So funktioniert das Milliardenbusiness mit den Corona-Tests

Eine News-Recherche zeigt, wie die Politik beim Aufsetzen eines bundesweiten PCR-Test-Systems scheiterte. Und warum die durchführenden Labors auch für unbrauchbare Zertifikate Rechnungen stellen, die letztlich die Steuerzahler begleichen. Über das Ausmaß des Schadens schweigt das Gesundheitsministerium.

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PCR-Test © Bild: iStockphoto.com/dra_schwartz

Ohne PCR-Tests - und eingeschränkt Antigentests - geht mittlerweile fast nichts mehr. Das gilt nicht nur für Ungeimpfte. Egal ob in Schulen, Spitälern oder an bestimmten Arbeitsplätzen: Geimpft oder genesen ist nicht genug. In Wien soll künftig sogar 2 G plus - also geimpft oder genesen und zusätzlich PCR-getestet - generell gelten. Wer am öffentlichen Leben teilnehmen will, muss sich also immer öfter testen lassen.

Wenig verwunderlich, dass die Zahl der Covid-Testungen explodiert ist: Betrug diese im Jahr 2020 noch 3,8 Millionen, so waren es 2021 bis November bereits 203 Millionen, darunter immer mehr der aufwendigeren PCR-Analysen (siehe Grafik unten) . Trotz der auf den ersten Blick beeindruckenden Zahlen ist es Bund und Ländern nicht gelungen, österreichweit ein stabiles PCR-Test-System aufzusetzen. Mit Ausnahme von Wien, das schon im Frühling 2021 eine zuverlässige Zusammenarbeit mit Firmen unter Führung der Laborgesellschaft Lifebrain begann, kommt es in den Bundesländern laufend zu Engpässen. Nicht selten langen Testergebnisse zu spät ein, manchmal auch gar nicht.

Das Milliardengeschäft mit den PCR-Tests, Grafik
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Die regionalen Systeme scheinen seit Wochen überfordert zu sein. Sie können die Testflut offenbar nicht nur logistisch nicht bewältigen. Eine Situation, die einen Rattenschwanz an Problemen nach sich zieht und für die letztlich die Steuerzahler aufkommen müssen.

Riesiges Volumen

Allein auf Seiten des Bundes geht es um Aufträge im Wert von rund 2,5 Milliarden Euro. Die Republik hat über die Bundesbeschaffung GmbH (BBG) bereits im Herbst 2020 die erste EU-weite Ausschreibung für Covid-Tests mit einem Auftragswert von 535 Millionen Euro durchgeführt und mit Dienstleistern eine entsprechende Rahmenvereinbarung abgeschlossen. Aus dieser können alle Gebietskörperschaften ihren Bedarf an PCR-Testungen decken. Auch Wien hat das Angebot genutzt.

Angesichts der steigenden Nachfrage folgte im Sommer 2021 dann der nächste Schritt. Wieder schrieb die BBG Testdienstleistungen öffentlich aus. Dieses Mal im Wert von 1,95 Milliarden Euro.

Mit Stand November 2021 liegen der Bundesbeschaffung GmbH Rechnungen für Abrufe aus den beiden Rahmenvereinbarungen in Höhe von 700 Millionen Euro vor. Und täglich werden es mehr. Neben diesem Angebot des Bundes besteht für öffentliche Auftraggeber wie Länder und Gemeinden zusätzlich die Möglichkeit, selbst Vergabeverfahren für Testdienstleistungen durchzuführen.

Lukrative Geschäfte

Am riesigen PCR-Test-Kuchen der BBG schneiden derzeit 21 Labors mit. Bei Antigentests sind es 79. Dazu kommen unabhängig davon noch Apotheken und Mediziner, die Testungen vornehmen. Aber auch Krankenhäuser wie die der Barmherzigen Brüder führen Covid-Analysen in eigenen Labors durch. Aufgrund der exorbitant gestiegenen Zahl der Testungen sind die Preise dafür in den vergangenen Monaten deutlich gesunken. Fünf bis acht Euro kostet aktuell ein Test im Großlabor des Wiener Gurgeltest-Anbieters Lifebrain. Apotheken hingegen verrechnen dem Bund über Zwischenstationen eine Pauschale von 25 Euro, aus der sie ihre eigenen und auch die Kosten des beauftragten Labors begleichen. Bis vor Kurzem waren die Preise für PCR-Tests noch wesentlich höher. So erhielt etwa das Rote Kreuz in Kärnten bis zum Sommer allein 28 Euro für die Probenentnahme. 60 weitere Euro bezahlte das Land anschließend dem Labor für die Auswertung.

"Koste es, was es wolle"

Im Rahmen der Recherche für diesen Beitrag ist es uns gelungen, ausreichend viele Puzzlestücke zusammenzutragen, um ein klares Bild aus der Perspektive des Steuerzahlers zu zeichnen. Das ernüchternde Fazit lässt sich auf ein Zitat reduzieren, mit dem Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz im März 2020 die Bereitschaft des Staates zum Geldausgeben beschrieb: "Koste es, was es wolle."

Losgelöst von der gesundheitlichen Perspektive scheinen sich Bundes-und Landesregierungen bis auf wenige Ausnahmen nämlich nur am Rande dafür zu interessieren, ob die mit Steuermitteln bezahlten Dienstleistungen überhaupt zufriedenstellend erbracht werden.

Was hier abstrakt und theoretisch klingt, kann der Betreiber einer Wiener Apotheke in zentraler Lage lebensnah beschreiben. Seinen Namen machten wir unkenntlich, nennen wir ihn U. Er erzählt, dass sich seit Einführung der 2-G-Pflicht in Lokalen und aktuell der PCR-Testpflicht für Ungeimpfte am Arbeitsplatz zahllose Kunden über zu spät oder gar nicht übermittelte Testzertifikate beschweren. "Das Telefon", sagt er, "hört nicht auf zu klingeln. Ich tue fast nichts anderes mehr, als zu telefonieren."

News verfolgte die Spur solcher PCR-Tests. Für Apotheker ist die Dienstleistung mit Entnahme und Einsendung der Probe an ein Vertragslabor erbracht. Am Ende jedes Monats stellt U. für jeden abgenommenen Test 25 Euro in Rechnung. Ob und wann ein Labor einen Test in die Systeme des Bundes einmeldet, über die die Kunden schließlich ihre Zertifikate bekommen, macht keinen Unterschied. Gezahlt wird immer. U. erzählt: "Das von uns beauftragte Labor schickt uns im Anschluss nur noch seine eigene Rechnung. Wir erfahren von nicht rechtzeitig erbrachten Tests in Wahrheit nur in Form von Beschwerdeanrufen."

Diese traten zuletzt übrigens so oft auf, dass U. den Vertrag kündigte und sich einen neuen Dienstleister suchte.

Wie viele Testzertifikate spät oder zu spät, nämlich bereits nach Ablauf der behördlichen Gültigkeitsdauer, ausgestellt werden, daraus machen die Bundesregierung und ihre Partnerunternehmen ein Staatsgeheimnis. Das Salzburger Großlabor Novogenia zum Beispiel berief sich auf Anfrage auf vertraglich festgelegte Vertraulichkeit. Und auch unser mehrfaches Ersuchen beim Gesundheitsministerium dazu blieb eine Woche lang bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Dies, obwohl die Abfrage der Daten zumindest von außen einfach erscheint: Im digitalen Testsystem des Bundes sind nämlich sowohl der Zeitpunkt der Probenabnahme als auch die Uhrzeit der Ausstellung des zugehörigen Zertifikats auf die Minute genau vermerkt.

Wenige Fälle können es nicht sein. Die Bundesländerzeitungen sind seit Wochen voll von Berichten und Beschwerden über zu spät eingelangte Ergebnisse. In Niederund Oberösterreich, Salzburg und der Steiermark wurden wegen der überlasteten Labors Sperren für positiv Getestete angekündigt. Und im Rahmen unserer Spurensuche stießen wir auf Personen, die davon betroffen waren, News jedoch baten, ihre Identitäten nicht öffentlich preiszugeben.

In Wien überließ uns W. Zertifikate für PCR-Tests, die für mehrere Familienmitglieder in Apotheken abgenommen wurden und deren Ergebnisse zwischen 49 und 98 Stunden später vorlagen. In der Hauptstadt sind solche Zertifikate nach Probenabnahme 48 Stunden lang gültig.

C. wiederum ist Biotech-Unternehmer aus der Steiermark. Dort gilt, wie in allen anderen Bundesländern, eine 72-Stunden-Frist. Er berichtet davon, dass knapp ein Drittel seiner Mitarbeiter ungeimpft ist und deshalb PCR-Tests braucht. PCR-Tests, deren Auswertung bei den öffentlich zugänglichen Teststellen allesamt länger brauchte als drei Tage.

Geld für wertlose Tests

Oberösterreicher B. musste auf das Ergebnis eines in der Teststraße in Vöcklabruck durchgeführten Tests für den Besuch seines Vaters im Heim 96 Stunden warten.

Gelegentlich kommen jedoch nicht einmal mehr die Zertifikate. R. ist Intensivpflegerin in einem Covid-Spital in Niederösterreich, lässt sich nicht nur beim Arbeitgeber, sondern auch privat regelmäßig mit der PCR-Methode testen. Mit folgendem Ergebnis: "Von den letzten fünf Testabnahmen erhielt ich nur viermal überhaupt ein Zertifikat." Wenigstens die Tests im Spital, die der Betreiber organisiere, würden zeitgerecht ausgewertet.

Und auch in Schulen kommen PCR-Testergebnisse wenig zuverlässig zurück. Vergangene Woche dokumentierte Direktorin J. in ihrer Mittelschule in der Nähe von St. Pölten, dass das Labor die Tests von 51 ihrer 201 Schüler nicht auswertete.

Aus all dem ergibt sich eine zentrale Frage, die bisher noch kaum jemand stellte: Werden auch außerhalb der Apothekenschiene mit Steuergeld Tests bezahlt, deren Zertifikate wertlos sind, weil ihre Gültigkeit schon vor dem Ausstellen der Dokumente ablief? Die Antwort lautet: Ja. Allerdings mit Grauzonen und einem Schuss föderalen Chaos.

»In der Ausschreibung ist kein Modus der Pönalisierung von Verspätungen vorgesehen«

Die Recherche beginnt in Kärnten. Inzwischen nutzt man auch am Wörthersee die Möglichkeit, Testdienstleistungen aus den Rahmenvereinbarungen der BBG abzurufen. Das drückte den Preis von einst 88 auf aktuell 4,10 bis 23 Euro pro PCR- Analyse. Allerdings ist es dabei in Klagenfurt egal, ob die Getesteten rechtzeitig oder überhaupt einen Befund bekommen.

"In der vom Bund vollzogenen Ausschreibung ist kein Modus der Pönalisierung von Verspätungen vorgesehen", heißt es in einer Stellungnahme der Landesregierung.

Wir verfolgen die Spur des Geldes weiter. Sie führt uns von Klagenfurt nach Wien in einen wuchtigen Bürokomplex nahe der Donau, in dem neben der A1 Telekom auch die Bundesbeschaffung GmbH ihr Hauptquartier hat. Der Auftrag der BBG lautet, im Sinne aller Steuerzahler für öffentliche Einkäufe die bestmöglichen Angebote einzuholen. Was wir bei der BBG erfahren, widerspricht der Darstellung der Kärntner Landesregierung fundamental.

BBG sind Länder in der Pflicht

In einer ausführlichen Stellungnahme teilt die BBG mit, dass in den Rahmenvereinbarungen sehr wohl Pönalzahlungen für - zum Beispiel -mangelhafte und nicht zeitgerechte Leistungen vorgesehen seien. Diese müssten jedoch in Einzelverträgen zwischen den Ländern und den Labors auch individuell festgeschrieben werden. Nach Beurteilung der BBG handle es sich bei der Frage, ob Zahlung oder nicht, "um keine vergaberechtlichen, sondern vielmehr um vertragsrechtliche Probleme".

Demnach liege die Verantwortung über die Auszahlung von Steuermitteln für mangelhaft durchgeführte Tests bei den Ländern. Geht man also nur in Kärnten leichtfertig bei der Auszahlung von Steuergeld für PCR-Tests vor, deren Zertifikate für die Getesteten oftmals wertlos sind?

Ausweichende Antworten

Zur Gegenprobe schicken wir unsere immer gleiche Frage ("Werden verspätete Tests bezahlt?") ins Büro von Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer. Salzburg ist derzeit eines der Länder mit dem höchsten Infektionsgeschehen. Die Antwort kommt prompt, ist ausweichend und enthält kein Ja und kein Nein. Nur den Hinweis, dass man mit den steuerfinanzierten Massentests eine vom Bund an die Länder delegierte Aufgabe erfülle, dafür eine Ausschreibung des Bundes abrufe, und dass Fragen zu "deren Sinnhaftigkeit in Konzeption und Umsetzung" deshalb auch an den Bund zu richten seien.

»Salzburg setzt eine Maßnahme um, deren Sinn beim federführenden Ministerium zu erfragen ist«

Zur Erinnerung: Das Ministerium schweigt dazu. Und die BBG sagt, dass die Geltendmachung von Pönalen in der Verantwortung der Länder liege.

Bis zu diesem Zeitpunkt unserer Spurensuche scheint sich niemand dafür zu interessieren, was die Steuerzahler für ihr Geld bekommen. Bis wir uns in der Steiermark und Oberösterreich umhören. Die Krisenstäbe beider Länder verfügen nicht nur über Daten, sondern sehen sich als Erste überhaupt auch für eine Form der Rechnungsprüfung verantwortlich. Allerdings mit einem gravierenden Haken, auf den der steirische Testkoordinator Harald Eitner hinweist.

Mutige Angebote

Zwar sehe die Rahmenvereinbarung der BBG vor, dass Laborbetreiber spätestens 24 Stunden nach Abholung der Proben ein Ergebnis übermittelt haben müssen. Bei Zertifikaten, die wegen Ablaufs der 72-Stunden-Frist seit Probenentnahme ungültig ausgestellt werden, ist es dennoch unmöglich, das Labor dafür verantwortlich zu machen, denn: Für die Gültigkeitsdauer ist der Zeitpunkt der Probenentnahme entscheidend. Wie viel Zeit die Bürger selbst bis zum Einwerfen der Probe in eine Sammelbox verstreichen lassen, kann niemand nachvollziehen. Die Folge: Das Labor kann auch nicht für die lange Dauer verantwortlich gemacht werden.

Die für den Steuerzahler nachteiligen Zahlungsbedingungen scheinen nicht nur in zahnlosen Verträgen oder im Weiterreichen der heißen Kartoffel zwischen Bund und Ländern begründet zu sein. Im flächenmäßig größten Bundesland, Niederösterreich, ist in der Verwaltung auch vorsichtige Kritik an den zu optimistischen Angeboten der Großlabors zu hören, die diese einst der BBG legten. Die Bieter, heißt es in St. Pölten, könnten ihre versprochene Leistung nämlich nur bis zu einer Positiv-Rate von 1,5 Prozent erbringen. "In einigen Ländern lagen wir aber bei über fünf Prozent."

Aus eins mach elf

Zu tun hat das damit, dass die Labors bis zu zehn Proben zu einem sogenannten Pool zusammenmischen. So erhält man im besten Fall mit einem Test zehn negative Ergebnisse. Ist jedoch nur eine der zehn Proben Corona-positiv, dann müssen alle zehn Rückstellproben einzeln ausgewertet werden. Aus ursprünglich einer werden so mit einem Schlag elf PCR-Analysen, nämlich der Pooltest und zehn Einzeltests.

Niederösterreich griff letztlich nicht auf die BBG-Rahmenvereinbarung zurück und schrieb sein Gurgeltestprogramm selbst aus. Angeblich sogar inklusive anwendbarer Pönalzahlungen. Die Details dazu unterlägen jedoch ebenfalls der Geheimhaltung.

Kosten-Nutzen-Frage

Auch wenn der Status quo intransparent ist, werden PCR-Tests künftig wohl noch häufiger Bestandteil des täglichen Lebens. So hat die die Bundesregierung beratende "Covid-19-Future-Operations-Plattform" -die vom Adjutanten von Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Thomas Starlinger und der von Sebastian Kurz ins Kanzleramt geholten Antonella Mei-Pochtler geleitete Gruppe -in ihrem letzten Statement vom 12. November ihren Strategievorschlag zur Bekämpfung der Pandemie veröffentlicht.

»Aus 2 G muss 2 G plus werden. Dies muss konsequent umgesetzt und auch kontrolliert werden«

Neben dem konsequenten Schließen von Impflücken sieht dieser vor, dass mit "zusätzlichen regelmäßigen PCR-Tests Sicherheit in der Hochinzidenz" geschaffen wird. Wörtlich heißt es in dem Papier: "Aus 2 G muss ein 2 G plus (geimpft oder genesen und PCR-getestet) werden; dies muss konsequent umgesetzt und auch kontrolliert werden. PCR-Tests sollten von möglichst vielen Personen regelmäßig, also drei Mal pro Woche, durchgeführt werden." Auch "nach Impfung oder Genesung (mehr als zwei Monate nach Krankheit)" seien "PCR-Tests in längeren Abständen oder bei Verdacht bzw. vor/nach Treffen größerer Personengruppen alle 72 Stunden zu empfehlen". Ebenso wie "2,5 G am Arbeitsplatz und regelmäßige PCR-Tests bei Geimpften". Dazu soll es "dreimalige PCR-Tests pro Woche an allen Schulen und Bildungseinrichtungen, und zwar für alle, die dort lernen, lehren oder arbeiten", geben.

Um das Kosten-Nutzen-Verhältnis aktueller und womöglich künftiger Testpläne abschätzen zu können, lohnt ein Blick ins benachbarte Ausland. Während in Österreich derzeit täglich 52 von 1.000 Menschen getestet werden, sind es in der Schweiz fünf und in Deutschland gar nur drei. Und dennoch weisen beide Länder aktuell ein niedrigeres Infektionsgeschehen als Österreich auf. Während die Sieben-Tage-Inzidenz hierzulande zu Redaktionsschluss 1.265 pro 100.000 Einwohner betrug, lag sie in der Schweiz bei 860 und in Deutschland bei 687.