Will weicht, wann sie will

Anne Will ist mit ihrem 2007 gestarteten Polit-Talk erfolgreicher denn je. Sie erreichte in Deutschland 15,1 Prozent Jahresmarktanteil. Besser geht es kaum. Deshalb hört sie auf. Das wäre eine gute Gelegenheit zur Talk-Renovierung im ORF.

von Medien & Menschen - Will weicht, wann sie will © Bild: Gleissfoto

Es war perfektes Timing: Freitagmittag kündigte Anne Will (56) das Aus für die nach ihr benannte Diskussionssendung für das Jahresende an. Am Samstag interviewte sie die schwedische Aktivistin Greta Thunberg noch vor der Klima-Großdemo in Lützerath. Sonntagabend sahen die davon handelnde Talkshow in Deutschland fast 3,5 Millionen Menschen. Die ARD alias Das Erste erzielte damit 14,1 Prozent Marktanteil – weit mehr als die 12,2 Prozent Quote, die es insgesamt 2022 hatte.

Es hätte perfektes Timing sein können: Freitagnachmittag kündigte der ORF Seilbahn-Lobbyist Franz Hörl als Gast bei Claudia Reiterer (54) bzw. "Im Zentrum" an. Der enorm polarisierende Nationalrat und Tourismussprecher der ÖVP war das Zugpferd für die Diskussion zu "Wintersport im Schwitzkasten – Abschied von der Ski-Nation?" wenige Tage vor den Rennen in Kitzbühel und Schladming. Ihre Übertragungen zählen zu den meistgesehenen Fernsehsendungen überhaupt. Doch der Talk am Sonntagabend stürzte ab: Mit 389.000 Sehern war es seit Jahren der schlechteste Auftakt nach der Winterpause. Mit 19 Prozent blieb er klar unter den zuletzt 21,4 Prozent Jahresquote von ORF 2.

Thunberg und Will waren nur ein bisschen mitschuld – obwohl 61.000 Live-Zuschauer in Österreich zu dieser Zeit ein sehr hoher Wert für die ARD sind. "Links.Rechts.Mitte" auf ServusTV und "Aktuell: Der Talk" auf ATV schnappen dem ORF aber mehr Marktanteile weg. Ersteres hat 2022 die Schwelle zum sechsstelligen Publikum erreicht. Doch beide Sendungen gab es auch früher, als der Jahresauftakt von "Im Zentrum" über eine halbe Million, 2021 im Lockdown sogar 750.000 vor den Bildschirm lockte.

Diesmal allerdings verlor der Talk ein Drittel des Publikums der "ZIB2". Wenn das kein Einzelfall bleibt, hat "Im Zentrum mit Claudia Reiterer" ein Problem. Es gab zwar immer wieder Kritik an Themen, Gästen und Moderation, doch das ließ sich so lange als Geschmacksfrage abtun, wie die Einschaltquoten passten. Das war bisher insgesamt der Fall. Doch das angekündigte Ende von "Anne Will" ist auch ein Signal, unter welchem Druck dieses Format steht. Sogar der aufsehenerregende Einstieg mit Thunberg unterschritt die durchschnittliche Seherzahl von 2022 und den Jahresmarktanteil von 15,1 Prozent. Und das, obwohl – anders als in Österreich – kein anderer Sender Talk parallel zu Will programmiert.

Die Sendung der deutschen Großmeisterin der Polit-Quatschbude ist die erfolgreichste ihrer Art. Sie folgte überraschend nahtlos auf "Sabine Christiansen", die von 1998 bis 2007 als Herrin im Talk-Ring fungiert hatte. Gemeinsam mit ihr hat Will ein Vierteljahrhundert TV-Geschichte geschrieben, in dem die Konkurrenz an Diskussionsformaten ständig gewachsen ist und der Wettbewerb der Moderatoren immer enger wurde: Sandra Maischberger, Maybritt Illner und Markus Lanz sind weitere öffentlich-rechtliche Dauerbrenner. Frank Plasberg wurde erst infolge Pension durch Louis Klamroth abgelöst.

In Österreich drängen hingegen die Privaten stärker ins Talkformat, für das der ORF auch bei weniger Politisierung auf Evergreens setzt: Barbara Stöckl, Vera Russwurm und Patricia Pawlicki mit "3 am Runden Tisch". Daneben konnten sich Michael Fleischhacker, Katrin Prähauser (ServusTV), Corinna Milborn, Gundula Geiginger (Puls4) und Meinrad Knapp (ATV) stark profilieren. Die Privaten starten auch mehr neue Formate – wie "WildUmstritten" mit Werner Sejka auf Puls24, das seit dieser Woche von Montag bis Donnerstag das Hauptabendprogramm von Puls24 bildet. Unterdessen ist "Im Zentrum" in die Jahre gekommen. Es hat 2007 "Offen gesagt" abgelöst, wurde ursprünglich von Gabi Waldner, Elmar Oberhauser und Peter Pelinka geleitet, der sich ab 2008 mit Ingrid Thurnher abwechselte. Claudia Reiterer moderiert es seit 2017. Wills Rückzugsankündigung aus der ARD wäre eine gute Gelegenheit zur Talk-Renovierung im ORF.