeit, jeder vierte bis fünfte Mann an vorzeitigem Samenerguss. Sexualstörungen sind keine Seltenheit. Dennoch werden sie von unserer Gesellschaft gern tabuisiert. Das wollen wir ändern! News.at befragte die Sexualtherapeutin Dr. Elia Bragagna zu den häufigsten sexuellen Störungen von Mann und Frau.

von Mann und Frau im Bett - frustriert © Bild: Corbis
Dr. Elia Bragagna ist Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychosomatik, Psycho- und Sexualtherapeutin, Leiterin der Akademie für Sexuelle Gesundheit (AfSG), Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates der Österreichischen Akademie der Ärzte und ärztliche Leiterin der Sexualmedizinischen Praxis Graz.
Elia Bragagna
© Beigestellt

Über ein Drittel (39 Prozent) der Frauen und knapp die Hälfte (46 Prozent) der Männer leiden unter sexuellen Problemen. Die bei Frauen am häufigsten auftretende Sexualstörung ist die Lustlosigkeit. "Etwa jede dritte Frau ist von ihr betroffen, jede zehnte leidet unter ihr", weiß Bragagna. Rund ein Fünftel der Frauen wiederum haben eine Erregungsstörung, ebenso viele eine Orgasmusstörung.

Die häufigsten sexuellen Störungen

Die häufigste sexuelle Störung der Männer ist der vorzeitige Samenerguss. Jeder Vierte bis Fünfte ist hiervon betroffen. "Mit zunehmendem Alter werden dann auch die Erektionsstörungen häufiger", erklärt Bragagna. Während etwa 10 bis 20 Prozent der jungen Männer an einer Erektionsstörung leiden, ist ab einem Alter von 60 Jahren bereits jeder zweite betroffen. Auch die Lustlosigkeit steigt mit zunehmendem Alter.

Keine Lust. Aber warum?

Woran liegt es, dass die Zahl der Betroffenen dermaßen hoch ist? "Eine der Hauptursachen der Lustlosigkeit bei Frauen ist, dass sie sich beim Sex an der Vorstellung der Männer orientieren - was allerdings für die Wenigsten reizvoll ist", erläutert die Expertin. Gerade junge Frauen setzen sich enorm unter Druck. Viele wollen sexy und attraktiv sein, versuchen ihre vermeintliche Rolle zu erfüllen, zu funktionieren. Erst mit zunehmendem Alter werden Frauen, was ihre Sexualität betrifft, selbstbewusster. Die Folge: Erregungs- und Orgasmusstörungen nehmen ab, zum Teil schwindet auch die Lustlosigkeit.

Nicht richtig stimuliert

Einen möglichen Grund für die weibliche Erregungsstörung beschreibt Bragagna folgendermaßen: "Die Frau ist erregt, der Mann dringt ein, die Erregung bricht ab. Warum? Weil die Frau falsch stimuliert wird." Und weiter: "Die meisten Frauen bewegen sich im Bett so, wie es notwendig ist, um den Mann optimal zu stimulieren. Die wenigsten bewegen sich dagegen so, dass auch sie richtig stimuliert werden." Obgleich gerade mal vier Prozent der Frauen einen rein vaginalen Orgasmus erleben, versucht immer noch der Großteil einen solchen zu bekommen. Was hier vonnöten ist, ist, so die Expertin, eine angemessene Stimulation der Klitoris - durch eine passende Stellung oder, salopp gesagt, durch Handarbeit.

Wenn der Alltag die Oberhand gewinnt

Zu einer Orgasmusstörung schließlich kann es bei Frauen dann kommen, wenn die Lust, die richtige Stimulation oder gar beides fehlt. "Oft tritt die Orgasmusstörung auch bei jenen Frauen auf, die im Alltag so straight sind, dass sie dann auch im Bett nicht loslassen können", erläutert Bragagna.

Ein Problem - viele Ursachen

Anders als bei Frauen sind sexuelle Störungen bei Männern meist mechanistischer Natur. Und dennoch ist Sexualstörung nicht gleich Sexualstörung. So unterscheidet Bragagna etwa zwischen vier Formen des vorzeitigen Samenergusses. Zum einen spricht sie von der angeborenen Form: "An ihr leiden nur etwa zwei bis fünf Prozent der Männer. Die meisten aber wissen nicht, dass das Problem physiologischen Ursprungs ist, was die Sache umso dramatischer macht." Leidensdruck und Selbstzweifel sind oft groß, dabei bedarf es nur des richtigen Medikaments, um das Problem zu lösen.

Der vorzeitige Samenerguss

Eine andere Form ist der plötzlich auftretende vorzeitige Samenerguss. Er kann durch eine Erkrankung der Prostata oder der Schilddrüse ebenso wie durch Medikamente ausgelöst werden. Die dritte Form des vorzeitigen Samenergusses umfasst jene Männer, die "lediglich glauben, zu früh zu kommen. Tatsächlich aber braucht die Frau nur sehr lange, um zum Höhepunkt zu gelangen", so Bragagna. Schließlich gibt es noch jene Männer, die gar kein entsprechendes Problem haben, sondern schlicht und einfach "gern länger können würden".

Krankheit, Medikamente und Co. als Auslöser

Erektionsstörungen sind meist physiologisch bedingt. So können etwa Medikamente, beispielsweise Antidepressiva und Blutdruckmedikamente, Auslöser einer der Störung sein. Auch Erkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck, Krebs, Depression, Parkinosn oder Multiple Sklerose können, ebenso wie ein zu hoher Cholesterinspiegel, der Konsum von Zigaretten und Alkohol, schuld an der Erektionsstörung sein. Unter Umständen liegt die Ursache auch in einer Operation.

Sexuelle Störung als Warnsignal

Umgekehrt sind sexuelle Störungen - bei Männern wie bei Frauen - oft ein Warnsignal, das auf eine Krankheit hindeutet. Während Erektionsstörungen oft Diabetes, Bluthochdruck, einen Herzinfarkt oder ein Karzinom ankündigen, kann die sexuelle Störung bei Frauen im jungen Alter ein Anzeichen für Multiple Sklerose sein.

Wenn frau "nicht will"

Bragagna unterscheidet schließlich zwischen zwei Formen der weiblichen Erregung: der genitalen und der subjektiven. Die subjektive setzt einen engen Kontakt zum Partner voraus, der etwa durch einen vertrauten Blick, eine innige Umarmung oder ein paar liebevolle Worte gepflegt wird. "Frauen werden anders erregt als Männer. Die innere, subjektive Erregung - und damit der Kontakt zum Partner - ist für sie viel wichtiger als für ihn." Oft ist es aber die Alltagsroutine, die den Kontakt abreißen lässt. Fehlt allerdings der Kontakt, bleibt auch die subjektive Erregung und schließlich die Lust aus.

Sexuelle Neutralität

Während Männer Frauen, die sich in einer solchen Phase befinden, meist als lustlos bezeichnen, spricht Bragagna von "sexueller Neutralität". Die Frau ist weder für noch gegen Sex. "Sie hat nichts gegen Sex, ihr fehlt bloß der Kontakt, damit sie aus der Neutralität herauskommt", so die Expertin. Und weiter: "Die Frau muss wissen, was sie aus der Neutralität herausholt. Und im besten Fall sollte auch der Mann merken, worauf sie anspringt." Denn letztlich geht es immer um die Erfüllung der Bedürfnisse beider Partner.

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