"Ich höre oft: Meine Frau
hat mich provoziert"

Jedes Jahr holt die Wiener Polizei etwa 3.000 Männer aus ihren Wohnungen, weil sie ihre Frauen schlugen. Alexander Haydn behandelt die Täter. Wie kann er sie therapieren?

von Häusliche Gewalt - "Ich höre oft: Meine Frau
hat mich provoziert" © Bild: News/herrgott

Schon wieder wurde eine Frau durch die Hand des Mannes getötet, der vorgab sie zu lieben. Es ist heuer die sechste Frau. Wirkt es nur so oder steigt die Zahl von häuslicher Gewalt mit Todesfolge?
Ich habe den Eindruck, dass es in den vergangenen Jahren häufiger dazu kommt. Aber ich befürchte, dass es das schon immer gegeben hat. Seit etwa zehn Jahren richtet sich die Aufmerksamkeit mehr darauf. Speziell in Europa hat man häusliche Gewalt als eigene Form definiert, erforscht die Phänomene und schafft Gesetze. Wenn man bedenkt, dass der Ehemann noch in den 70er-Jahren seine Frau züchtigen durfte, dann weiß man, dass patriarchale Strukturen auch in Österreich heimisch sind. Das ist keine importierte Gewalt.

Sie beraten Männer, die ein Problem mit Gewalt haben. Kommen Ihre Klienten freiwillig zu Ihnen?
Die meisten kommen, weil sie müssen. Ein Drittel erhält eine gerichtliche Weisung zu einem Anti-Gewalt-Training. Diese Männer wurden zuvor wegen Körperverletzung, Nötigung oder Drohung verurteilt. Ein weiteres Drittel wird von der Jugendwohlfahrt zu uns geschickt, weil Kinder in dem Haus gemeldet oder anwesend waren, als der Mann gewalttätig wurde. Und ein Drittel kommt eingeschränkt freiwillig. Das heißt in der Regel, dass die Ehefrau, der Bruder, der Vater, der beste Freund sie schicken, im Sinne von: Geh zur Männerberatung, du hast ein Problem.

Welche Männer kommen denn zu Ihnen?
Häufig sind es Männer, die in ihrer Jugend Gewalt erfahren haben. Entweder selbst als psychisches Opfer oder sie haben zugesehen, wie der Vater die Mutter geschlagen hat. Diese Männer haben sich das abgeschaut und glauben, dass man so reagiert, wenn man sonst nicht weiter weiß. Ein Teil der Männer glaubt auch, dass sie Gewalt anwenden müssen, um Macht und Kontrolle über die Frau zu erlangen. Und dann gibt es noch welche mit psychischen Störungen. Aber es gibt bestimmt noch 20 weitere verschiedene Theorien, warum Männer ihre Frauen schlagen.

Gibt es einen bestimmten Typen, der seiner Frau Gewalt antut?
Der typische Klient bei uns in der Männerberatung ist zwischen 25 und 55 Jahren. Er ist von niedrigem bis mittlerem Bildungsniveau. Wir betreuen Rechtsanwälte und Polizisten genauso wie Straßenbahner, Müllabfuhr-Beamte, Arbeitslose, Handwerker. Da gibt es kein klares Muster. In den letzten Jahren vermehrt auch Männer mit Migrationshintergrund, die aus verschiedenen Ländern zugewandert sind. Die erlebten in ihrem Ursprungsland eine patriarchale Struktur.

Wie kann häusliche Gewalt ausschauen?
Es muss nicht immer um körperliche Gewalt gehen. Es gibt andere Gewaltformen, die gesetzlich verurteilt werden. Zum Beispiel psychische Gewalt. Wenn der Mann seiner Frau droht, sie einschüchtert. Oder die ökonomische Gewalt. Wenn Frauen die Rechnungen vom letzten Einkauf herzeigen, sie das Wechselgeld zurückzahlen müssen oder die Männer das Konto überwachen. Das kann so weit gehen, dass Frauen räumlich eingesperrt werden. Nach dem Motto: Du darfst nur aus dem Haus, wenn du mit mir oder einem männlichen Verwandten gehst. Oder wenn der Mann droht, dass er der Frau die Kinder wegnimmt. Da gibt es eine ganze Bandbreite, wie Gewalt in Familienbeziehungen ausgeübt wird.

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Ist Gewalt in Familien immer männlich?
Ja, meistens. Es gibt auch Frauen, die ihre Männer schlagen. Das Verhältnis liegt etwa bei eins zu neun. Das ergibt sich aus den Wegweisungszahlen. Es kommt vor, dass Frauen schlagen. Aber häufig kommt später raus, dass sie sich gewehrt haben. In vielen Beziehungen gibt es einen jahrelangen Gewaltkreislauf. Aus verschiedensten Gründen haben Frauen oft nicht den Mut, sich zu trennen. Und, wenn Frauen die Kraft finden, sich aus Beziehungen zu lösen, ist das der gefährlichste Moment.

Wie viele Männer kommen zu Ihnen zu Männerberatung Wien?
Zurzeit kommen etwa 80 bis 100 Männer pro Monat zu uns in die Betreuung bei häuslicher Gewalt. Aber die Polizei registriert jährlich allein in Wien 3.000 Wegweisungen nach häuslicher Gewalt. Österreichweit gibt es mehr als 8.000 Wegweisungen. Aber das Anti-Gewalt-Training gibt es in dieser Form nur in Wien und Graz. Das ist im Moment einfach viel zu wenig.

Was passiert, wenn ein Mann neu zu Ihnen kommt?
Zunächst gibt es ein Informationsgespräch. Danach kommt der Mann in die sogenannte Clearingphase, hier gibt es eine Reihe von psychologischen Tests. Es gibt einen Persönlichkeits-und einen Alkoholfragebogen. Er wird zu seinem Gewalt-und Beziehungsverhalten befragt. Parallel dazu spricht eine Opferschutzeinrichtung mit seiner Frau. Zum Beispiel wird der Mann gefragt: Wie häufig haben Sie Ihre Frau in den letzten drei Monaten geschlagen? Er antwortet vielleicht ein-, zweimal. Die Frau wird gefragt: Wie häufig hat Ihr Mann Sie in den letzten drei Monaten geschlagen? Und sie antwortet: Dreimal wöchentlich. Dieses Beispiel zeigt, warum es unter anderem so wichtig ist, dass Gewaltarbeit in Familien nach dem Konzept der sogenannten opferschutzorientierten Täterarbeit durchgeführt wird und es in jedem Fall eine fallbezogene Vernetzung mit einer Opferschutzorganisation geben muss. Danach folgen Clearing-Gruppensitzungen, um den Mann erst einmal an die Situation zu gewöhnen und zu testen, ob er gruppenfähig ist. Erst wenn er das alles durchlaufen hat, wird darüber entschieden, ob ein Anti-Gewalt-Training das Richtige für ihn ist.

Was wären Gründe, einen Mann nicht in die Gruppe aufzunehmen?
Sucht oder Alkoholverhalten, das akut ist. Männer, die nüchtern kein Problem haben, aber nach zehn Bier zuschlagen. Hier gilt es in erster Linie, sich um das Suchtverhalten zu kümmern, bevor man weitermachen kann. Auch Männer mit einer Persönlichkeitsstörung sind einfach nicht für Gruppenarbeit geeignet. Die werden im Einzelsetting therapeutisch betreut. Dann kommt es vor, dass der Mann eine berufliche Tätigkeit ausübt, die eine regelmäßige Gruppenteilnahme nicht möglich macht. Sie müssen zum Beispiel im Schichtdienst arbeiten. Das macht keinen Sinn, wenn sie nur jede dritte Woche kommen. Ganz oft können Männer in Gruppen nicht aufgenommen werden, weil sie schlecht Deutsch sprechen. Wir haben kein fremdsprachiges Angebot. Wir versuchen sie in Einzelgesprächen zu betreuen, aber das Angebot ist überschaubar. Tatsächlich müssten wir 20 verschiedene Sprachen anbieten. Das können wir nicht.

Wie läuft ein Anti-Gewalt- Training ab?
Gruppen werden von zwei GruppenleiterInnen, jeweils eine Frau und ein Mann, geleitet. Es gibt eine Eröffnungsrunde, wo jeder sein eigenes Thema einbringen kann. Dabei geht es darum, wie es den Männern in der vergangenen Woche gegangen ist. Was passiert ist, ob es einen gewalttätigen Vorfall gegeben hat. Ein aktuelles Thema hat immer Vorrang. Also, wenn es in einer Familie erneut zu Konflikten gekommen ist, dann kriegt der Mann die Gelegenheit, das zu äußern. In den meisten Fällen haben wir die Informationen darüber schon von der Opferschutzeinrichtung bekommen. Wenn die Männer das von selbst nicht ansprechen, dann werden sie unmittelbar in der Gruppe damit konfrontiert. Diese Transparenz ist von Anfang an klar. Wir stehen im wöchentlichen Kontakt mit der Opferschutzeinrichtung. Die sind wiederum in Kontakt mit dem Familiensystem. Das heißt, wir sprechen nie direkt mit den Opfern, sondern sprechen immer nur mit der Beraterin.

Ist den Männern das peinlich?
Ja, familiäre Gewalt ist extrem schwarmbesetzt. Deshalb ist es auch so wichtig, dass Experten mit diesen Männern sprechen und sich nicht scheuen dieses Thema anzusprechen und zu hinterfragen. Ganz oft hören wir Schuldzuweisungen. Etwa so: "Die Frau hat mich provoziert","Ich hab gar nichts getan","Die hat mich reingelegt", "Es war gar nicht so schlimm". Wenn man sich dann die Ergebnisse anschaut, dann haben die Frauen einen doppelten Jochbeinbruch.

Wie lange läuft der Kurs?
Das ist ein Programm mit 32 Modulen, wo jederzeit ein Einstieg möglich ist. Die Männer sind in etwa ein Jahr bei uns. Einmal in der Woche für zwei Stunden Gruppensitzung. 32-mal muss der Mann da sein. Die Anwesenheit wird gezählt, egal ob Urlaub oder Krankheit dazwischenkommt.

Kann der Mann aus dem Kurs geschmissen werden, wenn er wieder gewalttätig wird?
Es kommt darauf an. Natürlich gibt es die Übereinkunft, dass Männer ihr gewalttätiges Verhalten einstellen. Wenn es in einer Beziehung einen neuerlichen Gewaltfall gibt, dann wird gemeinsam mit der Opferschutzeinrichtung beschlossen, was wir machen. Ihn ganz rauszuschmeißen ist in den meisten Fällen die schlechteste Lösung. Ganz oft entscheiden wir, dass wir den Mann aus der Gruppe rausnehmen und für fünf oder zehn Einheiten in Einzelgesprächen betreuen, um konkret diesen Gewaltvorfall zu besprechen. Danach wird er wieder in die Gruppe integriert. Oder es wird beschlossen, dass der Mann das Trainingsprogramm noch mal beginnen muss.

Welche Methoden nutzen Sie in den Gruppengesprächen?
Ein Anti-Gewalt-Training baut auf vier Bausteinen auf. Das eine ist die biografische Arbeit. Da spielen Fragen eine Rolle, wie: Was ist in meinem Leben passiert, dass ich gewalttätig wurde? Wie bin ich aufgewachsen? Wie war mein Vater? Wie habe ich Gewalt erlebt? Der zweite Baustein ist der Umgang mit Impulsen. Wie zum Beispiel: Was kann ich tun, wenn ich merke, dass ich meine Frau schlagen will? Es geht darum, die Impulse zu erkennen. Ich hatte zum Beispiel einen Klienten, der hat immer Durst bekommen, bevor er seine Frau geschlagen hat. Das wäre so ein körperliches Warnsignal. Der dritte Baustein ist die Kommunikation. Darin lernen die Männer, wie sie richtig streiten. Wie höre ich richtig zu? Wie bereite ich mich auf einen Konflikt vor? Wie kann ich aus einem Konflikt aussteigen? Und zum Schluss der wesentlichste Baustein: das Üben und Umsetzen. Wir machen Rollenspiele oder ähnliche Verhaltenstrainings. Die Männer schlüpfen dabei zum Beispiel in die Rolle ihrer Frauen und versuchen die Welt aus deren Sicht zu verstehen. Über allem steht jedoch die Verantwortungsübernahme: Klienten sollte es ermöglicht werden, die uneingeschränkte Verantwortung für ihr gewalttätiges Verhalten zu übernehmen.

Sind die Männer nach dem Anti-Gewalt-Training nicht mehr gewalttätig?
Verkürzt dargestellt haben Männer, die ein Anti-Gewalt- Training nach unserem Setting absolvieren, eine um 50 Prozent höhere Chance, nicht mehr erneut gewalttätig zu werden im Vergleich zu Männern, die gar nichts machen.

Sie sagten bereits, dass das Angebot nicht ausreichend ist. Was fordern Sie von der Politik?
Ab dem 1. Jänner 2021 sind Männer, die von der Polizei aus ihren Wohnungen weggewiesen werden, verpflichtet, sich aktiv um eine Gewaltpräventionsberatung zu bemühen. Tun sie das nicht, müssen sie mit einer Verwaltungsstrafe rechnen. Dabei geht es aber nur um die Erstberatung. Das sind maximal drei Beratungsstunden. Weiterführende Maßnahmen, wie zum Beispiel Anti-Gewalt-Trainings, sind im Gesetz nicht vorgesehen. Dafür fehlt auch die Idee, wie das bezahlt werden soll. Im Moment sind wir hauptsächlich vom Innenministerium, aber auch von der Justiz, dem Sozial-und auch Familienressort gefördert. Die Männer müssen zusätzlich einen Selbstkostenbeitrag aufbringen. Jede Woche 25 Euro, in sozialschwachen Fällen 15 Euro. Wünschenswert wäre, dass diese Angebote als Leistung der Gesellschaft flächendeckend in Österreich angeboten werden. Dass langfristige Maßnahmen im Anschluss an Gewaltprävention angeboten werden. Österreichweit ist so was sehr notwendig. Es gibt überall Männer, die gewalttätig sind. Es ist notwendig, dass die Politik mit Fördermaßnahmen in allen Bundesländern unterstützt. Denn die Folgekosten von Gewalt sind nicht abzuschätzen.

Was raten Sie betroffenen Frauen?
Die Polizei verständigen. Idealerweise wird die Polizei das ernst nehmen und eine Wegweisung aussprechen. Aber wir fordern von der Politik die Möglichkeit, dass wir als Männerberatung die Täter aktiv kontaktieren können. Das bedeutet Krisenintervention. Dass wir mit dem Mann sprechen, hören was passiert ist, ihn runterholen, ihm verständlich machen, dass es passieren kann, dass Beziehungen scheitern. Im Moment verhindert das die Datenschutzgrundverordnung. Das heißt, wir bekommen als Männerberatung keine Informationen über weggewiesene Männer. Im neuen Gesetzesentwurf ist das aber vorgesehen.

Männerberatung Wien: 01 603 28 28

Zur Person: Alexander Haydn Er ist Psychotherapeut bei der Wiener Männerberatung. Er betreut Männer, die ihren Frauen drohen, die Kinder schlagen oder die Familie finanziell von sich abhängig machen. In einer Gruppentherapie sollen seine Klienten lernen, ihre Gefühle gewaltfrei mit Worten auszudrücken.

Der Beitrag ist ursprünglich in der Printausgabe von News erschienen (Nr. 10/2020)!