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Thomas Stipsits: Einer, der alles richtig macht

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Wenn Thomas Stipsits als Kabarettist Österreich durchquert, ist er ausverkauft. Schreibt er einen Krimi, ist der das meistgelesene Buch des Jahres. Wird der Krimi verfilmt, sehen so viele Leute zu wie seit 20 Jahren nicht mehr. Ein Phänomen gibt Auskunft.

Die Grenzen der Republik hat er vermessen, viel Nutzfläche bleibt da nicht mehr. Spielt Thomas Stipsits mit dem Kumpel Viktor Gernot Comedy, ist man bundesweit ausverkauft. Der vierte Stinatz-Krimi, „Allerheiligen-Fiasko“, ist soeben zum titelgebenden Termin erschienen und hält schon Platin für 25.000 Verkaufte. Was angesichts des Weihnachtsgeschäfts vergleichbare Entwicklungen hochrechnen lässt wie Band zwei mit dem vertrackten Titel „Eierkratz-Komplott“: Der brachte es auf 65.000 und war Österreichs meistverkauftes Buch des Jahres 2022.

Zeitnah überschlug sich nun auch die ORF-Führung vor Zuversicht: „Kopftuchmafia“, die Verfilmung des ersten Bandes, hatte am 28. Oktober 1,1 Millionen Haushaltsabgabenverpflichtete und 39 Prozent Martktanteil erreicht, den Rekordwert seit 2004. Jetzt erwartet man Vergleichbares von der Verfilmung des zweiten Bandes, „Uhudler-Verschwörung“, die im Oktober abgeschlossen wurde, wieder mit dem Verfasser in der Rolle des Ermittlers, versteht sich.

Und auch als bloßer Protagonist ist der gebürtige Steirer mit Pfahlwurzeln im burgenländischen Ort Stinatz ein Bringer erster Ordnung: Der Kinofilm „Griechenland“, Rekordhalter des Jahres 2023, erreichte anlässlich der ORF-Ausstrahlung im Februar 2024 1,2 Millionen.

Es ist immer schwer, den eigenen Erfolg zu erklären, aber ich glaube, das mit der Authentizität trifft zu

Thomas StipsitsKabarettist und Schauspieler

Großmacht in Zahlen

Wie unelegant das ist, zum Beginn eines Gesprächsporträts derart mit Zahlen um sich zu werfen! Aber der Kontrast ist zu reizvoll: der verschmitzte, stets freundliche Vieleskönner als nationale Großmacht. Was macht er in seinem 41. Jahr richtiger als andere? Ist es die Authentizität? Die Offenheit, mit der er vor zwei Jahren seinen Burn-out und dann die Scheidung von der Kollegin Katharina Straßer offenlegte? Wie kann das überhaupt sein, dass eine Krimireihe um drei kauzige alte Damen aus dem weltentlegenen Dorf Stinatz die junge Zielgruppe in Scharen an den Fernseher verpflichtet, dieses Retro-Gerät für die Zielgruppe Zentralfriedhof?

„Es ist immer schwer, den eigenen Erfolg zu erklären, aber ich glaube, das mit der Authentizität trifft zu“, sagt der Gefeierte. „Vielleicht auch die Menschlichkeit, weil viele meiner Figuren ja aus der Realität stammen. Das hat so einen Retro-Touch, der vielen Menschen anscheinend gefällt.“

Dergleichen könne man heute doch niemandem mehr zumuten, gaben Besserwisser vor den Stinatz-Krimis und vor dem warmherzigen Griechenland-Film zu bedenken: So ein Griechenland gebe es ja überhaupt nicht mehr! „Dagegen habe ich mich vehement gewehrt, weil ich seit 20 Jahren in Griechenland die zweite Heimat habe und weiß, wie der Blick von außen trügt.“

„Der Kabarettist, der Bücher schreibt“

Die Narrenfreiheit des Kabarettisten beschütze ihn angenehm bei den Nebenbeschäftigungen, vor allem beim Schreiben, das damit zur Rolle werde. „Ich kann mich schon so weit selbst einschätzen, dass die Literaturwelt bei meinem Auftauchen nicht den Atem anhält, als hätte der Currentzis den neuen Weg zu Mozart gefunden. Ich bin ein Kabarettist, der Bücher schreibt.“

Kabarett, definiert er für sich selbst, ressortiere für ihn mehr zur Beobachtung als zur Überspitzung. Eine Wohltat zu Zeiten angestrengter Böhmermann-Pädagogík, möchte man da hinzufügen. Nach dem idealen Kabarettschauplatz befragt, bemüht Stipsits das Freibad: Ein Senior, der sich mit dem Handtuch umwickelt, um darunter die Badehose zu wechseln – das ist eines der Geschenke, die das Leben bietet, wenn man zum Zuschauen gemacht ist. Eventuell stünde es dafür, die Wirkung auch in Deutschland zu erproben, definiert er ein nicht terminisiertes Ziel.

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 © Matt Observe/News

Nie wieder Krüppellied?

Wäre Qualtingers „Krüppellied“ heute noch aufführbar? „In dieser Form“, sagt Stipsits, „würde ich es nicht mehr machen, obwohl es eindeutig als satirische Nummer erkennbar ist und mir auch klar ist, wohin diese Nummer will. Aber heute muss man echt vorsichtig sein, weil die Leute sehr schnell beleidigt sind. Dabei dachte ich immer, dass man als Besucher eines Satireprogramms davon ausgehen kann, dass das Gesagte nicht unbedingt die Meinung dessen ist, der auf der Bühne steht, sondern vielleicht der dargestellten Figur.“

Die Kollegin Monika Gruber hat diesbezüglich mehr auszustehen, als man noch vor wenigen Jahren für möglich gehalten hätte. Sie wurde schon ins rechte Eck delogiert, ihr Verlag hat sich ihrer Bücher entledigt, weil sie die politische Inkorrektheit auf die Spitze getrieben hat. Das Wirken der Kollegin habe er immer super gefunden, erwidert er da, und jeder müsse sich nach seiner Fasson politisch äußern dürfen. „Ich persönlich“, fügt er hinzu, „würde das allerdings nicht in dieser Direktheit machen, mich auch eher in eine Figur zurückziehen. Das bietet weniger Angriffsflächen“, kommt er auf das eigene Schaffensprinzip und zitiert den unerreichbaren Qualtinger: „Wenn ich auf der Bühne Lösungen anbiete, bin ich nicht Kabarettist, sondern Landeshauptmann.“ Das, sagt er, finde er praktikabel. „Weil es ja auf beiden Seiten die Tendenz gibt, den Leuten erklären zu wollen, wie sie zu leben haben.“

Heute muss man echt vorsichtig sein, weil die Leute sehr schnell beleidigt sind. Dabei dachte ich immer, dass man als Besucher eines Satireprogramms davon ausgehen kann, dass das Gesagte nicht unbedingt die Meinung dessen ist, der auf der Bühne steht

Thomas StipsitsKabarettist und Schauspieler

Mysterium Stinatz

Stinatz wäre noch zu ergründen, diese unbegreifliche Geistesenklave im kroatischesten Burgenland, Bezirk Güssing, die einmal den prozentuell höchsten Akademikeranteil Österreichs hervorgebracht hat. Vater Stipsits kam von dort, der Kulturmoderator Ernst Grandits und die Resetarits-Brüder: der umsichtige Peter, der unsterbliche Willi und der große Lukas, der vermutet hat, durch Stinatz gehe eine unerforschte Wasserader. Stipsits führt das auf die Situation der dort Ansässigen zurück, die in der Kriegs- und der Nachkriegszeit vielfach Vertriebene und daher immer unter sich waren.

Dass die Resetarits’sche Wasserader fallweise auch Uhudler führt, will der große, in Leoben geborene Halbsohn Stipsits nicht bestreiten. Er selbst sei dem Bier zugeneigt und lasse sich in der Brauerei Gablitz seine eigene Hausmarke brauen, regional atypisch malzig und mehr im Bayrischen zu verorten.

Jetzt noch das politische Wort zum Jahreswechsel? Die zusehends grauslicheren Wahlergebnisse, an denen sich die Kabarettisten abarbeiten? „Ich bin“, holt er aus, „ein sehr politisch interessierter Mensch, mein Netflix sind Diskussionsrunden. Und wenn man die viel konsumiert, merkt man, dass alle im Prinzip immer das Gleiche sagen. Davon haben viele Leute die Schnauze voll. Man kommt mit dem Verarbeiten der Skandale nicht mehr nach und verliert den Glauben an die Politik, weil sich die Versprechen alle drei Tage ändern.“

Exemplarisch das Erblühen der steirischen FPÖ: ein Erdrutschsieg mit dem Hintergrund eines Finanzskandals, des Verdachtes auf Kinderpornografie und eines bedenklichen Todesfalls im Umkreis des Ex-Vizebürgermeisters Eustacchio. „Alles wurscht, die Leute haben die Nase schon so voll, dass massenhaft KPÖ-Wähler zur FPÖ gegangen sind.“

Ein schärferes politisches Kabarett wurde vielleicht nie geschrieben.

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