Ein Biotech-Pionier, der gegen die Impfpflicht ist

Hans Loibner, Pionier der heimischen Biotechnologie, ist gegen die Impfpflicht. Dies deshalb, weil Langzeitnebenwirkungen - entgegen der Feststellung vieler - noch unbekannt seien. Wie er das begründet und warum Totimpfstoffe vieles ändern könnten, erzählte er uns im Interview.

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Hans Loibner © Bild: Matt Observe/News
Hans Loibner; Jahrgang 1947, Chemiker, Forscher, Pharmamanager. Über 40 Jahre lang prägte der gebürtige Wiener die österreichische Biotechnologie-Szene. Er hatte leitende Positionen bei internationalen Riesen wie Sandoz/Novartis. Mit dem Molekularbiologen Josef Penninger gründete er Apeiron, war bis 2018 Vorstandsvorsitzender. Loibners Spezialgebiet ist die Krebs-Immuntherapie, aus der auch die BioNTech-Gründer kommen. Mit Apeiron brachten er und sein Team einen Antikörper gegen das bösartige Neuroblastom zur Zulassung. Heute ist der Opernfan, Impfbefürworter und Impfpflichtkritiker als Berater tätig.

Im Vorgespräch berichteten Sie mir, dass Sie dreimal gegen Covid geimpft wurden. Warum erzählen Sie so private Dinge?
Wir erleben gerade, dass Leute, die nachteilige Effekte der Impfung thematisieren, Schwierigkeiten bekommen. Und zwar nicht nur die, die manche mit dem Begriff "Schwurbler" zusammenfassen. Das betrifft auch ernst zu nehmende Experten. Ich erlaube mir, mich letztgenannter Gruppe zuzuordnen. Ich bin seit Jahrzehnten in der Erforschung und Entwicklung von Immuntherapien tätig.

Sie haben das also gesagt, damit ich Sie ernst nehme?
Ja (lächelt).

Wie stehen Sie als dreifach Geimpfter zur Impfpflicht?
Ich bin dagegen. Das sieht vielleicht wie ein Widerspruch aus, ist aber keiner. Ich bin überzeugt davon, dass wir noch immer zu wenig über diese Pandemie, vor allem aber über Wirkung und Nebenwirkungen der Impfung wissen, als dass wir sie verpflichtend machen können.

Das müssen Sie mir erklären.
Man muss anerkennen, dass die in Europa verwendeten Vakzine auf Technologien beruhen, mit denen man bei strenger Betrachtung keine Erfahrungen hat.

Das ist ein Standpunkt, den viele schon länger als widerlegt sehen. Das Argument lautet: Vektor-und mRNA-Produkte wurden inzwischen so oft verimpft, dass man keine Bedenken mehr haben müsse.
Das stimmt ja auch. Jedoch nur für den Zeitraum ihres bisherigen Einsatzes. Wenn jemand sagt, dass keine Langzeitnebenwirkungen zu erwarten seien, weil solche nach bisherigen Erfahrungen spätestens nach wenigen Wochen auftreten, sollte man hellhörig werden.

Meine Aufmerksamkeit gehört ganz Ihnen.
Dieses Wissen basiert auf Erfahrungen mit Impfstoffen klassischer Bauart. Gemeint sind Totimpfstoffe, bei denen inaktivierte ganze Viren verimpft werden und auf die unser Immunsystem dann reagiert. Die Produkte, die wir seit einem Jahr gegen Covid verimpfen, funktionieren anders. Ich würde sie - das soll nicht abwertend klingen - streng genommen nicht einmal als Impfstoffe bezeichnen. Eigentlich sind diese Präparate gentechnische Bauanleitungen für den Körper, dass sich dieser den Impfstoff selber macht.

Warum spricht das gegen die Impfpflicht?
Weil man Äpfel mit Birnen, also "echte" Impfstoffe mit gentechnischen Bauanleitungen vergleicht. Und genau deshalb kann man seriös auch nicht sagen, dass sich letztgenannte mittel- oder langfristig genauso verhalten wie lange erprobte Präparate. Wir wissen noch nicht einmal, was diese Präparate genau im einzelnen Körper machen.

Sie überraschen mich. Bisher hieß es, dass die Covid-Vakzine so gut erforscht wären wie kaum ein anderes pharmazeutisches Produkt.
Unsere Immunsysteme reagieren sehr unterschiedlich auf Vektor-und mRNA-Produkte. Dazu gibt es bis heute kaum Daten. Regulatorisch ist das faszinierend. Bei normalen Medikamenten muss man für die Zulassung vieles genau wissen: Höhe der Dosis, Verweildauer und -ort im Körper, welche Wechselwirkungen löst der Wirkstoff aus. Bei Covid-Impfungen weiß man jedoch nicht, wie viele Antigene der Körper produziert, wohin sie gehen, wie lange sie da sind und ob und wie diese Spike-Proteine mit diversen Geweben reagieren. Und trotzdem sind sie zugelassen.

»Ich misstraue jenen, die sagen, dass da sicher nichts sein kann«

Sie werden in der Branche als Pionier der österreichischen Biotechnologie bezeichnet, Sie beforschten - vereinfacht gesagt - das gleiche Feld wie die Weltstars von BioNTech: die Krebs-Immuntherapie. Misstrauen Sie Ihrer eigenen Technologie?
Nein. Ich misstraue jedoch jenen, die feststellen, "dass da eh und ganz sicher nichts sein kann". Wir wissen das schlichtweg nicht. Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Akut Angst muss niemand haben, das kann man aus den bisherigen Erfahrungen ableiten.

Es ist keine schöne Vorstellung, wie die dritte oder vierte Welle ohne die verfügbaren Vakzine verlaufen wäre.
Ich gebe zu, das ist ein gewisses Spannungsfeld. Wie erwähnt, auch ich habe mich für die Impfung entschieden. Das bedeutet jedoch nicht, dass es gut ist, andere dazu zu zwingen. Schon gar nicht unter den Vorbehalten, die ich Ihnen genannt habe. Saubere, objektive Information über Pros und Cons, aus der nicht gleich erkennbar ist, dass sie die Menschen zur Impfung überreden will, wäre wünschenswert.

Was können denn die angesprochenen Impfstoffe?
Die Impfungen können nach der Injektion von zwei Dosen im Fall einer Infektion einen milderen Verlauf bewirken. Die Wirkung ist aber ohne Booster nur einige Monate ausgeprägt. Die Impfungen verhindern aber leider eine Infektion und Weiteransteckung nur eingeschränkt, bei Mutationen noch weniger, siehe Omikron.

Die Dreifachimpfung ist inzwischen fast Standard. Versuche mit dem vierten Stich laufen. Wie lange kann man dieses Spiel fortführen?
Es gibt Methoden, mit denen man Allergien lindern oder heilen kann. Das nennt man Desensibilisierung. Dabei werden die entsprechenden Allergene in kleinsten Mengen verimpft. Immer wieder. Im Lauf der Zeit entwickelt das Immunsystem dann eine Toleranz gegenüber dem Allergen. Es reagiert also nicht mehr überschießend.

Sie testen, ob ich mitdenke. Bei der Covid-Impfung ist Ähnliches zu befürchten?
Zumindest werden unsere Immunsysteme zusehends toleranter. Irgendwann fällt die Reaktion nach jeder weiteren Impfung kürzer oder schwächer aus. Wenn Sie zu oft nachimpfen, begeben Sie sich auf den besten Weg, das Präparat unwirksam zu machen.

Wann beginnt der Prozess?
Das ist von Körper zu Körper unterschiedlich und müsste erforscht werden. Ich könnte mir aber vorstellen, dass dieser Effekt nach drei bis vier Impfungen schleichend beginnt. Erste Hinweise darauf gibt es ja schon. In Israel durchgeführte Viertimpfungen erhöhten die Antikörperspiegel nur mehr für sehr kurze Zeit.

War es "wissenschaftlich", anfangs den sogenannten "schwedischen Weg" harsch zu kritisieren, um nun festzustellen, dass dieser gar nicht so falsch war?
Auch Politiker nutzen natürlich die ihnen zur Verfügung gestellte wissenschaftliche Expertise. Leider benutzen sie dafür jedoch meistens nur jenes Wissen, das ihnen in ihre strategischen Pläne passt. Im Zusammenhang mit Covid gibt es erstaunlich viel, das mehr mit Meinung als mit Wissenschaft zu tun hat.

Ist es objektiv begründbar, warum in Österreich ein einziger Impfstoff, jener von Pfizer, einen knapp doppelt so hohen Marktanteil hat wie alle anderen zusammen?
Nein. Zumindest nicht für den anderen mRNA-Impfstoff von Moderna.

Wie konnte das dann passieren?
Das hat wohl damit zu tun, dass manche Präparate anfangs besser, andere schlechter verfügbar waren. Und dass Pfizer wohl auch geschickt verhandelt hat.

BioNTech-Gründer Uğur Şahin schreibt in seinem Buch, dass er sich deshalb für Pfizer als Partner entschied, weil sonst niemand über solche Fähigkeiten verfüge.
Das ist schlüssig. Pfizer hat eine weltweit etablierte Vertriebsorganisation.

Viele Impfkritiker sind eigentlich mRNA-Kritiker und sagen: Mit einem Totimpfstoff würde ich mich impfen lassen. Dabei gibt es solche Impfstoffe - nämlich aus China - schon lange. Warum nicht in den westlichen Industriestaaten?
Ein Unternehmen, Valneva, entwickelt so einen Impfstoff derzeit auch in Europa. Aber die Welt ist in der Sache zweigeteilt. Außerhalb Europas und Nordamerikas wird sehr viel mit Totimpfstoffen gegen Covid geimpft. Bei Bedarf verschenken die Chinesen ihre Vakzine sogar. Das hat mit geopolitischem Machtstreben zu tun. Peking will und kann sich so Einfluss schaffen.

China hat also gar kein Interesse, seine Impfstoffe nach Europa zu bringen?
Zumindest sieht es so aus. Das dürfte auf beiden Seiten begründet sein. Zwar läuft bei der EMA schon länger ein Zulassungsverfahren für einen von ihnen, doch dieses scheint seit Monaten zu pausieren. Dabei sind die chinesischen Totimpfstoffe schon lange von der WHO zugelassen.

Was bedeutet das für mich als Patienten?
Totimpfstoffe verursachen deutlich weniger Nebenwirkungen. Und bisher schienen sie ähnlich wirksam zu sein.

Warum bisher?
Na ja, es gibt keine kontrollierten klinischen Vergleichsstudien zwischen chinesischen Totimpfstoffen und westlichen mRNA-Produkten. Zumindest sind mir keine bekannt. Ich beschäftigte mich mit dem Thema, da Kollegen und ich versuchen wollen, eines dieser Produkte nach Europa zu bringen. Derzeit ist es noch zu früh, da mehr dazu zu sagen.

Zuletzt war zu lesen, dass sich die Totimpfstoffe mit der Omikron-Variante als pharmazeutische Totgeburt erweisen könnten: Sie seien annähernd unwirksam.
Ich halte das für unrichtig.

Warum?
Mit der Verabreichung von Vektor-und mRNA-Präparaten wird das Immunsystem darauf trainiert, ausschließlich die Krönchen-ähnlichen Spike-Proteine des Coronavirus anzugreifen. So ein Virus besteht aber noch aus 28 weiteren Proteinen.

Klingt bis jetzt eher kompliziert als einfach.
Geduld, das Entscheidende kommt erst: Mit Omikron hat sich das Coronavirus vor allem am Spike-Protein verändert. Deshalb lässt auch die Wirkung unserer Impfungen nach, und wir versuchen nun, das durch Boostern mit der Produktion von noch mehr Antikörpern etwas auszugleichen. Ein Immunsystem, das auf ganze Viren trainiert wurde, kann aber auf viel mehr Bestandteile des Virus reagieren.

Als Bürger konnte ich zuletzt jedoch lesen, dass die geringe Wirksamkeit der Totimpfstoffe auch im Labor nachgewiesen wurde.
Das hat damit zu tun, dass die eingesetzten Tests nur die Fähigkeit untersuchten, wie gut oder schlecht induzierte Antikörper am Omikron-Spike-Protein binden und damit das Virus neutralisieren. mRNA- und Vektor-Impfstoffe können ja nur die Produktion von Anti-Spike-Antikörpern auslösen. Ein mit Totimpfstoff trainiertes Immunsystem reagiert vermutlich weniger stark auf das Spike-Protein, erkennt aber auch viele andere Virusbestandteile. Eine Fähigkeit, die solche Tests gar nicht abfragen.

Wann werden wir mehr über die Wirksamkeit von Totimpfstoffen wissen?
Sehr bald. Abgesehen von China, wo man Corona vor allem mit rigiden Maßnahmen eindämmt, wurde in Südamerika und im arabischen Raum massiv mit Totimpfstoffen geimpft. Anhand der Verbreitung und Schwere von Omikron-Infektionen werden wir in der Realität sehen, ob und, falls ja, wie diese Vakzine dann wirken.

Erlauben Sie mir zum Abschluss eine Frage zu meinem Fachgebiet. Von einem sauberen Journalismus wird erwartet, dass er sich nicht mit einer Sache gemein macht, Distanz wahrt. Ist das uns Medien in der Covid-Krise gelungen?
Ich glaube, dass dieser Anspruch von niemandem wirklich erfüllt werden kann. Journalisten sind Menschen, keine Maschinen, haben Meinungen und Haltungen, die sie nie vollständig werden ausblenden können. Das ist auch okay so.

»Etwas weniger Aufregung täte allen gut«

Welche Haltungen konnten Sie in der Covid-Berichterstattung bei uns Journalisten denn beobachten?
Mir fällt auf, dass gerade in Tageszeitungen aller Art Nachrichten spektakulärer dargestellt werden, als sie eigentlich sind. Etwas weniger Aufregung täte allen gut.