Liebe und Tod, Glück und Verzweiflung

Auf der Höhe seiner Ausgebuchtheit bringt der emeritierte Kaiser Robert Palfrader seine Familiengeschichte in der Gestalt eines furios fabulierten Romans. Im Interview nimmt das Mitglied der "Staatskünstler" für die Klimakleber Partei.

von Robert Palfrader © Bild: Matt Observe/News

Wenn der Ladiner das Götz-Zitat meint, sagt er "Toffe te le cü", und 35.000 verbliebene Landsleute verstehen, dass das keine Freundlichkeit ist. Nach Lektüre der Familienchronik des Komödianten Robert Palfrader, 55, werden es erheblich mehr wissen. Und das ist nicht der einzige Mehrwert dieser ungemein animierenden 159 Seiten namens "Ein paar Leben später". Schon das heimatkundliche Vorwort liest sich gut.

Im Verlauf von drei Jahrtausenden hat sich die rätoromanische Dolomiten-Enklave weitgehend entvölkert. Räter, Kelten, Etrusker waren das zunächst, die sich zum raubmordenden Bergvolk vermischt hatten und vom römischen Kaiser Augustus notzivilisiert wurden.

Im Strom der Zeitläufe standen sie dann vor der Wahl, zwischen zwei einander bekämpfenden Welten zermalmt zu werden oder sich über die Restwelten zu zerstreuen. Deshalb haben bis heute viele Ladiner, die weder Deutsch-Österreicher noch Italiener sein wollten, Südtirol verlassen. Die Verbliebenen kennt keiner, obwohl sie das Eleganteste des europäischen Wintersports verwalten: Alta Badia, Gröden, Cortina d'Ampezzo, wo Toni Sailer drei olympische Medaillen einfuhr.

Die Palfraders

Von den Ausgewanderten haben es manche weit gebracht. Der Grödener Giorgio Moroder vertonte 170 Hollywood-Filme. Und auch die Palfraders, die so heißen, seit sie unter dem liberalen Kontrollfreak Joseph II. von Peraforada eingedeutscht wurden, haben im Verlauf ihrer rekonstruierbaren Geschichte nicht viel ausgelassen.

Davon, von der Familie seines Vaters, erzählt Robert, der 1968 in Wien geboren wurde und doch "epigenetisch" nicht nur Ladiner, sondern auch Landwirt geblieben ist.

Aber ist das Buch denn tatsächlich eine Chronik? "Ich orientiere mich lose", sagt der belletristische Debütant, von dem sich der Ueberreuter-Verlag einen Coup erhofft wie zuletzt vom Jahresbestseller Thomas Stipsits. "Der Erzähler bin ja auch nicht ich." Hätte man aber vorausgesetzt, bei all dem Herzblut, das da im Fabulierten pulst. "Der Erzähler ist ein Verrückter, der den Anspruch erhebt, alles zu wissen, was andere denken, und sich dabei maßlos überschätzt. Ich dachte, das wäre doch schön, wenn es so einen Idioten gäbe. Es gibt natürlich Geschichten in dem Buch, die so oder zumindest so ähnlich passiert sein müssen."

Robert Palfrader
© Matt Observe/News

Nämlich? Da möge die eigene Fantasie walten. "Die Personen, und wie sie zueinander gefunden haben, stimmen, sonst gäbe es ja keine Geschichte. Der Rest ist Fantasie."

Aber diese Personen! "Ein paar Leben später" ist ein Schelmen-, zugleich ein Entwicklungsroman. Einer mit Besonderheiten: Nicht ein Schelm wie Grimmelshausens Simplizissimus entwickelt sich da zur prachtvollen Romangestalt, sondern deren vier. Vorausgesetzt, man zählt nur die Urgroßeltern und die Großeltern. Und nicht auch die Dorfsonderlinge und die tückisch auf Vergeltung sinnenden Verwandten, die in der Erbfolge zu kurz gekommen sind.

Nicht zu reden vom Ururgroßvater, der nur noch wie ein Hamlet'scher Geist auftritt. Er hat dem Urgroßvater eine Kiste mit etruskischem Raubgrabgut, allerdings keinerlei Hinweis auf die Existenz des Schatzes hinterlassen.

Purer Zufall also, dass Albert Craffonara, der Urgroßvater, die Statuen und Goldmünzen gefunden hat, sehr wohlhabend wurde und deshalb die Aufmerksamkeit seiner nachmaligen Gattin Angela erregte. Den ganzen Tag lang, zuletzt hungernd und dehydriert, hat das gottesfürchtige Bauernmädchen zweifelhafter Herkunft an der Brücke knieend die Himmelfahrtsprozession erwartet. An deren Spitze zieht der betuchte Stifter einer Marienstatue die Blicke der gesamten mannbaren Dorfjugend auf sich. Aber Angelas Blick kann er nicht widerstehen.

Glück und Tod

Das zweite herausragende Merkmal des Buchs ist, ein Stück bester österreichischer Tradition, die Nähe von Glück und Verzweiflung, Übermut und Tod.

Urgroßvater Alberto wird auf der Höhe seines Glücks vom Pferd totgetreten. Sein übler Bruder bringt Angela um das gesamte Erbe, feiert seinen Sieg zu ausgiebig und ersäuft in der Jauchengrube.

Zuvor wurde der Witwe zumindest eine erhebliche Abfertigung zugesprochen. Auszahlbar allerdings laut Gerichtsentscheid in Kriegsanleihen, weil ja die Causa Österreich-Ungarn gegen den Rest der Welt binnen Monaten siegreich entschieden sein werde. Wieder alles zerronnen, aber es gibt ja die Kiste mit den unveräußerten etruskischen Restbeständen, die dann noch in der nächsten Generation Gutes wirken wird.

Glück und Tod in allen Generationen: Da hat es Franz, den Großvater, bis nach Argentinien verschlagen, wo er es vom Kofferträger zum Oberkellner eines Nobelhotels brachte, protegiert von der zu Tode vereinsamten Gattin des homosexuellen Besitzers. Das Konstrukt detoniert in einer blutigen Tragödie, aber der Heimgekehrte kann mit den erworbenen Fertigkeiten ein Hotel eröffnen, das zum Geheimtipp der grölenden Nazi-Parvenüs wird, die sich in Deutschland schon zur Übernahme der Macht anschicken.

Schon im Ersten Weltkrieg hat es die Familie unter dem Druck der Entscheidung zwischen Deutsch-Österreich und Italien zerrissen. Drei der Italiennähe verdächtigte Brüder mussten ins k. k. Konzentrationslager Katzenau bei Linz und verschwanden dann im Strafbataillon an der Front.

Nun, im sich anbahnenden Zweiten Weltkrieg, wird die Entscheidung abermals verlangt. Und so ziehen die Großeltern ins Reich, nach Spitz an der Donau, und übernehmen dort das Hotel, das 1961 als Schauplatz des Films "Mariandl" mit Hans Moser, Conny Froboess und Rudolf Prack als Hofrat Geiger berühmt werden wird. Die Großeltern haben da schon eine Pension in Wien übernommen, und hier endet das Buch. Franz, der alles überlebt hat, wird vom Krebs geholt. Der Tod bleibt ein verlässlicher Kumpan.

Robert Palfrader
© Matt Observe/News

Palfrader im Hochbetrieb

Womit die Zeit gekommen ist, Palfrader selbst zu Wort kommen zu lassen. Dass er schreiben würde, war alles andere als ausgemacht: Er dreht gerade zwei Serien noch unveröffentlichbaren Inhalts, eine für Netflix und eine für die ARD, ist mit einem Soloporgramm und den "Staatskünstlern" Scheuba und Maurer unterwegs und bereitet an der Volksoper mit Ruth Brauer-Kvam die Operettenrevue "Ein bisschen trallala" vor. Zur Erinnerung an Fritzi Massary und Max Pallenberg, die Lichtgestalten der Operette waren, ehe sie vor den Nazis fliehen mussten.

ZUR PERSON
Robert Palfrader

Geboren am 11. November 1968 in Wien, begann Robert Heinrich Palfrader als Gastronom. Als Betreiber des Café Torberg profilierte er sich zusehends als Sendungsmoderator im ORF und entwickelte sich mit zahlreichen Formaten zum gefragten Kabarettisten. Die Reihe "Wir sind Kaiser"(2007 bis 2010) war der einschlägige Höhepunkt. Im Volkstheater spielte er u. a. Molnárs "Liliom". Er ist Vater eines Sohns und einer Tochter und lebt in Wien.

Das Buch
Sorgsam recherchiert, fein fabuliert: "Ein paar Leben später" *, Ueberreuter, € 23

Oper
Fritzi Massary und Max Pallenberg waren Götter der Operette. Die Revue "Ein bisschen trallala" mit Palfrader und Ruth Brauer- Kvam erzählt auch das Schicksal der Emigration. Ab 27. März in der Volksoper

Theater
Im Rabenhoftheater treten Florian Scheuba, Thomas Maurer und Robert Palfrader wieder als "Staatskünstler" an. Ab 17. Februar

Kabarett
Palfraders viertes Soloprogramm unter dem Titel "Allein": katholische Kindheit und die Folgen www.robertpalfrader.at

Robert Palfrader im Interview

»Ich bin nicht der Bundespräsident, sondern war der Kaiser«

Herr Palfrader, was treibt Sie ins literarische Genre?
Mit der Idee, die Geschichte der Familie meines Vaters niederzuschreiben, gehe ich schon sehr lange schwanger. Als der "Kaiser" sehr erfolgreich war, wollten mehrere Verlage ein Buch von mir, aber ich dachte: Was die Welt nicht braucht, ist ein weiteres schlechtes Buch. Ich hab es mir weder zugetraut, noch hatte ich Lust, es zu machen. Was ich aber gewusst habe: Sollte ich mich aber eines Tages hinsetzen, wäre es diese Geschichte. Ich wusste ja viel, habe sogar noch meine Urgroßmutter väterlicherseits kennenlernen dürfen, wenn wir mit den Eltern in Südtirol waren. Sie ist im 101. Lebensjahr gestorben, da war ich 17. Und mit meiner Großmutter habe ich kurz vor ihrem Tod noch viel gesprochen. Ich habe also einiges von der Familiengeschichte gewusst und hab es vor 25 Jahren einer Drehbuchautorin erzählt, die gemeint hat, dass ich es unbedingt niederschreiben soll. Das ist mir damals absurd erschienen, aber mit dem eigenen Drehbuchschreiben ist mein Selbstvertrauen gewachsen. Und dann hat sich letztes Jahr ein Zeitfenster aufgetan, weil eine Produktion verschoben wurde. Und ich wusste ja schon seit Jahrzehnten, wo ich hin will.

Was ist denn nun Fantasie und was Wirklichkeit? Der Großvater, der nach Argentinien ausgewandert ist und dort der vereinsamten Alibigattin eines schwulen Hotelbesitzers bis zu deren gewaltsamem Ende beim Wehklagen zugehört hat?
Seien Sie nicht so neugierig! Ich sage Ihnen nur so viel: Wenn Ihnen ein Aspekt der Geschichte vollkommen absurd vorkommt, könnte er stimmen.

Dass Ihre Familie den Wohlstand dem illegal verheimlichten Fund etruskischer Schmuckstücke und Goldmünzen verdankt, mit denen Ihre Großeltern ein Sporthotel eröffnet haben?
Wer weiß? Wer weiß, ob nicht sogar noch etwas davon übrig ist. Alles ist möglich.

Aber warum endet das Buch denn mit der Existenzgründung Ihrer Großeltern in Spitz an der Donau? Ist das ein Cliffhanger für die Fortsetzung?
Nein. Ich war ja Inhaber des Café Torberg, vormals Zum Heiligen Leonhard, im 8. Bezirk. Nicht nur, weil ich eine große Affinität zum Werk Torbergs hatte, sondern auch aufgrund einer Empfehlung meines Vaters, mich an der Tante Jolesch zu orientieren: Besser zu wenig, und die Leute wollen mehr haben, als umgekehrt. Im Buch war die Geschichte für mich an sich auserzählt, als meine Großeltern das Hotel in Spitz gekauft hatten. Aber die Leser sollten zumindest wissen, wie das ausgegangen ist. Also hab ich die Erzählperspektive gewechselt und mit dem Zug zum Tor abgeschlossen.

»Ich will mich für das, was ich geschrieben habe, nicht genieren«

Hätte die Familie mütterlicherseits keinen zweiten Band verdient? Die Würstelstand-Dynastie Ihrer Mutter muss doch etwas hergeben.
Über die weiß ich nahezu nichts, und ich will auch nicht in Serienproduktion gehen. Ich hatte zwei Sachen für mich festgelegt: Ich will mich für das, was ich geschrieben habe, nicht genieren, und ich wollte mir nicht den Vorwurf machen müssen, dass ich mir keine Mühe gegeben habe. Ich wollte das Buch erhobenen Hauptes in der Hand halten.

Aber wie ist die Geschichte Ihrer Eltern bis zu Ihrer Geburt denn weitergegangen?
Mein Großvater hat das Hotel in Spitz verkauft, das später sehr berühmt wurde, weil es im Film "Mariandl" mit Conny Froboess der Schauplatz war. In Wien hat er die Hotelpension Astra auf der Alser Straße gekauft und ist kurz darauf gestorben, die Großmutter hat es weitergeführt, und die Kinder haben sich zunächst schön über die Welt verteilt. Die jüngste Schwester meines Vaters hat zum Beispiel in Kalifornien als Produzentin exotischer Filme ein Vermögen gemacht. Ihr Nachbar war Walter Matthau.

Woher dieser Drang in Weite aus dem engen Südtirol?
Wenn man als Bergbauer schwierige Lebensbedingungen vorfindet, muss man vielleicht etwas kreativer sein. Der berühmteste Ladiner ist übrigens der Musikproduzent und Komponist Giorgio Moroder.

Eine ergiebige Gegend für Stars.
Ich würde meine eigene Karriere als nicht so ungewöhnlich einschätzen.

Und wo ist der Rest der Familie?
Der fühlt sich zu Hause in Südtirol sauwohl damit, dass er mit dem Wintertourismus sein Auslangen finden kann.

Das ist ja tatsächlich eine der nobelsten Gegenden des Wintersports: Alta Badia, Gröden, Cortina d'Ampezzo, wo Toni Sailer Dreifacholympiasieger wurde ...
Die Ortschaften sind berühmter als das Volk der Ladiner selbst. Und wenn ich mir vorstelle, wie St. Vigil, die Ortschaft aus meinem Buch, ausgesehen hat, als ich ein Kind war, hat sich schon was verändert. Wenn im Frühjahr der Schnee schmilzt, beginnen auf der Hochalm Fanes kleine Bächlein zu mäandern, die in Senken zusammenfließen. Für mich der schönste Platz der Welt. In St. Vigil kann man also nicht nur Ski fahren, das ist im Sommer auch wunderschön!

Nun wettert dauernd der Krieg in Ihre Geschichte. Jetzt stehen wir in einer besonders verhetzten Situation vor einem Krieg in der Nachbarschaft. Was tun?
Ich bin Komödiant und Buchautor, um das andere sollen sich Leute, die dafür bezahlt werden, sowohl im Parlament als auch in Fernsehdiskussionen kümmern.

Robert Palfrader
© Matt Observe/News

Aber die aktuelle politische Situation, die Sie in den "Staatskünstlern" thematisieren?
Ist dieselbe, die wir schon einmal gehabt haben. Es gibt Personen, die aufgrund ihrer absurden Forderungen die Themenführerschaft an sich reißen, und alle werden wie Gänse, mit einem Stecken in eine Richtung getrieben. Dafür werden die wirklich wichtigen Themen ausgeklammert. Ich beteilige mich nicht an diesem vollkommen vertrottelten System, dass einer einen Schas lässt, und alle schreien, wir müssen das Fenster aufmachen. Ich finde, wir sollten uns auf das konzentrieren, was wirklich wichtig ist.

Nämlich?
Es geht um soziale Gerechtigkeit und dass Vermögen angehäuft wurden, die so exorbitant groß sind, dass es einem jede Vorstellung raubt.

Benko ist ja das drastische Beispiel. Aber soll man denn den jungen Mateschitz enteignen?
Nein, überhaupt nicht. Ich bin ihm auch nichts neidig! Man soll niemandem etwas wegnehmen. Ich finde nur, wenn jemand ein Einkommen hat, auch aus Erbschaft, soll er genauso Steuer zahlen wie jemand, der eine Honorarnote schreibt. Denn das Argument, es würde sich um bereits versteuertes Geld handeln, gilt für den Erben ja nicht. Der hat ein Einkommen, muss es aber nicht versteuern. In der Administration ist das vielleicht relativ schwierig, und es ist auch das gute Recht jedes Menschen, sein Vermögen steuerschonend auf legalem Weg zu bewahren. Aber halt legal. Schade auch, dass man in diesem Zusammenhang so wenig über die Panama-Papers hört. Das Zweite, was vollkommen ignoriert wird, ist der Klimawandel. Der Bodenverbrauch! Wir handeln nach wie vor, als hätten wir unendliche Ressourcen an Flächen. Wer fragt, wann es genug ist?

Ich jetzt. Ist es genug?
Insekten sterben, Vögel sterben. Wann ist genug zubetoniert, sodass man sagt, ein bisserl was brauchen wir doch noch für die Kühe, und was die nicht brauchen, sollen sich die Viecher in der Natur aufteilen. Wir haben nur begrenzten Raum, und ich hätte gern von den Herrschaften, die ihre Umfahrungen und Lagerhallen bauen wollen, die Frage beantwortet, wann von beidem genug da ist. Ich habe keine Antwort drauf, ich seh nur, dass es eng wird.

»Ich bin nicht mitgepickt, ich wollte Verständnis für die Wissenschaft vermitteln«

Sind Sie deshalb solidarisch mitgepickt?
Ich bin nicht mitgepickt, sondern habe solidarisch versucht, Verständnis für die Wissenschaft zu vermitteln. Für die Experten, die wissen, wovon sie reden.

Und das tun Hietzinger Gymnasiastinnen und Soziologen im Bachelor?
Jetzt werfen Sie Äpfel und Birnen in einen Topf, ich gehe Ihnen aber nicht auf den Leim, weil ich bei den Jesuiten erzogen worden bin und weiß, wie die rhetorischen Tricks funktionieren. Die jungen Leute wollen ja nichts anderes, als Aufmerksamkeit auf wissenschaftliche Erkenntnisse lenken. Das ist ja auch keine Kritik an den Autofahrern, sondern an der Politik, die uns sehenden Auges in eine Katastrophe steuert. Jemand muss doch damit beginnen! Und wenn es so einfach ist, dass man das Tempo auf der Autobahn reduziert! Auch wer absurderweise nicht an den Klimawandel glaubt, wird da ein paar Argumente finden, die überzeugen können.

Aber die Leute werden immer verärgerter, sogar die grüne Umweltministerin distanziert sich schon, und gewählt wird Kickl.
Ich hab das schon mehrmals gesagt: Mir wäre auch lieber, der Blödsinn würde aufhören. Deswegen hab ich mich dort hingestellt, um den Leuten zu sagen: Die machen das auch für dich, auch wenn es dir unproduktiv vorkommt, weil du im Stau stehst und nicht in die Arbeit kommst. Ein deutscher Klimatologe hat ein wunderschönes Beispiel gebracht. Er sagt nicht, was bei drei Grad plus passieren wird, sondern was passiert ist, als drei Grad weniger waren. Da lag nämlich die Stadt Berlin mehrere 100 Meter unter Eis. Was wird denn dann wohl sein, wenn es drei Grad plus hat? Dürre vielleicht? Unbewohnbar? So wie jetzt wird es jedenfalls nicht sein. Wenn man Wissenschaft anwendet, geht alles. Sonst hätten wir keinen Roboter, der auf dem Mars spazierengeht und Fotos auf die Erde schickt, obwohl 99 Prozent der Menschheit den Mars nicht einmal am Himmel ausnehmen können.

Brauchen wir den dringend dort oben?
Das ist die grundsätzliche Frage, ob man Forschung will oder nicht. Ich bin der Meinung, es kann nicht genug geforscht werden. Man kann heute zum Beispiel Krankheiten innerhalb weniger Tage heilen, an denen man noch vor 150 Jahren in derselben Zeit verreckt wäre. Computer, Internet, Mobiltelefonie, alles Ergebnisse der Forschung. Meine Stars sind die Forscher, die Wissenschafter, die klügsten Köpfe, die wir haben.

Was sagen Sie zu Lena Schillings Avancement?
Das ist eine rhetorisch außerordentlich begabte junge Frau.

Darf man fragen, was Sie wählen werden?
Ja.

Nämlich?
Ich habe nicht gesagt, dass ich die Frage beantworte.

Und wenn Kickl jetzt gewinnt? Ihrem Kollegen Scheuba hat er schon unwirtliche Zeiten prognostiziert. Soll, muss man ihn angeloben?
Ich bin nicht der Bundespräsident, sondern war der Kaiser, dem Politik wurscht ist. Warten wir einmal, wie die Wahlen ausgegangen sein werden. Ich halte diese Umfragen für wenig seriös. Es muss einmal ein Wahlkampf her, und die Leute sollen sagen, was Sache ist. Wir leben zum Glück in einer Demokratie, drum lassen wir die Leute einmal wählen.

Und dann haben wir den Scherben auf.
Ich glaube nicht.

Ihr Buch ruft nach der Frage zum Unmut der Bauern, deren sich die Nazis bedienen.
Wie viele Bauern waren denn dabei? Ich lese von 8.000 bis 10.000, unter denen auch solche, für die Demonstrieren ein Berufsstand ist. Als epigenetisch Belasteter sage ich: Wenn man Landwirte dazu zwingt, industriell zu produzieren und sie dann mit der Preisschraube immer mehr drückt, bis sie ihren Job nicht mehr machen können, wie sie es gern täten: Dann kann ich mir ihren Protest gut vorstellen. Meine Solidarität gehört den Landwirten. Aber auch den Tieren, an die der Druck 1:1 weitergegeben wird, die sich nicht wehren und auch nicht protestieren können.

Und immer greifen die Nazis zu.
Wenn man Landwirte fragen würde, was sie an ihrem Leben stört, bekäme man sicher andere Antworten, als eine bestimmte Partei vorgibt. Die protestieren vor allem gegen ihre Lebensbedingungen, unter welchen Umständen sie unsere Nahrung zu produzieren haben und was am Ende für sie dabei rausschaut. Wenn man hier aufklären und dem Konsumenten damit echte Wahlfreiheit lassen könnte, sähe manches anders aus. Denn ich bin sicher nicht allein mit der Forderung, dass sich hier gewaltig etwas ändern muss.

»Ich würde ohne Käsekrainer und Schnitzel nicht leben wollen«

Soll sich denn ein armer Teufel kein Fleisch mehr leisten dürfen?
Selbstverständlich! Aber: Gemüse zu essen, ist günstig und bekömmlich. Und was auch nicht unwichtig ist: viel gesünder! Vielleicht fehlen uns auch einfach nur die Rezepte für die Zubereitung. Ich habe schon vegetarische Speisen gegessen, bei denen ich mir gedacht habe: Wenn das alles so schmecken würde, bräuchte ich kein Fleisch mehr am Teller.

Sind Sie Vegetarier?
Nein, ich würde ohne Käsekrainer oder Schnitzel nicht leben wollen, aber ich habe meinen Fleischkonsum sehr stark reduziert, kaufe sehr bewusst ein. Weil alle, die am Produktionsprozess beteiligt sind, ein würdiges Leben verdienen. Angefangen beim Tier, dem Landwirten bis zum Fleischhauer.

Und zuletzt: Wir stehen fasziniert vor Ihrer Lebensgeschichte im Buch. Wie ist es mit der Geschichte österreichischer Juden, die jetzt das Aufkochen eines auch linken Antisemitismus erdulden müssen?
Kein Millimeter dem Antisemitismus, egal, in welcher Verkleidung, egal, aus welcher Ecke er kommt. Und Menschen die "From the river to the sea!" schreien, sollten sich vielleicht einmal erkundigen, was sie da genau fordern.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 07/2024 erschienen.

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